20.10.2010

Nicht weniger als 35 Millionen chinesische Bibeln wurden bislang in der Druckerei der Amity-Stiftung, einer Einrichtung chinesischer Christen, in Nanjing gedruckt. Doch bis heute sind die Folgen der so genannten Kulturrevolution von 1966 bis 1976 noch nicht völlig überwunden. Damals wurden Gläubige aller Religionen, politisch Oppositionelle und kritische Intellektuelle blutig unterdrückt. Ein chinesischer Pfarrer schilderte vor wenigen Wochen einer evangelischen Delegation in Deutschland seine Erfahrungen mit der Kulturrevolution: Erst nahmen die Rotgardisten den Christen die Bibeln fort. Aus Angst aufzufallen, verzichteten diese bald darauf, Kirchenlieder zu singen. Dann blieb ihnen bei ihren Treffen nur noch die Möglichkeit, Bibelstellen, die sie auswendig kannten, einander vorzutragen.

35 Millionen chinesische Bibeln

Produktion und Verteilung der Bibeln laufen heute über die registrierten evangelischen Gemeinden auf Hochtouren. Nach ihrer Unterdrückung in der Kulturrevolution waren die vom Staat anerkannten Religionsgemeinschaften nämlich wieder zugelassen worden. Es entstanden "patriotische" Vereinigungen jener evangelischen oder katholischen Gemeinden, die sich registrieren ließen. Voraussetzung dafür: Sie mussten die Vorherrschaft der Kommunistischen Partei anerkennen und ihr Handeln weitgehend kontrollieren lassen.

Parallel dazu entstanden im Untergrund Hauskirchen: nichtregistrierte Gemeinden "romtreuer" Katholiken, die den staatlicherseits verordneten Bruch mit dem Vatikan ablehnten, und protestantische Gemeinden. Beide waren immer wieder harter Verfolgung ausgesetzt.

Heute ist die Grenze zwischen Registrierten und Nichtregistrierten weniger scharf als früher. Es gibt zwischen ihnen sogar viele Kontakte. Überall wachsen die Gemeinden. Man rechnet inzwischen mit 17 Millionen Protestanten und 7 Millionen Katholiken in den registrierten Gemeinden. Ebenso viele ­ oder noch mehr ­ sollen es in den nichtregistrierten Gemeinden sein. Da fast alle Gemeindemitglieder den Gottesdienst besuchen, mangelt es an Kirchengebäuden sowie an Pfarrerinnen und Pfarrern. Heute werden die registrierten Gemeinden beim Kirchenbau vom Staat unterstützt, auch ihre Sozialarbeit findet ausdrücklich Zustimmung. Der Grund: Die Kirchen kümmern sich ­ auch mit deutscher Unterstützung ­ um Probleme, die vom Staat lange Zeit geleugnet wurden, wie zum Beispiel die wachsende Zahl der Aids-Kranken.

Religionsfreiheit muss auf die Tagesordnung im deutsch-chinesischen Dialog

Auch die nichtregistrierten Hauskirchen erleben inzwischen mehr Freiheit. Ihre Treffen sind den Behörden zwar vielerorts bekannt, Verhaftungen und lange Haftstrafen sind aber selten geworden. Erfreulicherweise wächst die Toleranz. Und doch: Die Anerkennung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit ist mehr als eine staatlicherseits gewährte Toleranz, die jederzeit zurückgenommen werden kann. Das Thema Religionsfreiheit muss deshalb auf die Tagesordnung im deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog.

China im Jahr 2004: Offen sprechen Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas von einer Orientierungskrise im Land. Zugleich würdigen sie die positive Rolle der Religionen. An deren von Marx verheißenes Absterben glauben nur noch die Unverbesserlichen in einer Partei, in der der Glaube an Marx längst abgestorben und durch den Glauben an Macht und Markt ersetzt worden ist. Chinas Regierende werden erkennen müssen: Die Kirchen können zur Entwicklung des Landes dann am meisten beitragen, wenn die Partei ihre Kontrollansprüche aufgibt und der Staat die Freiheit der Gläubigen und die Unabhängigkeit ihrer Kirchen anerkennt. Hermann Gröhe

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