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"Ich habe ein Buch, eine Uhr, aber einen Gott habe ich nicht"
Einen Gott kann man nicht haben, nur suchen, findet der Schriftsteller SAID, und er sucht weiter. Denn an irgendetwas muss der Mensch doch glauben
Privat
21.03.2017

chrismon: Sie definieren sich selbst als Agnos­tiker, schreiben aber viel über Reli­gionen. Wie passt das zusammen?

SAID: Ich muss zugeben: mit viel Kummer. Ich hätte gerne einen Gott. Wer ­einen Gott hat, hat es leichter als der, der keinen hat. Ich bin zwar Agnostiker, aber ich glaube, dass es etwas anderes gibt außer der Materie. Auf einer Lesung fragte mich ein Mann: „Haben Sie einen Gott? Ja oder nein?“ Ich habe geantwortet, ich hätte eine Krawatte, ein Buch, eine Uhr, aber nein, einen Gott hätte ich nicht. Ob er einen hätte? „Ja!“ – Also fragte ich: „Wo haben Sie ihn ­ge­kauft?“ Es gab einen Riesenkrach, der Moderator musste das Gespräch abbrechen. Kann man einen Gott haben? Nein. Ich glaube, einen Gott kann man nur suchen.  

Wonach suchen Sie?

Es gibt darauf keine einfache Antwort. Jeder ist ein Suchender. In der Bibel steht, die Sonne scheint auf Gerechte und Ungerechte. Ich frage immer polemisch: Glauben Sie, wenn Sie in die Kirche gehen, beten und eine Kerze spenden, dass Sie direkt ins Paradies kommen? Und ich, der ich gar nicht in die Kirche gehe, oder nur aus kunsthistorischen Gründen, sollte direkt in die Hölle kommen? Was ist das für ein Gott, der solche Entscheidungen trifft? Anders ausgedrückt, mit den Worten Rainer Maria Rilkes, es geht um „die großen niemals werbenden Götter“. Was sollte das für ein Gott sein, der per­manent um mich wirbt? Komm in meine Kirche, komm in meine Moschee. Das ist eher ein Discountladen. Mit diesen Apparaten tue ich mich schwer.

Sollte man sie abschaffen?

Nein. Sie sind nötig, um Werte in der Gesellschaft zu erhalten, selbst wenn sie nicht mit der von mir ersehnten Spiritualität übereinstimmen. So auch im Islam, auch im Judentum – in den drei monotheistischen Religionen, die anderen sind sowieso freier. Ich als erklärter Gegner der Islamischen Republik sage, wenn diese Mullahs nicht da gewesen wären, wäre noch viel mehr Blut geflossen, denn Apparate sorgen für eine gewisse Ordnung.

Die Zahl der Kirchgänger hat rapide abgenommen. Droht mit leeren Kirchen der Verlust einer solchen Ordnung?

Das ist ein Problem der katholischen Kirche, weswegen einige ihrer Vertreter gelegentlich rabiat gegen den Islam wettern, weil ihre Kirchen leer stehen, die Moscheen hingegen voll sind. Eine US-amerikanische Studie hat herausgefunden, dass nirgends in den islamischen Ländern die Moscheen so leer sind wie in Iran. Dort also, wo die Islamische Republik an der Macht ist und die Religion die Rolle einer Befreiungsbewegung übernommen hat. Die europäischen Kirchen leiden zum einen an der missverstandenen Aufklärung. Das Einzige, was Kant wollte, ist frei denken. Weg von den Dogmen der Kirche. Und genau das hat man nicht verstanden. Man hat es so aufgenommen, als wären die Kirchen nichtig geworden. Zum anderen leiden die Kirchen an dem „Ich habe alles“ einer übersättigten Gesellschaft. Ich finde ja, die schönsten Geschichten hat die Bibel geschrieben – und das schönste jemals verfasste Gedicht ist das Hohelied Salomos. Warum sollten die Menschen sich davon loslösen?

"Die Kombination Macht und Religion ist tödlich"

Viele tun es.

Oberflächlich vielleicht, es ist auch Mode. Jeder, der zwei Semester Germanistik oder Chemie studiert hat, schreit: „Es gibt keinen Gott, ich brauche keinen Gott.“ Was braucht man sonst? Ein Konto, ein Zweithandy? Reicht das? Es kommt ja nicht von ungefähr, dass man an etwas glauben will, wenn man alt und gebrechlich geworden ist.

Davon mal abgesehen: Das Grundgesetz Deutschlands, eines der demokratischsten Dokumente überhaupt, wäre ohne den Ursprung der ethischen Werte aus der Bibel nicht denkbar. Du sollst nicht töten, nur um ein Beispiel zu nennen. Die entscheidende Wirkung der Religion ist die Ethik. Ich jedenfalls denke nicht, dass der Mensch ganz ohne eine Suche nach einem tieferen Sinn auskommt. Ich habe einem Priester, mit dem ich über meine Psalmen gesprochen habe, gesagt: „Ich glaube an keinen Gott.“ Und er erwiderte zu Recht: „Doch! Sie glauben an Gott. Sonst hätten Sie die Psalmen* nicht geschrieben.“

Warum haben Sie sie denn geschrieben?

Ich bin in einer Zeit in Iran aufgewachsen, als die Religionen respektiert wurden, ich betone den Plural. Das ist heute nicht mehr der Fall. Alle sind säuberlich voneinander getrennt. Ich fragte mich, wieso man im Namen Gottes massenweise Menschen hinrichten kann. Kann man Gott lieben und seine Geschöpfe hassen? Ich wollte meine Religiosität gegenüber den Mullahs schützen. Als Kind ging ich gerne in die Moschee. Das waren Orte für alle. Leute, die kein Geld hatten, haben sich dort mittags irgendwohin gelegt und geschlafen. Und für die Nacht haben sie eine Decke bekommen. Heute nicht. Wenn Sie heute in Teheran dreimal in eine bestimmte Moschee gehen, weiß jeder, welcher Partei Sie angehören. Da wird die Religion aufgehoben.

Die Kombination Macht und Religion ist tödlich. Überall, zu jeder Zeit, in Europa, in Iran, in Israel auch. Ich schrieb Psalmen, weil der Prophet David in ihnen mit Gott spricht. Auf Augenhöhe, voller Grausamkeit: „Herr zerschlage, zermalme meine Feinde“, sagt er. Ohne Unterwürfigkeit, ohne Hybris. Ein gleichgestelltes „Lass uns reden“. Nachdem ich das Buch geschrieben hatte, war ich erleichtert, ein gewisser Druck war weg. Denn ich wollte zwei Dinge und habe sie erreicht: meine Religiosität bewahren und mich klar von den Machthabern differenzieren.

Viele Europäer haben Angst vor dem Islam  – aber wollen sie auch mehr darüber wissen?

Man spricht oft von islamischem Fundamentalismus. Und wenn ich auf Lesungen danach gefragt werde, sage ich immer: „Ja, der militante Islamismus ist furchtbar, insbesondere wenn er sich christlicher Waffen bedient.“ Der islamistische Terrorismus lebt von christlichen, amerikanischen, deutschen Waffen. Man verkauft Waffen und bejammert dann den Krieg. Das ist die europäische Selbsttäuschung. Das hat nichts mit Religion zu tun, mit gar keiner, sondern mit der Wirtschaft.

Mein Europa, ich sage ganz bewusst „Mein Europa“, müsste ein bisschen mehr sein als ein wirtschaftlicher Standpunkt. Ich habe diesen Kontinent wegen seiner Ausstrahlung geliebt, nicht weil es hier bessere Waffen und schnellere Autos gab. Europa hatte eine Botschaft, die uns junge Iraner begeistert hat. Die Französische Revolution mit ihren Werten, der Freiheit, der Gleichheit und Brüderlichkeit, spielte selbst in der persischen, türkischen oder arabischen Kultur eine immense Rolle. Das war für uns entscheidend.

Aber?

Die EU ist ein rechnender Apparat. Der letzte gewählte malische Präsident hat es offen angesprochen: „Warum soll ich etwas gegen die Flüchtlinge unternehmen? Die EU-Subventionen machen un­sere Bananenproduktion zunichte. Dann müssen sie doch irgendwohin gehen.“ Um nochmals auf die Religion zurückzukommen: Der Islam hat die Rolle ­einer Befreiungsbewegung übernommen, – leider. Das ist nicht die Aufgabe von Religion. Eine Religion muss Religion bleiben. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Aber besonders in der arabischen Welt hat man nach dem Versagen des Nationalismus, siehe Gamal Abdel Nasser in Ägypten, das Gefühl bekommen, man müsse etwas verändern. Man dachte zurück, man schaute zurück, dort lag der Islam, man fing an, den Koran zu interpretieren, und wer interpretiert, kommt dorthin, wo er will. So hat der Islam eine ganz andere Rolle übernommen, die, wenn man mich fragt, der Religion sehr geschadet hat.

*SAID: Psalmen, 112 Seiten, 14,95 Euro, erschienen 2007 bei C.H. Beck

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Dieser Mensch gefällt mir sehr.

Gott ist Vernunft, die unkorrumpierbare Vernunft des Geistes, also hast Du SAID mehr Gott als die Kirchgänger in Dir.

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