Wie lange brauchen Sie, um Ihre Bettwäsche zu wechseln? Zehn Minuten? Zwölf? Oder noch länger?

Entsorgung von Ausscheidungen oder Inkontinenzartikeln: 2 Minuten = 0,88 Euro.

Beim Besuch einer Diakoniestation wurde mir kürzlich das vorgeschriebene Abrechnungsblatt für die ambulanten Leistungen vorgelegt. Die Auflistung der einzelnen Tätigkeiten hat mich regelrecht beschämt. Da war zum Beispiel zu lesen: An- und Ablegen von Körperersatzstücken: 4 Minuten = 1,76 Euro. Entsorgung von Ausscheidungen oder Inkontinenzartikeln: 2 Minuten = 0,88 Euro. Mundgerechtes Herrichten der Nahrung und Getränke: 5 Minuten = 2,20 Euro. Beheizen der Wohnung: 9 Minuten = 3,96 Euro. Wechseln der Bettwäsche: 8 Minuten = 3,52 Euro.

Abgesehen davon, dass ich es nur mit Mühe schaffe, innerhalb von acht Minuten meine eigene Bettwäsche zu wechseln ­ ich mache dies regelmäßig selbst ­, sehe ich in dieser Liste ein Alarmzeichen: Die Pflegeleistungen sind bis ins kleinste Detail berechnet. Hier steht nicht mehr der Mensch im Vordergrund, sondern der streng normierte Kostenfaktor. Es fällt auf: In dieser Liste fehlen zum Beispiel Leistungen wie "Zuhören" oder "Beistandleisten". Vor allem fehlt aber das Vertrauen in unser Pflegepersonal, dass es seinen Dienst auch ohne diese minutiösen Nachweise ordnungsgemäß verrichten würde.

Versorgung nach der Stoppuhr

Seit Jahren leidet die Pflege darunter, dass sich die Kostensätze nicht mehr an der geforderten Qualität, sondern an den billigsten Anbietern orientieren. Ich finde es äußerst problematisch, wie stark der Bereich der Gesundheitsfürsorge inzwischen von ökonomischen Leitlinien geprägt ist. Der Patient wird mehr und mehr zum Kostenfaktor. Pflegekräfte bemängeln, dass ihre Arbeit nicht mehr an der Qualität, sondern an der Erledigung von Pflegemaßnahmen gemessen wird, die bürokratisch protokolliert werden. So entsteht eine Versorgung nach der Stoppuhr, die nur eine "Satt-und- Sauber-Pflege" zulässt.

Deshalb dürfen die Finanzierungssysteme in der Pflege nicht vorwiegend an Kostengesichtspunkten ausgerichtet werden. Vielmehr müssen die tatsächlichen Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen im Mittelpunkt stehen. Sicherlich: Auch die Gesundheitspolitik ist nicht frei von finanziellen Zwängen. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Individualität der Menschen vollständig den Kostenrastern untergeordnet wird. Eine Gesellschaft, die dies zuließe, stünde in der Gefahr, zu einer unmenschlichen Gesellschaft zu werden.

Deshalb wünsche ich mir, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen hier unterstützend ­ und nicht einengend ­ gestaltet werden. Und dass der jahrelangen Forderung der Diakonie, in diesem Bereich die Bürokratie zu beschneiden, endlich Taten folgen.

Menschen sind geschaffen nach dem Bild Gottes, so lesen wir in der Bibel. Das verleiht ihnen ihre Würde und das gebietet es geradezu, mit ihnen respekt- und liebevoll umzugehen. Religiös gesprochen: So wie Gott den Menschen gegenüber immer wieder seine Liebe beweist, so sollen auch sie bei ihrem Umgang mit den Schwachen Liebe walten lassen.

Ich kenne viele Mitarbeitende in der Diakonie, die in ihrer Arbeit diese Liebe spüren lassen. Ihnen gebührt meine Anerkennung. Ihr Handeln, nicht der Blick auf die Uhr, sollte Beispiel geben für die weitere Ausgestaltung unseres Pflegesystems. Johannes Friedrich

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