Doppelpunkt Illustration zum Thema 'Bezahlen mit Bargeld'
Doppelpunkt Illustration zum Thema 'Bezahlen mit Bargeld'
Doro Spiro
Moment, ich hab’s klein
Banken und Politiker wollen Münzen und Geldscheine abschaffen – aus fadenscheinigen Gründen. Eine Liebeserklärung ans Bargeld
Oliver Beckmann
26.07.2017

"Macht dann 17,80", sagt die reizende Marktfrau am Obst- und Gemüsestand und reicht mir drei große Tüten über die Auslage. "Übrigens können Sie ab sofort bei uns auch mit Karte zahlen." Strahlendes Lächeln, schönes Wochenende, ja, Ihnen auch. "Das ist ja toll", hatte ich reflexartig geantwortet, aber als ich kurz darauf die 3,90 für einen Kaffee und eine Thüringer aus der Hosen­tasche krame ("Ich schau mal, ob ich’s passend habe"), denke ich: Schon irgendwie auch ganz nett, Bargeld ­in der Hand zu haben, und: Wenn ich jetzt auch auf dem Wochenmarkt mit Karte zahle, dann poppt bei meinem nächsten Amazon-Besuch gar nicht zufällig dieser Werbebanner auf: "Die schönsten Zucchinirezepte mit Knoblauch und frischem Oregano."

Natürlich liegen die Vorteile von bargeldloser Zahlung auf der Hand, und niemand möchte auf Reisen ­seine Kreditkarte wieder gegen ­einen Lederbrustbeutel mit einem Abreißblock Traveller’s Cheques eintauschen. ­Niemand möchte nach einer erfolgreichen eBay-Auktion von Flensburg an den Bodensee reisen, um dort ­den Kauf in kleinen Scheinen abzuwickeln. Und ohne die Erfindung des Dauerauftrags würde so mancher von uns aus reiner Vergesslichkeit immer mal wieder ohne Strom und Wasser zu Hause sitzen.

Oliver Beckmann

Mark Kuntz

Mark Kuntz, geboren 1962 in Hamburg, studierte Psychologie. Er war stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift "Brigitte", arbeitet heute als freier Journalist und Autor. In seinem Buch "Der letzte Raucher" muss der Protagonist Fragen zum Suchtverhalten beantworten - weil er mit einer Geldkarte bezahlt

Dennoch kennt jeder das Gefühl, sich ohne Bargeld im Portemonnaie oder in der Hosentasche irgendwie nackt zu fühlen. Und nimmt mit ­leisem Befremden und zunehmender Verärgerung zur Kenntnis, dass es offenbar ein großes Interesse daran gibt, Scheine und Münzen ganz abzuschaffen. Die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, zunächst  die 500-Euro-Scheine aus dem Verkehr zu ziehen, mit der Begründung, man könne damit Verbrechen wie Geld­­wäsche, Terror, Schmuggel, ­Drogenhandel und Steuerhinter­ziehung massiv eindämmen, ist längst als Scheinargument entlarvt: Nachweislich fühlen sich Kriminelle nicht nur mit einem Geldkoffer, sondern auch im Netz ziemlich wohl. Die Banken ihrerseits fürchten, keine Negativzinsen mehr einnehmen zu können, wenn ihre Kunden die Konten leer räumen und ihr Geld so lange wieder unter der Matratze horten. 

Aber darum geht es ja nicht nur. Es geht auch darum, dass uns Kunden und Geldbesitzern etwas genommen werden soll, das ganz elementar (zu) uns gehört. Und das hat nichts mit schnöder Mammonverehrung zu tun, sondern damit, dass unser Geld nicht nur einen monetären Wert hat, sondern auch eine psychologische und emotionale Bedeutung, und, ja, durchaus auch eine Sinnlichkeit ausstrahlt. 

Den wunderbaren Klang von Münzen beispielsweise – natürlich nicht so, wie Dagobert Duck ihn schätzt – haben sicher noch alle in Erinnerung, die in Telefonzellen nachts versucht haben, mit den letzten beiden Münzen jemanden zu erreichen, der einen abholt. Der doch noch Zeit hat. Noch mal über alles reden will. Wie erlösend das Geräusch, wenn die Münzen endlich, ohne hängen zu bleiben, durch den Schacht fielen und das Freizeichen ertönte und dann eine Stimme: "Hallo, ich dachte, du rufst nicht mehr an, wo bist du?" Mit der Einführung der Telefonkarte war es mit der Groschenromantik ein für alle Mal vorbei. Und die Romantik der Telefonkarte hielt auch nur we­nige Jahre.

Kriminelle fühlen sich nicht nur mit Geldkoffer, sondern auch im Netz pudelwohl

Geld in der Hand zu halten, fühlt sich immer besonders an. An der Kasse zu stehen und für die neuen Wild­lederstiefel, die sehr cool sind, so dringend aber nicht nötig wären, mehrere 50-Euro-Scheine in die Hand zu nehmen und "auszugeben", führt unweigerlich zu einem nervösen Kribbeln im Bauch. Das stellt sich nicht ein, wenn ich eine PIN eintippe. Und natürlich finden Enkel in dem Brief ihrer Großeltern einen Geldschein und nicht den Satz: "Alles Liebe zum Geburtstag, den Betrag in Höhe von 20 Euro haben wir Dir auf Dein Füchsleinkonto überwiesen." Zu Studentenzeiten reichte ein Griff in die Hosentasche oder ein Blick ins Portemonnaie, und der darbende Kommilitone wusste: bis ­Monatsende erst mal keine Kneipe mehr. Er spürte, ob er noch Geld hatte oder eben kaum noch.

Bargeld gibt Sicherheit. Als New York noch als richtig gefährlich galt, wurde Touristen geraten, immer ein paar Dollarscheine in der Hosen­tasche dabeizuhaben, um im Falle eines ­Straßenüberfalls die Diebe schnell zufriedenstellen zu können und ­keine Frustübergriffe zu ris­kieren, weil es nichts zu holen gab. Das kann auch heute auf dem Frankfurter Kiez oder in der Altstadt von Neapel durchaus zur Entschärfung einer brenzligen Situation beitragen. Werden die Diebe in Zukunft ein Kartenlesegerät dabeihaben?

Bargeld ist Teil unserer kulturellen Identität, das spüren alle, die mit der D-Mark groß geworden sind und zum Euro keine wirkliche Beziehung entwickeln können. Als Teil der euro­päischen Idee schon, aber nicht zu den Münzen oder den Scheinen. Der Euro wird für sie immer ein ­bisschen Monopoly-Geld bleiben, so wie wenn unsere Familie früher im Urlaub war und seltsam fremde Scheine in den Händen hielt. Nicht umsonst haben wir Deutsche unserem Geld Spitz­namen gegeben wie einem Freund: Das 5-Mark-Stück hieß Heiermann, der 50-Mark-Schein Fuffi, der 100-Mark-Schein war ein Blauer. Und nun nennen Sie mir einmal die Spitz­namen für die Euroscheine!

Wie soll das funktio­nie­ren ohne Bargeld?

Unsere Beziehung zum Bargeld hat aber auch, und das ist vielleicht am wichtigsten, mit Anerkennung und Wertschätzung, mit Freiheit und Autonomie zu tun. Es ist noch gar nicht so lange her, da haben viele Menschen den Lohn ihrer Arbeit direkt beim Arbeitgeber am Ersten eines Monats in einer Tüte entgegengenommen. Als Werkstudent in einem Gartenversand erhielt ich mein Geld sogar wöchentlich, freitags mittags, penibel abgezählt, in einem handbeschriebenen Papierumschlag. Die Zeit will man nicht zurückhaben, aber: Für das, was man geleistet hat, gut und fair entlohnt zu werden, hat nach wie vor mit Wertschätzung und Autonomie zu tun. Ich bin gut in dem, was ich leiste, und dafür bekomme ich – unter anderem – auch Geld. Und mit diesem Geld kann ich tun oder lassen, was ich will. Es ist mein Geld. Es gibt mir etwas Freiheit und Selbstbestimmtheit. 

Und es liegt in der Natur des Menschen, dass wir diese Freiheit und Selbstbestimmtheit auch spüren und in den Händen halten wollen. So ­wie der Schüler, der das ganze Jahr morgens Zeitungen ausgetragen hat und vor Weihnachten einen Umschlag im Briefkasten findet: "Vielen Dank für die pünktliche Lieferung. Das ganze Jahr. Jeden Morgen. Toll. Frohe Weihnachten, Ihre Familie Lohmann." Und dazu einen Zehner. Da freut er sich, den hat er sich verdient, den kann er ausgeben, wofür er will, es ist die erste Unabhängigkeit von seinen Eltern.

Wie soll das eigentlich funktio­nie­ren, sollte es tatsächlich einmal kein Bargeld mehr geben? Werfen wir dem Straßenmusiker, der gerade "­Heart of Gold" so herzzerreißend schön ­gespielt hat, frisches Obst statt einer Euromünze in den Gitarrenkoffer? Oder eine Einzugsermächtigung? 

Alles, was uns als Kunden, als Arbeitnehmer, als Verkäufer das Leben leichter macht, darf und soll gern online, mit Karte oder Scan-Code ­laufen. Schön und gut. Und wenn ­Bargeld in ein paar Jahren das neue Vinyl ist – auch gut. Aber es muss uns überlassen bleiben, wie wir zahlen. Auf dem Flohmarkt möchte ich entscheiden, ob ich für "Wish You Were Here" in Vinyl tatsächlich 22 Euro hinlegen will. Und wenn ich nur einen "Zwanni" dabeihabe, und der Verkäufer sagt: "Schon okay, gib mir den Zwanni", dann gehört es sich nicht, wenn dieser schöne kleine Deal irgendwo digital dokumentiert wird. 

Es sind keine ominösen, kriminellen Zahlungsgänge, um die es hier geht. Sondern um unsere Privat-, ­unsere Intimsphäre. Um Geld, das nicht in Fonds angelegt ist, das nicht von Fondsmanagern "verwaltet" oder von einer Versicherung verzockt wird. Geld, dass nur uns gehört und das wir in der Hand halten, sparen oder ausgeben können, wie wir wollen. Es geht niemanden etwas an. Wir haben es uns verdient. Wir können damit ­machen, was wir wollen. Diese Freiheit lasse ich mir nicht nehmen. 

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Zu o.g. Artikel möchte ich noch anmerken, dass die Banken sehr viel davon profitieren werden. Wenn man z.B. auf den Wochenmarkt geht, und bei mehreren Händlern seinen Einkauf tätigt: hier Eier, dort Obst, dort Gemüse, dort Fisch, dort Fleisch u. Wurst, usw., fallen durch das viele Bezahlen der Klein(st)beträge per Karte dann bei den Lastschriftabbuchungen der Bank ja jedesmal Gebühren an. Das läppert sich, und verteuert den Einkauf mächtig. Vorher hat man ja nur einmal das Bargeld abgehoben und nur einmal die Gebühr bezahlt. Übrigens bezahlen die Händler ja auch noch Gebühren für das Verfahren.

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Dass etliche Banker, Ökonomen und Politiker auf Bargeld verzichten möchten, um das Geld im Bankensystem zu halten, ist aus ihrer Sicht verständlich.
Der Verbraucher allerdings hält nicht viel davon, sieht mehr Nach- als Vorteile ohne Münzen und Scheine in seinem Portemonnaie. So verliert er vor allem leichter die Übersicht über sein Vermögen und ist geneigt, schneller Geld auszugeben.
Schon Kinder sollten frühzeitig lernen, mit Geld umzugehen. Dies wird ihnen erheblich erleichtert, wenn sie mit Bargeld hantieren können. Sie sehen die Münzen und vielleicht auch Scheine in ihrem Sparschwein, erfüllen sich damit kleine Wünsche, sind stets in der Lage zu wissen, über wieviel Geld sie noch verfügen können. Das macht nicht nur Spaß, sondern erzieht auch zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld.
Für viele Kinder, aber auch Erwachsene, die dazu neigen, über ihre Verhältnisse zu leben, wäre es sicherlich nicht gut, sie alles mit einer Scheckkarte bezahlen zu lassen. Sie würden leicht die Übersicht über ihr noch vorhandenes Geld verlieren, somit durch Schulden ihr Leben mehr oder weniger stark beeinträchtigen.
Die „Liebeserklärung“ des Autors Mark Kunz an das Bargeld kann man daher nur begrüßen, kommt es doch den Bedürfnissen der meisten Menschen sehr entgegen.

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