Russlands Überfall auf die Ukraine
"Putin verdient nicht mal neue Schimpfworte"
Wie der russische Angriffskrieg die Schimpfkultur beeinflusst, erzählt Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv im Interview. Ein Gespräch über fäkalfixierte Deutsche und kreative Beleidigungen im Ukrainischen
Eine Pappmaché-Figur, als satirischer Mottowagen von Jacques Tilly, zeigt Wladimir Putin, mit aufgerissenem Mund, der die Ukraine verschlingt.  Der Wagen war beim diesjährigen Rosenmontagszug in Düsseldorf zu sehen
Mit der Dauer des russischen Angriffs steigert sich der Hass auf Putin
Karl F. Schöfmann/Picture Alliance/ImageBroker
23.02.2024
5Min

Sie sind Ukrainerin, lehren an österreichischen Unis Sprachwissenschaften und forschen über das Schimpfen und Fluchen. Ihr Lieblingsschimpfwort?

Oksana Havryliv: Da bin ich nicht so originell, mein deutsches Lieblingsschimpfwort ist "Scheiße". Da gibt es eine lustige Familiengeschichte. Als mein Sohn klein war, ist er mal mit seiner Oma vom Spaziergang nach Hause gekommen und Oma hat unsere Haustür nicht aufbekommen – die Tür klemmte öfter. Dann rief er dreimal "Scheiße" und sagte zur Oma: "Man muss 'Scheiße' sagen! Mama sagt es immer - dann öffnet sich die Tür." "Scheiße" ist das einzige Schimpfwort, das ich auf Deutsch verwende. Ich fluche gern, aber auf Ukrainisch.

Fluchen Ukrainer anders als Deutsche?

Ja. Ukrainer verwünschen eher, aber auf lustige oder skurrile Weise. Eine typische Verwünschung lässt sich so übersetzen: "Die Ente soll dir einen Tritt geben!"

Was bedeutet das?

Es bedeutet im Grunde gar nichts, es gibt keine verborgene Botschaft. Da kann man sich so einfach abreagieren und von negativen Emotionen lösen, ohne dass wir jemanden gleich in die Hölle wünschen. Ansonsten haben wir im Prinzip viele positive Wünsche, die erst durch die ironische Betonung zur Verwünschung werden. Zum Beispiel sagt man "Gut soll es dir gehen!" – und meint das Gegenteil.

Oksana HavrylivNDR/Uwe Ernst

Oksana Havryliv

Die Sprachwissenschaftlerin und Germanistin Oksana Havryliv wurde 1971 in der Ukraine geboren. Sie promovierte über die Schimpfwörter in der österreichischen modernen Literatur und erforscht seit 30 Jahren verbale Aggression und verbale Gewalt. Zu diesem Thema schrieb sie zahlreiche Bücher. Sie lebt mit ihrer Familie in Österreich.

Gibt es auch Gemeinsamkeiten in der Schimpfkultur?

In der deutschen und der ukrainischen Sprache sind fäkal-anale Schimpfwörter sehr häufig. Das Ukrainische hat auch viele Ausdrücke aus dem Russischen übernommen. Und das Russische ist das beste Beispiel für eine sexuelle Schimpfkultur, genauso wie das Amerikanische. Fluchen leitet sich hier von sexuellen Begriffen und Handlungen ab. Obwohl das Deutsche und das Ukrainische zur fäkal-analen Schimpfkultur gehören, wird im Ukrainischen der bei den Deutschen so beliebte Ausdruck "Arschloch" eher anatomisch denn als Schimpfwort als verstanden. Bei der Übersetzung von "Arschloch" ins Ukrainische greife ich dann zu den häufig benutzten Wörtern aus dem sexuellen Bereich. Etwa "Mudak", das sich von Hodensack ableitet. Aber "Leck mich am Arsch", "Geh in den Arsch" oder "Arschlecker" können wörtlich ins Ukrainische übersetzt werden.

Ist Schimpfen gesund?

Es kann gesund sein, es kann aufheitern und entlasten, aber es kann auch krankhaft und beleidigend sein. Wir sollten immer bedenken, wie es von anderen wahrgenommen wird. Wenn ich im Freundeskreis schimpfe und wir uns über die Politik richtig aufregen, reagieren wir uns so ab. Wenn ich nach Hause komme und bei meinem Partner über den Chef oder über die Kolleginnen schimpfe, entlastet mich das. Aber wenn ich das zu oft mache, denkt mein Partner: Die kommt jetzt nach Hause und lädt bestimmt gleich wieder den Ärger bei mir ab. Das würde ihn auf Dauer sehr bedrücken.

Wo hört der Spaß auf?

Das ist sehr individuell und hängt von der Situation ab. Für eine wissenschaftliche Umfrage sprach ich mit einem Mann, der aus dem Nahen Osten stammte. Wenn ein enger Freund zu ihm "Kanake" sagte, verstand er es als Scherz. Sein Freund darf ihm gegenüber dieses schlimme Wort verwenden - und er ist nicht beleidigt, sondern findet es lustig. In einem anderen Kontext kann das Wort kränken. Tabu sind Wörter, die mit den nationalsozialistischen Verbrechen verbunden sind. Bei einigen Ausdrücken kann man die furchtbare Bedeutung nicht sofort erkennen. In Österreich gibt es den Spruch: "Geh di brausen!", was auf Hochdeutsch "Geh dich duschen!" heißt. Der Spruch bezieht sich auf die furchtbare Tatsache, dass in den NS-Vernichtungslagern Menschen mit Gas getötet wurden, obwohl man ihnen vorgegaukelt hatte, dass sie sich zum Duschen in die Gaskammern begeben sollten.

Sie untersuchen in Ihrem neuen Buch, wie der russische Angriffskrieg die Sprache ihres Landes beeinflusst. Was haben Sie herausgefunden?

Als ich zu Beginn des Krieges, am 24. Februar 2022, online ging, sah ich in den Facebook-Accounts meiner Freunde lauter Verwünschungen gegen Putin und das russische Militär. Manche wünschten, das Unheil des Krieges solle nach Russland zurückkehren. Russen sollten erfahren, wie es ist, bombardiert zu werden.

In ihrer Kolumne "Transitraum" schreibt die ukrainisch-georgische Schriftstellerin Tamriko Sholi alle zwei Wochen über Krieg, das Flüchtlingsdasein und ihre Heimat

Nach jeder russischen Bombardierung ploppen in den sozialen Netzwerken Verwünschungen auf, die das Wort Hölle verwenden, etwa "die sollen in der Hölle brennen". Es ist dann im Laufe des Krieges zu einer gewissen Legalisierung von Schimpfwörtern gekommen. Selbst vornehme alte Damen verwenden jetzt Ausdrücke wie "Abschaum" oder "Scheiße" in Bezug auf Putin und russisches Militär. Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj benutzt mittlerweile in seinen Reden Schimpfwörter. So sprach er nach dem Beschuss des humanitären Korridors von russischen Soldaten als "blutrünstigem Gesindel" oder "blutrünstigem Abschaum" und drohte, dass sie "für jedes verlorene ukrainische Leben eine gerechte Strafe bekommen". Der Krieg ist so grausam, da wirken die Schimpfwörter gar nicht mehr so radikal und vulgär.

Haben Sie ein Beispiel?

Etwa "Chujlo". Wörtlich übersetzt heißt es eigentlich "Riesenschwanz", aber seine Bedeutung geht mehr in Richtung "Arsch" oder eher "Riesenarschloch", wie man im Deutschen sagen würde. "Chujlo" ist eine Bezeichnung für einen widerlichen, niederträchtigen oder bösartigen Menschen. Es ist im Ukrainischen die häufigste Bezeichnung für Putin und wird seit dem Entstehen des Anti-Putin-Sprechgesangs "Putin Chujlo" von Fußballfans im Jahr 2014 in erster Linie mit ihm in Verbindung gesetzt, damals annektierte Putin die Krym – ich schreibe Krym immer mit "y" und nicht mit "i" wie aus dem Russischen. Ich glaube, ich habe "Chujlo" vor 2014 kein einziges Mal ausgesprochen.

Später skandierten Sie es auf Demos …

Ja, ich skandierte "Chujlo" sogar zusammen mit meinen Kindern auf Demos, und es hat mir nichts mehr ausgemacht. 2014 war das. Schon damals waren auf der russisch besetzten Krym viele Zivilist*innen ums Leben gekommen, und diese grausamen Taten waren viel schlimmer als das Wort.

Was sind die häufigsten Putin-Beschimpfungen?

"Chujlo", also "Riesenarschloch", liegt ganz klar vorne. Das Wort wird eigentlich nur noch mit Putin in Verbindung gebracht. Es gab dazu eine fiese Instagram-Kachel zu Silvester. Auf der stand: "Sprich ja nicht laut aus, was du dir um Mitternacht für das neue Jahr wünschst. Sonst stirbt das Riesenarschloch nicht." Weitere Putin-Schimpfwörter sind "Zwerg", häufig in Verbindung mit "wahnsinnig" oder "verfickt". Besonders kreativ ist das nicht. Aber Putin hat es auch nicht verdient, dass wir uns extra etwas Neues für ihn ausdenken.

Warum stört Sie der Begriff "Ukraine-Krieg"?

"Ukraine-Krieg" blendet das Aggressorland zur Gänze aus. Wenn es in Berichten um die Auswirkungen des "Ukraine-Krieges" geht, etwa um den Anstieg der Gaspreise, wird das Bild weiter verzerrt. Denn auf diese Weise verbinden sich unbewusst alltägliche Unannehmlichkeiten mit der Ukraine, dem Land, das Opfer russischer Aggression geworden ist. Und Russland, das daran schuld ist, bleibt verschont. Korrekt ist die Bezeichnung "russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine". Aber viele Medien verwenden eben das Wort "Ukraine-Krieg", weil es kurz ist und in den Überschriften Platz spart, dabei gibt es mit "Russland-Krieg" eine bessere Alternative. Die längere Bezeichnung "russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine" stärkt das Bewusstsein für verschiedene Kriegsarten – den Angriffskrieg und den Verteidigungskrieg. Deshalb sollten wir diesen Begriff verwenden, auch wenn er sperrig ist.

Infobox

Oksana Havryliv: Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen: Wirklich alles über das Schimpfen, Beschimpfen, Fluchen und Verwünschen. Komplett-Media-Verlag, 224 Seiten, 22 Euro

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Ich verwünsche diese ganze stupide Entwicklung, zutiefst, Nichts habe ich vorausgesehen, weil ich mich an Grenzen halte, und soweit möglich, die Grenzen anderer respektiere.
Das war dumm.
Und man könnte sagen, der Krieg ist ein Glücksfall.
Ich hatte auch einen Lehrer, der Flüche sammelte. Menschen sammeln so allerhand interessante und uninteressante Dinge.
Und es ist wahr, heutzutage kann man aus einem Stück Nichts eine ganze Wissenschaft gründen ...

Ist das nicht furchtbar ?
Medien und Technik sei Dank, oder `wie einer auszog , die Welt zu begatten mit sinnlosem Unrat `.

Der `Ukraine Krieg ", Globalisierung, Klimawandel , e.t.c das sind Schlagworte, hohl und dehnbar, Spielball zwischen Presse, Politik und Wissenschaft.

Man könnte ja auch von Putin - Krieg sprechen, aber dann würde die Ukraine aus dem Fokus der deutschen Öffentlichkeit treten, und der russischen Propaganda in die Hände spielen ...
Oder andersherum, Putin verlöre möglicherweise seinen Schrecken ?
Aber wer will schon etwas an der Kriegsgeschichte ändern ?
Wir profitieren doch alle davon, vor allem das Fernsehen, man nehme die vielen Sendungen, niemand ist präsenter im deutschen Fernsehen als der tapfere Ukrainer, die tapfere Ukrainerin.
Die Ukrainer laufen selbst den Hamas den Rang ab, geschweige denn Israel.

Worauf ich hinaus will :
Wir sollten acht geben, das Mass des Erträglichen nicht zu überschreiten, um Sinn nicht mit Unsinn zu vermischen.

Das wäre ein echtes Dysaster !

" Sie untersuchen in Ihrem neuen Buch, wie der russische Angriffskrieg die Sprache ihres Landes beeinflusst. Was haben Sie herausgefunden? "

Hier hört meine Geduld, ein Ohr für die vielfältige Ausbeute des Krieges zu haben, auf.
Die sozialen Netzwerke lassen mich kalt, das Interview hingegen besänftigt den gemarterten Geist.

Morgen gibt es ein Trauertreffen für 16 gefällte gesunde 50 Jährige Linden !
Während an der Front die Kriege toben, und in sozialen Netzwerken der Shitstorm, nutzen hierzulande gewiefte Politiker die Gunst der Stunde, um unbequeme Natur zu zerstören. Einfach so, weil , was unbequem ist, muss weg !

Diese Bäume waren der Lebensraum für Mensch und Tier , ein gewaltiges Ökosystem, und nun sind sie weg ! Für immer ! Diese Gedankenlosigkeit von Menschen ohne jeglichen Sinn für das Lebendige , ist erschreckend und darf nicht toleriert werden.

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