Der Meister 
und seine Singer
Der Meister 
und seine Singer
Lena Giovanazz
Der Meister und seine Singer
Einfach wegwerfen? Kommt nicht infrage! Torsten Sauerbrey repariert Nähmaschinen. Und seine Kunden machen damit aus alter Kleidung neue.
Anna-Katharina Schulz
privat
14.02.2020

Torsten Sauerbrey ist zufrieden, wenn er abends seinen Betrieb verlässt "So geht es mir fast immer", sagt er. Das können nicht viele Menschen von sich behaupten. Morgens gegen sieben macht er sich wieder auf den Weg, um seine Werkstatt in Berlin-Kreuzberg aufzuschließen. Müller-Nähmaschinen – steht auf dem Schild an der Eingangstür. Es wirkt provisorisch, seitdem der Altbau saniert wird und die alte Reklame­tafel des Vorvorgängers verschwunden ist. Vor über 100 Jahren wurde die Werkstatt in diesen Räumen eingerichtet.

Gutes Team, die Sauerbreys. Er repariert, sie organisiert und macht die Buchhaltung. Damit es sich rentiert, verleihen und verkaufen sie auch Geräte

In der Nachbarschaft türkische Juweliergeschäfte mit goldglänzenden Auslagen. Ein Bekleidungsgeschäft hat Anziehpuppen in Skinny Jeans vor die Tür gestellt. Sonderangebot, das Stück für 9,90 Euro. Bei Müller-Nähmaschinen im Hochparterre glänzt nichts, und für Fast Fashion hat hier auch niemand etwas übrig. Torsten Sauerbrey hat schon in der DDR Nähmaschinen repariert. Er ist ein Tüftler, einer, der nicht aufgibt und nach Lösungen sucht, auch für die komplizierten Fälle. Der Sinn fürs Tüfteln, fürs Alte und Handwerkliche verbindet ihn mit seinen Kundinnen und Kunden. Auch sie werfen ihre Nähmaschinen, ihre Hosen, Jacken und ­Pullover nicht gleich weg, nur weil sie kaputt sind oder aus der Mode gekommen.

Anna-Katharina Schulz

Claudia Ingenhoven

Claudia Ingenhoven ist Dozentin an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin und will jetzt ihre geerbte Schneiderschere schleifen lassen. Dann kann sie leichter auftrennen, falls sie das Gardinenband noch mal falsch herum aufsteppt.
privat

Lena Giovanazzi

Lena Giovanazzi lebt in Berlin und Freiburg und arbeitet als freie Fotografin vor allem an dokumentarisch-fotografischen Projekten. Sie hat in Mainz Kommunikations-Design und in Berlin an der Ostkreuzschule Fotografie studiert. 

In der DDR hatte sich Torsten Sauerbrey ausschließlich um Haushaltsmaschinen für den privaten Bedarf gekümmert. Nach der Wende wurde Nähen uninteressant, Kleidung gab es von der Stange, in Hülle und Fülle. Er musste lange suchen, bis er als Mechaniker bei Müller-Nähmaschinen anfangen konnte. Nachdem der damalige Inhaber verstorben war, hat er das Geschäft übernommen. Seine Frau Ariane ist als Buchhalterin eingestiegen. Sie organisiert, er repariert. Ihr Handwerksbetrieb mit seinen 150 Quadratmetern muss einiges aufbieten, um rentabel zu bleiben: warten, reparieren, verleihen, verkaufen.

. . . selbst das Pin-up-Girl an der Wand ist verblasst

Im Eingangsbereich stauen sich Haushaltsmaschinen, die repariert sind und abgeholt werden können. Die Auftraggeber sind schon per SMS benachrichtigt worden. Ein Blickfang: die Schränke mit den vielen Schubladen und verglasten Fächern. Sie sind vor Jahrzehnten eigens für diese Werkstatt getischlert worden, Maßarbeit für eine Fülle von Ersatzteilen. Die Etiketten sind mit der Hand beschrieben.

Im größten Raum stehen dicht an dicht die in Tische eingelassenen Industrie­maschinen: Schnellnäher, Bügelmaschinen, eine Riegel­maschine, mit der Gürtelschlaufen am Hosen­bund festgesteppt werden, Kettler, die Stoffe gleichzeitig zusammennähen und ver­säubern. Dahinter liegt der einzige Raum des Geschäfts, zu dem Kunden keinen Zutritt ­haben: die Werkstatt. Die zwei Arbeits­plätze sind ­umgeben von bestimmt 50 Werk­zeugen. Schraubenzieher in jeder Stärke hängen in Reichweite an der Wand, auch Feilen, Löt­kolben, Schutzbrillen. Anlasser, Kabel, ­Lappen, stehen in Kisten und Kästen auf dem Boden. Es riecht nach Maschinenöl, literweise wird es gebraucht. Renoviert wurde hier schon lange nicht mehr, selbst das Pin-up-Girl an der Wand ist verblasst. Außerhalb der Werkstatt ist Torsten Sauerbrey kaum zu ­sehen, höchs­tens, freundlich nickend, auf dem Weg in die Kaffeeküche.

Nur die Elna kommt infrage, ein Schweizer Fabrikat

Aber jetzt möchte eine Kundin den Meister sprechen. Sie fragt ihn nach der Diagnose für das defekte 60er-Jahre-Modell, das sie geerbt hat. Der Motor ist hinüber, ein neuer kostet ­etwa 100 Euro. Die Kundin ist unsicher, die Maschine kann noch nicht mal einen Zickzackstich nähen. Andererseits graut ihr vor ­einer neuen, deren blinkende Digitalanzeige sie nur entschlüsseln kann, wenn sie vorher ein dickes Handbuch durchgearbeitet hat. Torsten Sauerbrey schlägt ihr eine gebrauchte vor, ­ohne Elektronik, zwei stehen zur Auswahl. "Und jetzt ausprobieren", sagt er in das fragende Gesicht der Kundin. "Man muss sich Zeit nehmen für eine Maschine, man muss sich anfreunden mit ihr. Wenn das nicht klappt, dann klappt das auf Dauer auch nicht mit dem Nähen."

Sauerbrey räumt zwischen den großen Industriemaschinen ein Eckchen frei, gibt der Kundin Stoff und Garn, damit sie sich in aller Ruhe mit beiden ­Maschinen vertraut machen kann. Wie sie einzufädeln sind, wie sie sich anfühlen, wie sie beim Nähen klingen. Die Kundin schaut skeptisch, aber nach einer Weile hat der Praxis­test sie überzeugt: nur eine kommt infrage, die Elna, ein Schweizer Fabrikat.

Torsten Sauerbrey hat auch für alte Maschinen Ersatzteile und feilt, biegt und lötet so lange, bis es passt. Dafür braucht es Geduld. Das verbindet ihn mit seinen Kunden. Auch beim  Nähen klappt es nicht immer gleich beim ersten Mal

Marion Czyzykowski bringt seit über 20 Jahren regelmäßig Maschinen aus ihrem Schneideratelier zur Wartung. Es gibt nur noch wenige Fachbetriebe und keinen wie diesen, findet sie. Denn Sauerbrey und sein russischer Mitarbeiter organisieren auch für uralte und sehr spezielle Maschinen Ersatzteile, und sollte das gesuchte Teil wirklich nicht aufzutreiben sein, dann basteln sie eine Alternative. Sie feilen und biegen und löten so lange, bis es passt. Manchmal schlachtet Sauerbrey dafür eine Maschine aus seinem Altbestand aus. Gut, dass sie doch noch nicht auf dem Recyclinghof gelandet ist!

Eine Designerin hat gerade den lang ersehnten Auftrag bekommen, und plötzlich muckt ihre Maschine. Wenn sie jetzt nicht fristgerecht liefert – sie mag gar nicht daran denken. Ariane Sauerbrey hat "EILT" auf den Reparaturzettel geschrieben, der jetzt an der Maschine klebt.

Nicht gleich eine neue kaufen, rät die ­Schneiderin

Zweimal in der Woche fährt Torsten Sauerbrey mit seinem Kollegen raus und wartet die Maschinen der Kunden an Ort und Stelle oder holt sie ab. Zum Beispiel: Justizvollzugsanstalt Tegel, Neuköllner Oper, Betriebswäsche in Falkensee, auch die Bundeswehr in Storkow. Ziemlich weite Wege, aber kein Problem für die Mechaniker. Das Einzige, was Sauerbrey an seiner Arbeit nervt, ist die Zahlungsmoral einiger Kunden. "Manche behaupten einfach, sie hätten die Rechnung nicht gekriegt. Und wenn wir sie ihnen noch mal schicken, zahlen sie trotzdem nicht. So was will mir nicht in den Kopp." Im Regal stehen Maschinen, die längst repariert sind, aber nicht abgeholt wurden. Einige stauben seit Jahren vor sich hin und nehmen Platz weg. Ariane Sauerbrey zeigt auf die vergilbten Reparaturzettel. Am liebsten würde sie die Sachen wegschmeißen, aber die vorgeschriebene Aufbewahrungsfrist werde unterschiedlich ausgelegt, da will sie sich keinen Zoff einhandeln.

Marion Czyzykowski, die Schneiderin, schickt immer wieder junge Frauen zu Müller-­Nähmaschinen, die sie in ihren Kursen an der Volkshochschule unterrichtet. Oft haben sie eine alte Pfaff, Singer oder Veritas geerbt, aber die stottert oder funktioniert nicht mehr. Nicht gleich eine neue kaufen, rät die ­Schneiderin, die alten Maschinen verfügen meist über eine solide Mechanik, so dass sich die Reparatur lohnt. Genau die Devise von Tors­ten Sauerbrey. Klar, er repariert auch Sonderangebote aus dem Supermarkt. Aber günstig gekauft ist nicht günstig repariert. Manchmal dauert es ewig, die verschweißten Plastikteile voneinander zu trennen. Bei einer alten Maschine sind nur die Schrauben zu lösen, schon hat er den Motor in der Hand.

Alte Maschinen sind oft einfacher zu reparieren als moderne, sagen Sauerbrey und sein Mitarbeiter. Bei den alten müssen sie nur die Schrauben lösen und haben den Motor in der Hand. Bei neuen, billigen Modellen müssen sie mühsam die verschweißten Plastik teile trennen

Marion Czyzykowski bietet mehrere Kurse an, und sie sind derzeit immer ausgebucht. Upcycling heißt einer. Die jungen Frauen und auch einige Männer wollen lernen, wie man alte Textilien verwerten kann. Aus dem ­guten Hemd soll eine Kinderhose werden, aus dem Wollpullover mit abgestoßenen Kanten wenigstens noch eine Mütze. Nur fix muss es gehen, stellt die Dozentin immer wieder fest, die Teilnehmerinnen sind schnell frustriert. Viele haben sich im Internet einen fehlerhaften Schnitt heruntergeladen. Oder die Beschreibung war ihnen zu kompliziert. Marion Czyzykowski verhilft ihnen zu mehr Aus­dauer, motiviert sie, nicht gleich aufzugeben, noch mal nachzumessen.

Abwinken? Nicht in diesem Laden

In einem anderen Kurs versammeln sich eher die Individualisten und lernen, selbst ­einen Schnitt zu entwerfen. Sie haben nichts übrig für den schnellen Einkauf von T-Shirts aus Bangladesch, sie möchten etwas Eigenes entwickeln. Ihnen geht es um das originelle Teil, aber auch um das Davor, das Zu­schneiden, Heften, Nähen, um die kreative Handarbeit. Auch wenn niemand groß von Nachhaltigkeit spricht − das alltägliche Bemühen darum verbindet die Sauerbreys mit ihren Kunden. Sie nehmen sich Zeit, beim Nähen wie beim ­Reparieren. "Was von Dauer sein soll, dauert eben. Das wissen die meisten Kunden, und ­dafür zahlen sie dann auch einen Taler mehr", sagt Torsten Sauerbrey.

Eine der Individualistinnen holt ­ihre frisch reparierte Maschine ab. Sie kauft mit Vorliebe ausgefallene ­Kleidungsstücke in Secondhand­läden, die sie sich dann auf den Leib ­schneidert. Ihre große Befürchtung war, dass die Mechaniker vielleicht abwinken: nichts mehr zu machen. Abwinken? Nicht in diesem Laden. Die Kundin umarmt ihre Maschine fast vor Begeisterung. Genau das macht doch den Reiz aus, sagt Torsten Sauer­brey, ein ­mechanisches Problem zu lösen, bei dem andere schon aufgegeben hätten. Er nennt es seinen Wohlfühlfaktor.

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