9. Sonntag nach Trinitatis
Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich schneide, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe, so solltest du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit Zinsen. Darum nehmt von ihm den Zentner und gebet ihn dem, der die zehn Zentner hat. (...) Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
Matthäus 25,26-30

Was nur hat denn dieser arme Knecht so falsch gemacht? Er kann einem ja richtig Leid tun. Nicht weil ihm wieder genommen wird, was der Herr ihm gegeben hat, das wäre ja noch okay, aber darüber hinaus wird er auch noch verdammt und verurteilt und dahin geschickt, wo Heulen und Zähneklappern herrschen. Muss das sein, der arme Kerl hat ja eigentlich nichts grob Falsches gemacht. Er hat das Anvertraute nicht sinnlos verprasst, sondern brav zurückgegeben. Sicher, es ist keine besonders pfiffige Idee, die Zentner zu vergraben, aber seit wann ist Pfiffigkeit eine Bedingung für das Reich Gottes? Was also ist wirklich schief gelaufen?

Verräterisch für seinen Fehler ist das, was er zu seiner Rechtfertigung anbringt. Da sagt dieser jämmerliche Knecht doch tatsächlich: "Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist; du schneidest, wo du nicht gesät hast, und du sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast!" Ja, woher weiß er das eigentlich? Wie kommt er auf die Idee, dass sein Herr dort erntet, wo er nicht gesät hat? Das Gleichnis selbst erzählt ja nun gerade das genaue Gegenteil, nämlich dass es um einen Herrn geht, der all (!) seine Zentner seinen Knechten anvertraut, ohne eine einzige Bedingung zu stellen und ohne eine einzige Drohung auszusprechen. Und dennoch faselt der unnütze Knecht etwas von einem "gestrengen Herrn".

Er lügt also einfach das Graue vom Himmel herunter, er denkt sich seinen Herrn aus, er erfindet ihn freihändig und macht aus dem, der ihm gerade eben noch seinen Besitz anvertraute, einen gestrengen und hartherzigen Mann. Hier allein liegt die große Lüge des letzten Knechtes: Er hat das falsche Herrenbild und entsprechend die falsche Angst. Deswegen braucht er gar nicht mehr in die Hölle geschickt zu werden, denn er hat schon zu Lebzeiten "Heulen und Zähneklappern". Mit solchen ausgedachten Gottesbildern kann es nicht gut gehen. Wer seinen Herrn verteufelt und ihn strenger macht, als er ist, der kriegt verteufelt viel Angst, der denkt nur noch in Lohn und Leistung, in Gewinn und Verlust, in Strenge und Strafe, er hat entsprechend Angst an der falschen Stelle und verhält sich auch verlässlich falsch.

Darin bewahrheitet sich eine geistliche Grundregel unserer Tradition, die frei nach Martin Luther heißt: "Wer falsch glaubt, fürchtet sich auch." Oder in Anlehnung an die alten Griechen: "Zeige mir deine Angst und ich sage dir, wer dein Götze ist." Wer die Jugend anbetet, wird niemals würdig alt werden können. Wer die Macht anbetet, wird niemals aufrecht verlieren können. Und wer die Leistung vergöttert, wird niemals tapfer Zweiter werden können.

Auf die beiden anderen Knechte, die fleißigen Talentvermehrer, fällt nun ein anderes Licht: Denn sie finden die Anerkennung ihres Herrn nicht, weil sie tolle Kapitalisten sind, sondern weil sie die Situation richtig erfasst haben. Der Herr vertraut ihnen Zentner, also Gaben, Fähigkeiten und Talente, an, und sie machen sich keine falschen Sorgen, sondern das Beste aus den Zentnern, was ihnen einfällt. Wer aber von den anvertrauten Gaben wegschaut und sich eingebildete Sorgen über den Geber der Gaben macht, für den bleibt tatsächlich nur "Heulen und Zähneklappern", denn er hat den Ruf der Freiheit verpasst.