Hof Prädikow in Brandenburg. Vor wenigen Jahren noch vom Verfall bedroht, heute ein Zukunftsort
Netzwerk Zukunftsorte
"Netzwerk Zukunftsorte"
Parship-Agentur für leere Gebäude und kreative Menschen
Sie stehen leer und sie verfallen: ehemalige Schulen oder Fabriken, Gutshäuser oder Bahnhöfe auf dem Land. Das "Netzwerk Zukunftsorte" hat Gegenstrategien entwickelt. Erfolgreich, sagt Stadtplanerin Andrea Nickisch
Tim Wegner
25.04.2024
4Min

Zum Beispiel die Kleinstadt Angermünde. Um die 13 700 Menschen leben hier auf der flächenmäßig größten Gemeinde in ganz Deutschland an seinem äußersten östlichen Rand in der Uckermark. Nur 40 km sind es von hier bis zur polnischen Grenze. 

Leerstand von Gebäuden? In dieser Region spätestens seit der Wende kein Einzelfall. Doch in Angermünde gibt es einen findigen Bürgermeister. Frederik Bewer ist sein Name, seit 2016 steht er an der Spitze der Stadtverwaltung. Und er findet: Kommunen sind kein „Wirtschaftsunternehmen“; sie müssen nicht aus "jeder Immobilie jeden Euro rausquetschen", sondern können das Gemeinwohlinteresse an Gebäuden in den Vordergrund stellen.

Ich kenne Frederik Bewer nicht und ich war (leider) bisher noch nicht Angermünde, aber ich habe einiges gehört von der Stadt und ihrem kreativen Bürgermeister in der letzten Woche bei meinem Gespräch mit Andrea Nickisch vom Netzwerk Zukunftsorte. Andrea berät Angermünde und den Bürgermeister, damit dort noch mehr Gebäude wieder zu neuem Leben erweckt werden. Leerstandsmatching nennt sich so etwas heute, also eine Art Parship für leere Gebäude und kreative Menschen. 

Und es geht um den Wissenstransfer im Umgang mit Leerstand, Um- und Weiternutzung. Das Zauberwort hier lautet: Konzeptverfahren, berichtet mir Stadtplanerin Andrea. Nicht der Meistbietende bekommt den Zuschlag, sondern der Mensch oder eben meist die Gruppe mit der besten Idee für die Weiterentwicklung des Ortes ganz im Sinne der Gemeinschaft der Menschen, die drumherum leben: gemeinwohlorientiert eben. In vielen Großstädten sind Konzeptverfahren heute üblich. So war es beim meinem Ehrenamtsprojekt Gröninger Hof eG in Hamburg (wir bauen ein altes Park- zu einem Wohnhaus um), oder auch in Krefeld, wo auf dem Gelände einer ehemaligen und heute so benannten Samtweberei ein lebendiger Nachbarschaftsort für Wohnen und Arbeit entsteht. 

Auf dem Land dagegen sind Konzeptverfahren in den Verwaltungen noch relativ unbekannt. Damit sich das ändert, hat sich 2018 der Verein Zukunftsorte gegründet.  Es vernetzt und begleitet Impulsorte im ländlichen Raum, bündelt ihr Erfahrungswissen und es unterstützt Kommunen und Immobilienbesitzer*innen dabei, neue Wege zu gehen. Mit dabei sind mittlerweile über 70 Zukunfts- und Kreativorte in ganz Deutschland

Die Keimzelle des Vereins ist der Hof Prädikow größter Vierseitenhof Brandenburgs, s. Foto oben. Vor der Wende war das Gut ein lebendiger Arbeitsort, an dem das Dorf zusammen kam. Dann kamen mit Ende der DDR auch der Zusammenbruch des landwirtschaftlichen Betriebs, Leerstand, Verfall. Rettung nahte durch eine Initiative aus Berlin und Umgebung: sie entdeckten den verwunschenen Ort und erkannten die Potentiale. Heute leben in Prädikow 50 Erwachsene, 25 Kinder und 20 Tiere. Die Scheune ist renoviert und zum regionalen Kultur- und Bildungsort geworden. Zwei der Initiatoren gründeten auch das Netzwerk Zukunftsorte, dass heute hier seinen Sitz hat.

Prädikow wird von der Selbstbau eG aus Berlin mit verwaltet, ganz ähnlich wie das Gut Blankenfelde - eine Folge meiner Wohnglück-Reihe in chrismon

Noch ganz in den Anfängen - die Komturei in Werben

Ein gewaltiges Projekt ist auch die Entwicklung der verlassenen Komturei in Werben. Nur 1000 Menschen leben in der alten Hansestadt an der Elbe in der Altmark. Der mächtige Bau der Komturei geht zurück aufs 12. Jahrhundert, als der Johanniterorden hier seine erste große Niederlassung in Norddeutschland gründete und zur eigenen Versorgung einen großen Wirtschaftshofkomplex, eben die Komturei, baute. 

Jahrzehntelang standen die Gebäude auf dem 7500 m² großen Gelände leer, dann kauften drei Berliner Architekten das Grundstück und jetzt wird die Komturei zum Zukunftsort im Netzwerk. Andrea war schon da, hat mitgemacht bei Workshops und dabei mitgeholfen, dass aus den vielen Ideen auf dem alten Gelände auch eine Realität werden kann. 

Arbeiten und Netzwerken in den Räumen der Komturei in Werben, Sachsen-Anhalt

Die Hauptaufgabe des Netzwerkes Zukunftsorte sieht Andrea in: „Aufklären und Vernetzen“. Wissen über die vielen Möglichkeiten, die eine Konzeptvergabe eröffnet; Wissen um Fördermittel, Wissen um regionale Best-Practice-Beispiele, die dazu beitragen können, die eigene Bevölkerung zu überzeugen. Und auch Wissen um die vielen Fallen, die sich begeisterten, und manchmal auch etwas naiven Menschen aus der Großstadt stellen, wenn sie so ein verwunschenes Gelände entdecken und finden: "Ist ja super hier, dass bauen wir mal aus!" 

Einfach ist da in der Regel nichts. Es dauert immer länger, wird immer teurer und längst nicht immer stoßen hippe Stadtmenschen auf pure Begeisterung bei einer Landbevölkerung, die sich oft vergessen fühlt. Auch da hilft das Netzwerk: Aufklären und vernetzen, eben.  

chrismon-Lesetipp zu einem bestehenden Zukunftsort: Eine Reportage vom Kulturbahnhof Leisnig

Wer weiter lesen will: Klickt euch rein zur wirklich kreativen Webseite mit Wissensplattform (der allerdings eine gute Suchfunktion gut täte); es gibt toll gemachte Hefte zum Bestellen und es gibt vor allem das Team mit Menschen wie Andrea Nickisch, die beraten und helfen; auch und vor allem Politik und Verwaltung (s. Kommunen- Netzwerk für Gestaltungsräume; da ist auch der anfangs erwähnte Frederik Bewer aus Angermünde dabei). 

Denn eines ist klar: Leerstand und Verfall sind kein unabwendbares Schicksal. Es lässt sich was tun. 

PS: 
Kennengelernt habe ich Andrea und andere tolle Menschen beim Jahrestreffen vom Netzwerk Immovielien, über das ich an dieser Stelle schon öfter berichtet habe (chrismon-live Webinar mit Netzwerk-Vorstand Jörn Luft). So wie ich, kann jeder und jede Mitglied werden. Bringt Spaß und viele gute Ideen. 

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Kolumne

Dorothea Heintze

Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß aus eigener Erfahrung: Das eigene Wohnglück finden ist gar nicht so einfach. Dabei gibt es tolle, neue Modelle. Aber viele kennen die nicht. Und die Politik hinkt der Entwicklung sowieso hinterher. Über all das schreibt sie hier.