Die Kochkünste von Iris und das Abendmahl
Iris ist evangelisch. Aber warum verzichtet sie auf Fleisch und Eier? „Das macht man in der Fastenzeit.“
Lena Uphoff
22.03.2011

Wir sind in der Fastenzeit. Reichlich spät in diesem Jahr. Der Zyklus des Mondes will es so. „Langsam freue ich mich auf Ostern“, erzählte mir meine alte Freundin Iris, „vor allem auf das Fastenbrechen. Ich verzichte seit Aschermittwoch auf Fleisch und Eier.“ Ich frage sie, warum sie das macht. „Na, entschuldige, es ist Fasten­zeit und ich bin evangelisch.“ Verstehe. Aber warum verzichtet sie auf Fleisch und Eier? „Das macht man in der Fastenzeit.“

Ich kenne Iris lange. Sie verträgt ein offenes Wort. Soll ich ihr jetzt erzählen, dass der Reformator Zwingli in der Fastenzeit regel­rechte Bratwurstorgien veranstaltet hat, um seine Mitbürger darauf hinzuweisen, dass Entsagung um ihrer selbst willen die Fasten­den keinen Millimeter näher zum Himmelreich bringt? Ich lasse es. Iris ist ein so lieber Mensch, die braucht meine lichtvollen Erklärungen nicht.

Was Zwingli am Fasten klarmachen wollte, hat Martin Luther an einem anderen Beispiel demonstriert. Der Gottesdienst des Schusters, schreibt Luther, finde in der Welt statt. Er bestehe darin, dass der Schuster ordentliche Schuhe mache, seine Kunden fair behandle, sich liebevoll um seine Freunde und seine Familie kümmere. Wenn er all dies tue, müsse er nicht „nach Sankt Jakob in Spanien rennen“. Christentum erfüllt sich nicht in spirituellen Kunststücken, in ekstatischer Verzückung und weihrauchum­waberten Ritualen oder wallfahrerischen Rekordanstrengungen.

Um nicht missverstanden zu werden: Pilgern und psalmodieren, Kerzenschein und Musik – das kann alles guttun, kann in Gemeinschaft erlebt anregend wirken, kann helfen, den Blick auf das Wesentliche zu wenden. Im Kern bleibt Christentum jedoch Beziehungsarbeit, so wie es Luther im Gottesdienst des Schusters beschrieben hat. Wer seine Nächsten liebt und entsprechend ­handelt, macht Gottesdienst. Wer sonntags psalmodiert und im Alltagsleben seine Nächsten plagt, handelt nicht im Sinne des Erfinders der Idee von der Nächstenliebe. Das gilt auch für das Fasten.

Iris muss ich davon nicht überzeugen. Ich kenne wenige Menschen, die so viel Wert auf zwischenmenschliche Aufmerksamkeit legen wie gerade sie. Die Nachbarn, die während ihres Urlaubes die Katze füttern, lädt sie natürlich zum Abendessen ein und bekocht sie mit ihren Leibspeisen. Auch in der Fastenzeit. Und wenn sie dann mit ihren Gästen das Glas hebt, ist derselbe Wein drin wie in den Gläsern ihrer Gäste. Ein Essen bei Iris kommt ziemlich nahe an meine Vorstellung vom Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern heran: So oft ihr zusammensitzt und euch als Schwestern und Brüder erlebt, hebt euer Glas und er­innert euch an mich und meine Botschaft von der Liebe Gottes. 

Wobei Iris ganz sicher ein Glas Saft oder Wasser in der Hand hätte, wenn sie wüsste, dass ihre Tischgenossen strenge Muslime oder aus anderen Gründen antialkoholisch orientiert wären. Darüber hätte sie sich vorher informiert. Sie würde niemals die Überlegenheit der eigenen Lebensweise propagieren oder einfach durchsetzen wollen. Jemanden bloßzustellen oder in die Bredouille zu bringen, liegt ihr ferner als alles andere.

Den Zeigefinger unten zu lassen ist Christenpflicht

Und Iris würde auf keinen Fall mit ihrer Frömmigkeit prahlen und um sich die Aura moralischer und religiöser Überlegenheit aufbauen wollen. Das ist ihr zuwider. Deshalb mag sie, wie ich weiß, ganz besonders das Gleichnis im Lukasevangelium: Der Fromme im Tempel dankt Gott dafür, dass er ein so anständiger, tugendhafter und fastender Mensch ist, viel besser als der sündige Zöllner, der neben ihm betet. Der Zöllner wiederum betet nur: Herr, sei mir armem Sünder gnädig. Und Jesus kommentiert knapp: Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden. Und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. 

Jemandem wie Iris mit aufgestelltem Zeigefinger zu erklären, wie wertlos ihr Fasten, was aber wahres und entschiedenes Christentum sei, wäre Sünde pur. Es würde vom gleichen Hochmut zeugen wie das Gebet des Schriftgelehrten. Ist mir, zugegeben, gerade noch rechtzeitig eingefallen. Frohe Ostern! 

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Sehr geehrter Herr Brunner!

Beim Lesen Ihrer Folge 127 wuchs bei mir der Unmut:
Warum dieses Ausspielen des Einen gegen das Andere? Warum der "ordentliche Schuhe machende Schuster" Luthers und die "Bratwurstorgien"
Zwinglis gegen "spirituelle Kunststücke", "ekstatische Verzückung", "weihrauchwabernde Rituale", "wallfahrerische Rekordanstrengungen", "Rennen nach Sankt Jakob" und " Fasten als Selbstzweck"? Warum solche gutgeheißenen Fakten gegen abzulehnende Karikaturen? Und dann die doch etwas schlichte Definition vom "Kern des Christentums" als "Beziehungsarbeit", und dazu das doch wahrlich hier nicht passende Beispiel des Schusters und seiner "ordentlichen Schuhe" - "Beziehungsarbeit"?
Was Ihnen so imponiert, ist die "zwischenmenschliche Aufmerksamkeit" bei der Einladung zum Abendessen, das Ihrer Vorstellung vom Abendmahl "ziemlich nahe kommt". So etwas schätze ich sehr. Wir gebrauchten dafür einmal einen aus der Mode gekommenen Begriff: "anonymes Christentum".
Wirklich schön, wirklich gut. Aber manche "anonyme Christen" haben sich damals zu Recht dagegen gewehrt, auf diese Weise christlich vereinnahmt zu werden.
Luther und Paulus ("vernünftiger Gottesdienst" Röm. 12) konnten den Begriff "Gottesdienst" nur auf dem Hintergrund des selbstverständlich vorausgsetzten gemeindlichen Gottesdienstes verwenden. Der "vernünftige Gottesdienst" würde sich wohl in allgemeine Menschlichkeit auflösen und von niemandem "Gottesdienst" genannt werden ohne die Quelle des Glaubens, jenen Gottesdienst mit Bibel, Verkündigung, gottesdienstlichem Gedächtnismahl, Gebet, Lob Gottes im Gesang.
Ich vermute mal, daß wir uns da durchaus auch nicht uneinig sind.

Stud.Dir. i. R. Willi Zimmermann, Marburg

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