Interview Heinrich Strößenreuther
Interview Heinrich Strößenreuther
Imago Images / Lausitznews
"Wir werden keine zweite Chance bekommen"
Heinrich Strößenreuther von der CDU-Klimaunion hat Verständnis für die Wut der "Letzten Generation". Für konkreten Klimaschutz aber müssten die Aktivisten andere Wege gehen.
Sebastian DrescherPrivat
16.12.2022

Sie engagieren sich seit drei Jahrzehnten für den Klimaschutz. Wie blicken Sie auf die Proteste der "Letzten Generation"?

Heinrich Strößenreuther: Ich habe Verständnis für die Sorge, die Wut und die Ohnmacht der Aktivisten. Sie machen klar, wie dringlich es beim Klimaschutz ist. Dass uns die Zeit davonläuft. Viele Akteure in Politik, Verwaltung und Wirtschaft haben das noch zu wenig verstanden. Dabei zeigt die Wissenschaft: Wenn wir bestimmte Kipppunkte überschreiten, reagiert das Klimasystem wie eine Lawine, die nicht mehr zu stoppen ist. Dann drohen häufiger Katastrophen wie im Ahrtal und Waldbrände und rund 1000 Kilometer um den Äquator Temperaturen und Witterungen, die ein Überleben im Freien unmöglich machen – und zu Völkerwanderungen in ungekanntem Ausmaß führen werden. Das versuchen die Aktivisten zu erklären. Sie tun das häufig in einer Sprache, die für einige verstörend wirkt und die man besser an bürgerlich-konservative Kreise anpassen könnte. Dennoch: Im Kern treibt sie die pure Zukunftsangst an. Nicht nur um uns, sondern auch um die Milliarden Menschen auf der Welt in den besonders gefährdeten Gebieten Afrikas, Asiens und Süd- und Mittelamerikas.

Heinrich StrößenreutherHeinrich Strößenreuther

Heinrich Strößenreuther

Heinrich Strößenreuther, Jahrgang 1967, ist Fahrrad- und Umweltaktivist und Mitgründer der CDU-Klimaunion. Zuvor war er unter anderem Campaigner für Greenpeace, Manager bei der Deutschen Bahn und hat mehrere Umweltschutzorganisationen gegründet. Mehr Infos: www.clevere-staedte.de
Sebastian DrescherPrivat

Sebastian Drescher

Sebastian Drescher ist Redakteur beim JS-Magazin, der evangelischen Zeitschrift für junge Soldaten, und chrismon.

Politiker Ihrer Partei, der CDU, fordern höhere Strafen für die "Letzte Generation" und wollen prüfen lassen, ob die Bewegung als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Friedrich Merz bezeichnet die Aktivisten und Aktivistinnen als kriminelle Straftäter. Befremden Sie solche Aussagen?

Ja, sehr. Ich wundere mich, wo die gleichen Stimmen bleiben, wenn es um den geplanten, wirklich terroristischen Staatsstreich durch Reichsbürger geht, der vergangene Woche bekannt wurde. Wir haben es bei der "Letzten Generation" mit Studentinnen und Studenten zu tun, Arbeitnehmern und Angestellten, teils auch Senioren, die anders als manche Reichsbürger noch nie eine Handgranate oder ein Gewehr in der Hand hatten. Sie wissen sich nicht mehr zu helfen und riskieren ihre körperliche Unversehrtheit, falls ein Autofahrer bei einer Straßenblockade ausrastet. Sie riskieren Geld- und Haftstrafen und setzen ihre berufliche Zukunft aufs Spiel. Solange Gerichte keine Strafen verhängt haben, gilt die Unschuldsvermutung. Begriffe wie Klima-RAF oder kriminelle Straftäter sind unpassend und verhärten die Fronten nur weiter.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einige Aktivisten der "Letzten Generation".

Die Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts einer kriminellen Vereinigung und die jüngsten Hausdurchsuchungen, zum Teil auch in den Elternhäusern der Klimaaktivisten, sind genauso wie die Präventivhaft, die in Bayern ohne großes Gerichtsverfahren verhängt wurde, eine Überreaktion: Sie lassen Maß und Mitte vermissen, wie es einem Rechtsstaat und einer wertebasierten christlichen Partei unwürdig ist. Ich erwarte von Spitzenpolitikern aller Parteien vielmehr, dass sie klimapolitisches Vorbild sind und sich an die engen Vorgaben des UN-Klimavertrages und das Klima-Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem vergangenen Jahr halten. Denn so holt man Klimaaktivisten dauerhaft von der Straße.

Dringlichkeit noch stärker in die Politik tragen

Manche Kritiker bezeichnen die Protestaktionen der "Letzten Generation" als demokratiefeindlich.

In einer guten Ehe würde man sich nicht auf dem Parkett festkleben, weil man irgendwas durchsetzen will. Nötigung und Straftaten werden nicht zu einer guten demokratischen Zusammenarbeit führen. Ungeachtet dessen finde ich es wichtig, ein Zeichen an die Politik zu setzen, dass ein "Weiter so" nicht tolerierbar ist, auch nicht aus einer christlichen Verantwortung heraus. Denn wir werden keine zweite Chance bekommen, zu korrigieren, was jetzt noch korrigierbar wäre. Ich würde mir wünschen, dass die Medien stärker diesen Aspekt aufgreifen, statt nur das Gepolter der anderen Seite wiederzugeben.

Sie sprechen die christliche Verantwortung an. Kritik gab es auch an der Evangelischen Kirche in Deutschland, weil sie auf die Synode eine Aktivistin der "Letzten Generation" eingeladen hat.

Im Gegensatz zu manch anderen Mitgliedern meiner Partei begrüße ich es, dass die EKD mit Aktivisten ins Gespräch gekommen ist und Verständnis für die Sorgen der Aktivisten äußert. Die Kirchen könnten die Dringlichkeit beim Klimaschutz aber noch stärker in die Politik tragen und als moralische Instanzen vor allem beim bürgerlich-konservativen Lager noch energischer für die Schöpfungsbewahrung argumentieren. Die Energiewende darf kein vermeintlich rot-grünes Projekt bleiben, sondern muss als parteiübergreifende Verantwortung wahrgenommen werden.

Inwiefern kann der Protest denn zu konkretem Klimaschutz beitragen?

Die Aktivisten fordern ein 9-Euro-Ticket und Tempolimit 100 auf Autobahnen. Das 9-Euro-Ticket wird nicht kommen, denn gerade wurde die Umsetzung des 49-Euro-Tickets für kommendes Jahr beschlossen. Beim Tempolimit, zumindest mit Tempo 130, das die Pkw-Emissionen auf einen Schlag deutlich reduzieren würde, braucht es gar nicht mehr so viel Druck. Ich fände es gut, wenn die Aktivisten Ziele formulieren, die kurz vorm "Abräumen" sind. Ich stelle aber auch fest, dass der Protest der Klimabewegung insgesamt an Grenzen stößt: Mehr Demos bewirken nicht mehr Klimaschutz in den Parlamenten. Als Bürger lässt sich teilweise mehr erreichen, wenn man sich in die konkrete Umsetzung begibt.

Tretet in die Parteien ein!

Sie haben selbst viel Erfahrung als Klimaschutzaktivist, waren Campaigner bei Greenpeace, haben im Bundestag gearbeitet, den Volksentscheid Fahrrad in Berlin mitangeschoben, Unternehmen wie die Deutsche Bahn beraten. Was empfehlen Sie jungen Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren wollen?

Mein Appell: Tretet in die Parteien ein! Wir haben keine Partei, deren Klimapolitik auf 1,5-Grad-Kurs ist, auch nicht die der Grünen. Wo immer in Parteien über Posten, Delegierte, Vorsitzende entschieden wird, muss Klimaschutz als Thema ganz nach vorne. Bei solchen Abstimmungen kann man Einfluss nehmen. Die politischen Eliten dürfen lernen, dass Unglaubwürdigkeit und Poltern gegen Klimapolitik durch die Wähler bestraft wird.

Sie sind der CDU beigetreten und haben Anfang 2021 den Verein Klimaunion mitgegründet, der die CDU auf 1,5-Grad-Kurs bringen will. Aber Ihr Landesverband in Berlin hält am umstrittenen Ausbau der A100 fest. Die CDU setzt weiterhin auf E-Fuels als Alternative zu Elektroautos, obwohl die meisten Experten keine Zukunft für die Antriebsart sehen. Rennt man da als Fahrrad- und Umweltaktivist nicht gegen Mauern?

Ich habe in der CDU viele Menschen kennengelernt, die ihre klimapolitische Verantwortung wahrnehmen, vor allem auf kommunaler Ebene. Zum Beispiel Ulrich Burchardt, den Oberbürgermeister von Konstanz, der 2019 erstmals für eine deutsche Großstadt den Klimanotstand ausgerufen hat. Oder Bertram Fleck, den ehemaligen Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises in Rheinland-Pfalz, der vor 20 Jahren angefangen hat, systematisch die Energiewende voranzutreiben. Der Landkreis ist inzwischen klimaneutral und schuldenfrei.

Einige Aktivisten von Fridays for Future sitzen inzwischen im Bundestag, müssen sich aber den Vorwurf aus der Klimabewegung gefallen lassen, dass sie mit ihren guten Ideen im politischen Betrieb untergehen.

Die Gefahr besteht schon, auch weil die Bundespolitik langsam ist, die Arbeit an Gesetzen Zeit braucht. Klimapolitik findet aber nicht nur in Berlin, sondern auch in Kommunen, Landkreisen und auf Landesebene statt. Denken Sie nur an die Abstandsregeln für Windräder, die zum Beispiel in Bayern die Windkraft ausbremsen. Das sind Kämpfe, die vor Ort ausgefochten werden. Man kann auf Kommunal- und Landespolitiker zugehen, für klimafreundliche Entscheidungen werben, Widerstände abbauen, Rückhalt zusichern. Wenn wir Menschen in unseren unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten es heute nicht schaffen, zu kooperieren, dann werden wir in 20 Jahren auch auf der Seite der Schuldigen stehen und sagen: Wir wussten, was zu tun gewesen wäre, aber wir haben es nicht geschafft, erfolgreich zusammenzuarbeiten.

Und was raten Sie denen, die keiner Partei beitreten wollen?

Sich weiterzubilden, zuzuhören, von andern zu lernen und dann das anschieben, was man sich zutraut. Es gibt so viele gute Ideen und die müssen sich verbreiten. Ich habe in Kressbronn am Bodensee einen Obstbauern kennengelernt, der eine Agri-Photovoltaikanlage auf seinen Apfelwiesen installiert hat. Er sagt, er braucht weniger Fungizide, weil weniger Regen auf die Bäume fällt – und er produziert sauberen Strom. Aktivisten könnten dieses Vorbild unter anderen Obstbauern bekannt machen. Oder sich bei der Energieberatung einbringen, wie zum Beispiel der "Energiekarawane", einer Aktion des kommunalen Klima-Bündnisses. Die Städte zahlen die Erstberatung von Hausbesitzern und konnten die Sanierungsrate so deutlich steigern. Dafür könnte man auch Ehrenamtliche schulen, die von Tür zu Tür ziehen und über Sanierungen aufklären.

Eigentlich ist das eine Aufgabe der Behörden.

Eigentlich ja. Aber ehrlich gesagt ist das doch egal. Wir haben nicht mehr die Zeit, mit den Fingern auf andere zu zeigen.

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Das läuft auf eine Relativierung des Rechtsstaates hinaus. Canabis-Connektion, Religions-Phantasten, RAF-Veganer, Endzeit-Euphoriker, 30 Tage-Adventisten, Gender-Terorroristen, Welt-Konservierer, ..... . Jeder hat recht mit seinen Idealen. Fakt sind jetzt 8 Milliarden und in 80-100 Jahren bis 50 % mehr. Eine Horror-Zukunft, denn Leben bedeutet Verbrauch, Vernichtung und Potenzierung der dramatischen Folgen .. Der Lauf kann weder umgekehrt noch gestoppt, allenfalls verzögert werden. Selbst bei Null läuft aber die Klima-Uhr weiter. Realitätslose Idealisten und Vorgauckler sind eine größere Gefahr als die Ideale, denn die Wunschdenker stellen ihre Werte nicht auf den Prüfstand. Verantwortung ist hohl, wenn man hilflos ist. Es braucht nicht einmal 5 Finger um sich auszurechnen, was eine Wohnverdichtung von 50% mehr in den Städten bedeuteten. Bangladesh hat mit 166 Mio jetzt schon eine Dichte von 1126 pro Q-Kilometer. Wir haben ca. 230. Die Statistik (Google. WIKI) erstickt jede Diskussion. Aber kein MdB, kein Pfarrer wird fordern, dass die Weltbevölkerung mit Minimalkonsum in spätestens 20 Jahren nur noch 4 Milliarden betragen darf, um die Langzeitfolgen überschaubar zu machen. Wieviel Prozent unserer Rohstoffe (Wasser, Öl, Nährböden, Erze) sind denn schon verbraucht? An die Zukunft in 200 Jahren will niemand denken. 2 Langlebige und die Zeit ist verronnen

Wut auf ein Erdbeben zu haben, ist Unsinn. Wut ist eine Emotion, die auch Rache berechtigen könnte. Allerdings setzt die Berechtigung von Wut auf Jemand voraus, dass der auch wusste, etwas Ungerechtes zu tun. Die Wissenschaft hat aber erst vor 50 Jahren damit begonnen, uns die klimatischen Folgen der Zivilisation zu erklären. Selbst wenn alle Politiker der Welt spontan einsichtig geworden wären, Wahlen wären mit dem Aufruf zum 50%igen Konsumverzicht und zur massiven Geburtenreduzierung nicht gewonnen worden. Wer das nicht erkennen will, der hätte mit uns als Weltpolizei eine globale Ökodiktatur fordern müssen. Auch nicht recht weil nicht umsetzbar. Die Aktivisten fordern etwas, was weder die vielen gesellschaftlichen und politischen Kulturen noch die menschlichen Eigenschaften, die überall gleich sind, hergeben. Die Einsicht der Vergänglichkeit ist zuviel verlangt.

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Ja, wenn selbst MdBs unter Wahrnehmungsstörungen leiden, kann keine Kanzel besser sein. Klima! Klima! Es gibt doch noch viel größere oder ähnlich grosse .Probleme. Die Bau- und Infrastruktursubstanz der ganzen Welt ist zeitlich begrenzt, bzw. muss ständig repariert werden. Neue Dächer alle 50 Jahre? LKWs u. PKWs alle 10-20 Jahre? Brücken 40-100 J.? Strassen 10-50 Jahre, Wohnbauten 100 - 150 Jahre, Hochhäuser 70 - 120 Jahre. Alle Dichtungen und Kunststoffe altern rapide. Was sind denn schon 80 Jahre, wenn Gummi nur 15 Jahre die Mindestqualität behält und andere Naturstoffe noch schneller bröckeln oder ein Opfer von Käfern werden! Abwasser- und alle Versorgungsleitungen 100 J. Strom, Versorgung, Kanäle, Maschinen, Eiinrichtungen. Aber ich, ich habe doch noch das Sofa meiner Oma! Damit bin ich doch Vorbild! Die Zeiten sind differenziert, aber es muss alles weitgehend alterungsbeständig störungsfrei sein. Kleinliche Diskussionen um Alterungsintervalle sind müßig. Alles altert. Der Mensch kann sich durch Geburten vervielfältigen. Die Rohstoffe, mit Ausnahme der Erneuerbaren, können das nicht. Das Klima braucht dafür auch Äonen. Und dann erkläre mir mal jemand, wie denn der Rohstoffersatz oder Nachschub für all diese Aufgaben erfolgen soll und gleichzeitig die Bevölkerung um bis zu 50% zunimmt. Da könnte selbst das Klima zweitrangig werden. Klärt doch bitte vorher, wie diese absolut sicher zu erwartende Entwicklung mit den bisherigen Werten in Einklang zu bringen ist. Wozu ist denn sonst eine Synode da, wenn schon die Regierungen vor lauter Angst vor Wahlen die Fragen vermeiden? Das mit dem Verbot von Bratwurst auf einer Synode zu beginnen, ist eine Illusion. Dann doch lieber die Flucht in ein imaginäres Paradies, das aber auch nur dann denkbar (nicht machbar!) ist, wenn alle Menschen auf Knopfdruck besser sind, als es von der Schöpfung vorgesehen ist.

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