Ja, ja. Nein, nein. Was will uns dieser Bibelvers sagen?
Ja, ja. Nein, nein. Was will uns dieser Bibelvers sagen?
Ahaok
Besser nichts beschwören
Ja, ja? Nein, nein? Was in einem wahren Moment sinnvoll gesagt ist, kann bei der dritten Wiederholung schon zur Lüge geworden sein. Schriftsteller Andreas Meier über Wahrheit in der Bibel.
Andreas MaierMarkus Kirchgessner/laif
10.04.2023
"Ja, ja; nein, nein." (Mt 5,37)

Bibelworte entfalten ihre Kraft oft jenseits philologischer Genauigkeit. Ich weiß noch von meiner Verwunderung, als ich gegen Ende meiner Jugend zum ersten Mal aufmerksam wurde auf die weltberühmte, allerdings seltsame Wendung: "Ja, ja; nein, nein." (Mt 5,37) Zunächst war es ein grammatisches Problem. Ich musste lernen, dass eine Ellipse vorliegt, eine Auslassung. Ausgefallen ist die sogenannte Kopula, das "ist". "Ja ist Ja. Nein ist Nein." Bekanntlich ist alles drüber hinaus vom Bösen. Christus sagt das in der Bergpredigt, und natürlich wird man, und so ist es in deutschen Übersetzungen geschehen, den Anweisungscharakter mit übersetzen, durch den Imperativ: "Ein Ja sei dir ein Ja, ein Nein (sei dir) ein Nein."

Klären wir zunächst den Kontext: Es geht ums ­Schwören. Laut Jesus soll man das nicht, schon gar nicht bei Gott, denn der ist unverfügbar. Man kann das ziemlich unspektakulär interpretieren: Nicht schwören, ein verlässliches Ja oder Nein unter den Menschen reicht, aber dieses soll dann eben auch im alltäglichen Gebrauch verlässlich sein. Hältst du dich daran, genügt das!
Allein für sich genommen aber las ich den Satz früher als etwas ganz anderes, nämlich als eine Aufforderung zur heroischen Unbedingtheit der eigenen Weltanschauung: Jedes Ja muss für dich universal bestehen, jedes Nein ebenso! Und gälte es die ganze Welt!

Hierzu fiel mir dann meist schmerzhaft ein anderes, konterkarierendes Bibelwort ein, aus einem völlig anderen Zusammenhang: "Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich." (Mt 19, 26) Bei diesem Satz geht es ursprünglich um das Hergeben der eigenen Güter, was bekanntlich unter den Menschen nur Verrückte machen.

So spielten bei mir die kontextlosen Zitate ihr Spiel miteinander, und in der Regel gehen wir ja genau so mit Bibelsätzen um: Sie entfalten ihre Wirkkraft eher aus dem eigenen Wort, weniger aus dem Zusammenhang. "Ein Ja sei dir ein Ja, ein Nein ein Nein, alles darüber hinaus ist vom Bösen!" Was hat mich dieser vermeintliche, jede Handlung durchdringende Rigorismus damals begeistert! Nirgends habe ich dieses Ja, das ein Ja bleiben muss, in meiner Umwelt realisiert gesehen. Sie waren alle dem Bösen verfallen, diese Lügner und Larifaris, die dem moralischen Rigorismus nicht huldigten. Sie waren eben kaufbar, sie hängten ihr Fähnchen nach da und dort. Aber zugleich stand dagegen: Bei Gott ist dieser Rigorismus möglich, unter den Menschen ist er nicht möglich!

Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass ich falschlag. Was unterstellte ich da eigentlich Gott? Dass er immer beim Ja bleibt, immer beim Nein? Das ist mit meinem Gott nicht vereinbar, und Jesus sagt das durch die Blume in jeder Zeile, nämlich dass Gott gegenüber, oder ­besser mit ihm, alles und auch jede Beziehung nie abgeschlossen ist, niemals ein totes und in Karteikästen abgelegtes Ergebnis. Auch wenn der Gott des Neuen Testaments oft als so etwas wie der unbarmherzige Richter ­angekün­digt wird, erscheint er so doch nie. Aus gutem Grund.

Wessen Ja ein Ja bleibt, unter allen Umständen, und ebenso ein Nein ein Nein, ist nämlich in Ideologie festgebrannt und verwandelt sich alsbald zum Teufel auf Erden. So eindrucksvoll mir dieses "Ja, ja, nein, nein" in meiner Jugend erschien: Wahrheit, und jedes Ja, jedes Nein, ist ein unabschließbarer Prozess, und was eben in einem wahren Moment sinnvoll gesagt ist, kann bei der dritten Wiederholung schon zur absoluten Lüge geworden sein und bei der vierten oder fünften zur Begründung von Massen­morden. Eben wenn es zur Ideologie verkommen ist.

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Ich lese den Satz heute lieber in seinem ursprünglichen Kontext: Nichts bei Gott oder einer Ewigkeitsinstanz ­beschwören! Aber verlässlich sein. Und bitte nie eine absolute Lehre aus der eigenen momentanen Ansicht ­machen. Dein Ja bzw. dein Nein nie endgültig gegen die Welt ­setzen. Das wäre dann in der Tat vom Bösen.

Ein Ja allerdings ist auf immer gesagt. Nämlich jenes, das Gott, modern interpretiert, uns in der Schöpfung zugesagt hat. Ohne dieses würde kein vernünftiger Mensch mehr an den Gott des Christentums glauben.

Bibelzitat

"Ja, ja; nein, nein." (Mt 5,37)

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Wenn Mensch wie Gott/Vernunft sein will, also Geist/Gemeinschaft/Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden", dann wenn GRUNDSÄTZLICH alles Allen gehören darf, OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik und OHNE imperialistisch-faschistisches Erbensystem, also alles nur im Prinzip wirklich-wahrhaftiger Leistungsgerechtigkeit von und für die Gemeinschaft des ganzheitlichen Wesens Mensch - Wir sind alle im SELBEN Maße reich an Geist der Gott/Vernunft der Schöpfung / des Zentralbewusstseins ist. Nichts gehört dem "einzelnen/individualbewussten" Menschen allein. Sogar unsere Gedanken nicht, weil diese auch immer nur abhängig von Geist und Gemeinschaft geprägt wachsen / wachsen können.

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Ja (ist) Ja, Nein (ist) Nein, reicht zum Lügen!
Solange Mensch in "göttlicher Sicherung" der Vorsehung seine Vernunftbegabung konfusioniert versucht, soll besser keiner glauben er/sie könne auf Gott/Vernunft bauen, denn auch hier: Jesaja 55, 8-11 oder Matthäus 21,18-22 denn die Wirksamkeit von Glaube und Gebet beginnt erst mit dem gottgefälligen/vernünftigen/vertrauenswürdigen ganzheitlichen Wesen Mensch.

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Ja, so hätte man es gerne! Eine Wahrheit 1., 2. oder 3. Klasse. Da ergeben sich ja nie für möglich gehaltene beliebige Wahrheiten. Eine Wahrheit kann nicht relativ sein. Jeder der daran rumdeutelt, nimmt den Missbrauch in Kauf. Jede Wirkung ist eine Wahrheit, auch wenn die Ursache eine Lüge ist. So wird selbst ein Verbrechen zur Wahrheit des Ergebnisses. Nur Naturwissenschaften und die Mathematik sind und beweisen Wahrheiten. Einstein zeigte für ausserhalb die Grenzen. "Wahrheiten" oder Behauptungen, die sich auf nicht nachprüfbare Meinungen, Gefühle und schöne Wünsche beziehen, sind eine Kategorie des Unbegreiflichen. Wer mit der Wahrheit "spielt", seine ganz persönlichen An- und Einsichten zur Wahrheit erklärt, will von dem Unwissen der Anderen profitieren. So ist die normale Werbung (Schönheit) die Lüge einer Profit-Wahrheit. Solche "Wahrheiten" als Werbung von der Kanzel? Ansehen und Geld heiligen keine erdachten "Wahrheiten"! Auch wenn sie noch so schön ins Konzept passen.

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