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Jauchzen und Frohlocken im Bunker
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
22.12.2017

Es wird einem immer gesagt, dass sich das Christentum in der Moderne in einem steten Niedergang befände. Dabei ist es in den vergangenen 150 Jahren zu höchst erfolgreichen Neubildungen des Christlichen gekommen: zum Beispiel das „Weihnachts-“ und das „Bach-Christentum“. Bei Bachs „Weihnachtsoratorium“ kommen beide zusammen. Menschen, die sich selbst für kirchenfern halten, pilgern Jahr für Jahr in die sonst so sorgsam gemiedenen Kirchen, um diesem musikalischen Hochamt beizuwohnen, und sind jedes Mal tief bewegt und sehr erbaut. Das ist natürlich ein Markt, der auch andere anlockt. Säkulare Konzertveranstalter bieten also ebenfalls Aufführungen des „WO“ an. Doch so richtig zündet es nicht, dieses Hauptstück eines modernen Kulturchristentums in einer normalen Konzerthalle zu hören. Der Raum spielt halt mit.

Eine Club-Version des „WO“

Es sei denn, man hätte eine eigene Idee, was man woanders aus diesem Werk macht. Sehr eigene Ideen hat sich das Hamburger Ensemble Resonanz gemacht. Es spielt eine Club-Version. Mit nur 15 Musikern. Zwei davon mit modernen Instrumenten (E-Gitarre und Keyboard). Ohne Chor. Deutlich gekürzt auf zwei Mal 45 Minuten. Mit langer Pause dazwischen zum Bier- und Weintrinken. In normalen Klamotten. Doch weil es sich hier um exzellente Musiker handelt, die nicht einfach ein altehrwürdiges Stück auf die Hipster-Spule legen, um sich mit den Zuschauern dauer-ironisch zuzublinzeln, sondern die diese Musik und damit ihren Inhalt sehr ernst nehmen, entsteht etwas Eigenes und Anderes: eine hochkonzentrierte, feinsinnige, innige Neuaneigung eines alten Schatzes.

Bach im Bunker

Eine große Rolle spielt dabei der Raum. Es ist keine Kirche, kein Konzertsaal, sondern ein schlichter Raum in dem riesigen Hochbunker von St. Pauli. Auch wenn man sich als Hamburger an dieses unabreißbare Monster gewöhnt hat, ist es doch jedes Mal von neuem verstörend hineinzugehen. Es ist eben Kriegs- und Gewaltarchitektur. Wer nur ein bisschen Geschichtsbewusstsein hat, hört einen fernen Nachhall von Bomben und Sirenen, versucht sich vorzustellen, wie unglaublich viele Menschen hier Schutz gefunden haben, und vergisst diejenigen nicht, die nicht hineindurften. Bedrängte Minderheiten mussten in den Bombennächten draußen bleiben. Für sie war kein Platz in der Betonherberge. Das alles spielt mit, wenn man das Resonanz’sche Weihnachtsoratorium erlebt. Der Aufführung dieses unverwüstlichen Fest- und Rührstücks gibt das eine dringend benötigte Ernsthaftigkeit: Weihnachten ist ein Friedensfest inmitten einer gewalttätigen Welt. Deshalb feiern wir es ja.

Wer nicht das Glück hat, in Hamburg-Nähe zu wohnen, kann den Zauber dieses WO auch auf CD nacherleben. (Die kann man sich auch selbst schenken und die ganze Weihnachtszeit hindurch, also bis zum 2. Februar 2018, anhören.)

Hamburger gelten ja als kühl. Deshalb leiht sich der zugegebenermaßen ziemlich hanseatische „Kulturbeutel“ einen Weihnachtsgruß aus dem Schwäbischen, der ihm eben erst zugetragen wurde. Dort wünscht man sich „s Chrischtkendle ens Herz“. Das heißt übersetzt: „das Christkind ins Herz“.

Also: „s Chrischtkendle ens Herz“!

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