Kunstwerk
Sammelsurium des Horrors
Pablo Picassos "Guernica" erinnert an ein christliches Triptychon und lehrt die Schrecken des Krieges. Gesehen hat es gefühlt fast jede und jeder schon mal. Haben wir daraus gelernt?
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
25.02.2024

Heute hieße dieses Bild von Pablo Picasso nicht "Guernica", sondern vielleicht "Mariupol", "Aleppo", "Gaza" oder "Sanaa". Picasso hat hier eines der berühmtesten Antikriegsbilder des 20. Jahrhunderts geschaffen, indem er den Bombenschrecken weniger Tage kubistisch-christlich auf die Leinwand sortierte.

Kleiner historischer Exkurs: Am 26. April 1937, während des Spanischen Bürgerkriegs, griffen ausländische Unterstützer von Diktator Franco, konkret: Fliegereinheiten der deutschen Legion Condor sowie der italienischen Aviazione Legionaria, die baskische Kleinstadt Gernika (spanisch: Guernica) an. Der erste Fliegerangriff mit Flächenbombardement, der auf die Zivilbevölkerung ­einer ganzen Stadt zielte, eine Art Blaupause für den deutschen Blitzkrieg gegen Polen. In wenigen Stunden zerstörten die aus dem Himmel fallenden Bomben nahezu die gesamte Stadt und töteten wahllos Zivilisten, Frauen, Kinder, Alte.

Pablo Picasso war zutiefst erschüttert von den Ereignissen in Gernika. Sein Bild entstand in den darauffolgenden Wochen – bewusst in den schwarz-weißen Grautönen der damals gängigen Pressefotografie gemalt – und sollte auf der Weltausstellung im Sommer 1937 in Paris sowie danach als internationale Leihgabe ein Kunstwerk mit Nachrichtenwert sein: Seht her, das richten die Faschisten in Spanien an, so sieht der von Propaganda umnebelte und als Ruhm und Ehre einer Nation gepriesene Krieg in Wirklichkeit aus.

Komponiert hat Picasso sein Bild im Stil eines christlichen Altargemäldes, "Guernica" ist fast schon ein Triptychon: ein dreigeteiltes Bild mit starkem Zentrum und erläuternden Flügelmotiven links und rechts. Möglicherweise war Picasso inspiriert vom Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, ein Kunstwerk von Anfang des 16. Jahrhunderts, das die Malerei in vielerlei Hinsicht prägte.

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In Picassos "Guernica" steht auf der linken ­Seite eine Mutter, die ein totes Kind in den Armen hält. Der Vergleich mit der christlichen Pietà liegt sehr nahe. Und die Glühbirne, die nahezu mittig über der gesamten Szenerie hängt, ließe sich als Gottes allsehendes Auge deuten. Durch die Diagonale von totem (Christ-)Kind und Gottesauge fliegt zudem eine zum Himmel schreiende Friedenstaube.

Anstelle des ans Kreuz genagelten Jesus zeigt die Bildmitte das von einem Speer durchbohrte Pferd sowie einen am Boden liegenden Menschen mit zerbrochenem Schwert in der Hand – sie stehen beziehungsweise liegen sinnbildlich für das un­ermessliche Leid der Opfer des Bombenterrors.

"Guernica" bekam eher schlechte Presse auf der Pariser Weltausstellung

Auf der rechten Seite wiederum lodern die sieben Flämmlein der Apokalypse; eine Person stirbt in den Flammen, eine andere versucht in gebückter Haltung dem Feuer zu entkommen. "Guernica" ist ein Sammelsurium des Schrecklichen. Eines, von dem der Künstler wollte, dass die Weltöffentlichkeit es wahrnimmt. Verstand Picasso sich womöglich selbst als die Lichtträgerin im Bild, die von rechts mit ausgestrecktem Arm und Öllampe in der Hand etwas Licht auf die Ereignisse wirft?

"Guernica" jedenfalls bekam eher schlechte Presse. Picassos kubistische Malweise, aber natürlich auch das Thema des Bildes waren nicht dazu angetan, dem Pariser Publikum auf der Weltausstellung den Sommer zu versüßen. Die Anerkennung kam erst mit den unzähligen Reisen, die das Bild in der Folge unternahm, und mit den Jahren.

Heute hängt "Guernica" im Museo Reina Sofía in Madrid. Das Gemälde ist derart ramponiert, dass es nicht mehr an andere Museen ausgeliehen wird. Gesehen hat es gefühlt fast jede und jeder schon mal – und wenn auch nur in den Nach­richten. Eine Kopie von "Guernica" hing bis 2021 bei den Vereinten Nationen in New York.

Wie wirkmächtig Picassos Antikriegsbild ist, verdeutlicht eine Anekdote aus dem Frühjahr 2003: Bei einer Rede des damaligen US-Außen­ministers Colin Powell wurde "Guernica" verhüllt, vielleicht, damit er von den Warnungen des Bildes ungestört seine – wie sich im Nachhinein herausstellte – Lügen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak verbreiten konnte. "Guernica" hätte kurze Zeit darauf auch "Bagdad" heißen ­können. Die Kunst kann dem Menschen seine von ihm erschaffene Wirklichkeit vor Augen führen. Lernen muss er daraus selbst.

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@Blankenburg: "... sie stehen beziehungsweise liegen sinnbildlich für das un­ermessliche Leid der Opfer des Bombenterrors."

In Beziehung ist es eher weise, wenn man die Ursache, allen sich stets wiederholenden Leides, auf den nun "freiheitlichen" Wettbewerb benennt, ein zeitgeistlich-reformistischer Wettbewerb um die Deutungshoheit des stets gleichermaßen zu verantwortenden imperialistisch-faschistischen Erbensystems, wo das ganzheitlich-ebenbildliche Wesen Mensch längst im Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden" gestaltet sein sollte.

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" Lernen muss er daraus selbst."

Dieser Satz stört mich am meisten, denn wir wissen doch heute zu genüge, dass der Mensch nichts lernt, als das, was man ihn lehrt.
Und was gelehrt wird, hängt von keiner Wahrheit ab, sondern vom jeweiligen Zeitgeist.
Das , was wirklich und wahrhaftig menschlich ist, das ist die Lüge.

Der obige Satz ist demnach eine reine Täuschung, gelinde gesagt.
Und unterscheidet sich von der damaligen Reaktion des erwähnten Pariser Publikums nicht wesentlich.

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"Sammelsurium des Horrors" - Da die Verantwortung IMMER beim ganzen Menschsein bleibt, ist Sammelsurium der gleichermaßenen Bewusstseinsbetäubung passender!?

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Kommunikation ist auch hier wie eine Hauswand, für Sprüche die an ihr zum Wohle der zeitgeistlich-reformistischen Hierarchie in Unvernunft verblassen.

Registrieren als nächster Schritt in die gleichermaßene Verkommenheit? - Nein, wir sehen, sprechen und hören uns im Jenseits.

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