Trost braucht nicht viele Worte
Wie können wir helfen, wenn anderen Schlimmes passiert? Vielleicht hilft nur: das Leid und die Trauer mit aushalten.
Thomas Meyer/Ostkreuz
25.03.2020

Vorgelesen: Auf ein Wort "Trost braucht nicht viele Worte"

Nahezu jeder kennt die Situation. Ein Mensch sitzt vor dir, dem Unheil widerfahren ist. Er muss den Tod eines lieben Menschen verkraften oder eine schlimme Diagnose. Oder er erlebt ein tiefes Gefühl der Traurigkeit oder eine Verzweiflung, für die keine Gründe benannt werden können.

Thomas Meyer/Ostkreuz

Heinrich Bedford-Strohm

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Jahrgang 1960, ist seit 2011 Landes­bischof der Evangelisch-Lutherischen ­Kirche in Bayern. Bis November 2021 war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Herausgeber des Magazins chrismon. Bevor er Bischof wurde, war er an der Universität Bamberg Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen.

Abgründe tun sich auf. Tränen fließen. Manchmal ist es auch ein Schweigen, das noch schwerer zu ertragen ist. Was tun in einer solchen Situation? Oft genug reagieren wir hilflos. Das rechte Wort fällt uns nicht ein. Oder die Worte, die wir finden, trösten nicht, machen die Situation vielleicht noch schlimmer.

Menschen, die einen Todesfall in der Familie zu verkraften hatten, berichten, dass Bekannte, die sie aus der Ferne sehen, die Straßenseite wechseln. Aus Unsicherheit. Und eine Mutter, die ihr Kind bei einem Unfall verloren hatte, sagte mir einmal: Das Schlimmste waren die vorschnellen Trostworte. "Alles wird wieder gut." – "Es hat alles seinen Sinn, auch wenn wir ihn jetzt nicht erkennen können." Nein: Nichts wird gut! Und was soll das für ein Sinn sein, wenn ich meine über alles geliebte Tochter verliere?

Worte aus der Bibel leihen

Was hilft: das Leiden auszuhalten. Die Trauer mit dem betroffenen Menschen einfach mitzutragen, und wer nicht selbst Worte findet, kann sie sich leihen. Zum Beispiel aus der Bibel. Zu den biblischen Worten, die mich am meisten berühren, gehören die Worte, die der Verzweiflung Raum geben. Wir finden sie an vielen Stellen in der Bibel. Etwa in den Psalmen.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver­lassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des ­Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe." So heißt es im Psalm 22. ­Jesus ­Chris­tus selbst hat sich diese Worte in der Stunde seiner größten Not geliehen. Nach dem Matthäus­evangelium sind es seine letzten Worte am Kreuz. Man muss sich das einmal klarmachen: Der Mensch, den wir Gottes Sohn ­nennen, in dem Gott uns in menschlicher Gestalt be­gegnet, stößt diesen Verzweiflungsschrei aus, einen Schrei der Gottverlassenheit. Keine billigen Trostworte von irgendwem. Nur Dunkelheit und Tod.

Karfreitag ist eine Schule des Lebens

Es ist gut, dass wir in Deutschland einen gesetzlichen Feiertag haben, der an Jesu qualvolles Sterben erinnert und daran, dass wir manchmal gezwungen sind, Leid zu er­tragen. Sich auf den Karfreitag einzulassen, ist ­eine Schule des Lebens. Sie lehrt uns, mit unseren Erfahrungen von Ohnmacht klarzukommen. Sie lehrt uns, der Ver­suchung zu widerstehen, diese Erfahrungen oberflächlich weg­zureden. Denn dadurch werden sie umso mächtiger. Das gilt für persönliche Leiderfahrungen. Es gilt aber auch für den Umgang mit öffentlichem Erschrecken und öffent­licher Trauer wie nach dem rechtsradikalen Terror­anschlag von Hanau.

Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat einmal geschrieben: "Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen." Er wusste, wovon er sprach. Die Nähe des leidenden Gottes gab ihm die Kraft, kurze Zeit vor seiner Hinrichtung als Widerstandskämpfer seine berühmten Worte zu schreiben: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar . . ." In diesen Tagen ist es 75 Jahre her, dass er im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet wurde.

Woher – so fragen sich viele – hat er nur die Kraft genommen, mit seiner ausweglosen Situation so umzugehen? Es ist der mitleidende Gott, dem Bonhoeffer sich in ­seinem Leiden anvertraut hat. Und er hat ihm geholfen.

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