Frauen demonstrieren in Kabul
Frauen demonstrieren in Kabul
privat
"Brot, Arbeit, Freiheit"
Noch vor einem Jahr konnten sich Frauen in Kabul frei bewegen - jetzt leben sie mit Todesdrohungen und demonstrieren trotzdem.
Tahora HusainiPrivat
21.12.2021

Vor zwanzig Jahren war es für Frauen in Afghanistan alles andere als leicht, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Allein das Laufen auf der Straße erforderte eine ganze Menge Mut und ruhige Nerven, um die belästigenden Blicken der Männer und die beleidigenden Worten der Leute auszuhalten.

Trotzdem hatten afghanische Frauen und Mädchen, denen jahrelang Arbeit und Bildung vorenthalten war und von denen einige die Bitterkeit der Migration erfahren hatten, diese Mühsal überstanden und konnten letztlich einen Platz in der Gesellschaft und in den Gedanken der Menschen finden.

In den vergangenen Jahren waren afghanische Frauen in fast allen Bereichen der Gesellschaft vertreten. Frauen mit bunten und verzierten Kleidern, Betreiberinnen von Kneipen und Cafés, Ladeninhaberinnen, Künstlerinnen, Geschäftsfrauen, Bergsteigerinnen, Doktorinnen, Ingenieurinnen, Politikerinnen, Sportlerinnen.

Die Stimmung im Studio war ausgelassen, zukunftsfroh, angsfrei

Zu Beginn meines letzten Aufenthalts in Kabul nahm ich an einer Konferenz mit dem Titel „Die Rolle der Jugend im Friedensprozess“ teil. Junge Frauen waren für die Veranstaltungsplanung verantwortlich und begrüßten uns in ihren schicken Outfits und mit langen offenen Haaren. Das war weitaus anders als ich es noch vor acht Jahren kannte. Damals hätten wir uns nicht so angstlos, im Beisein der Medien, bei einer Konferenz dieser Art gezeigt.

Erst ein Jahr her: Unbeschwerte Talkshow im Fernsehen in Kabul: Tahora Husaini (links) wird von zwei jungen Journalistinnen interviewt

Neben mir saß eine junge Frau und fragte mich mit einem Lächeln, ob ich ein Programmheft dabei hätte. Sie erzählte mir, dass sie Journalismus studiert und gleichzeitig in der technischen Abteilung eines der führenden afghanischen Fernsehsenders arbeitet. Einige Tage nach der Konferenz lud sie mich zu einem Live-Morgen-Programm ihres Senders ein, um über die Situation afghanischer Geflüchtete in Deutschland zu sprechen. Ich wurde von zwei netten und gut gelaunten Frauen interviewt. Die Stimmung im gesamten Studio war ausgelassen und in allen Abteilungen übernahmen Frauen essenzielle Aufgaben.

Sie war der festen Überzeugung, in Afghanistan Karriere machen zu können

Wir trafen uns später noch einige Male und machten Pläne für gemeinsame Projekte, wie etwa ein kleines Café für junge Frauen, wo sie zusammen kommen und politische Themen diskutieren können. Sie war voller Motivation und Hoffnung. Ich hatte sie mehrmals ermutigt, mit einem Stipendium in ein anderes Land zu gehen, aber das lehnte sie selbstbewusst ab mit der festen Überzeugung, in ihrem Land hervorragende Chancen für eine Karriere zu haben.

Eine Woche nach dem Fall der afghanischen Regierung unterhielten wir uns noch einmal am Telefon. In einem traurigen und verzweifelten Ton sagte sie mir, dass sie seitdem ihre Wohnung nicht wieder verlassen hatte. Noch in jüngster Vergangenheit war sie die Brotverdienerin der Familie. Dies ist nun vorbei.

Ehemalige Anwältinnen und Richterinnen sind jetzt in Lebensgefahr

Zwanzig Prozent der Beschäftigten in den Medien waren weibliche Angestellte. Hunderte Anwältinnen und Richterinnen, die gewalttätige Männer ins Gefängnis gebracht hatten, befinden sich jetzt in Lebensgefahr, nachdem die Taliban den Großteil der Häftlinge freigelassen hat. Witwen, die ihre Basteleien und hausgemachten Speisen auf den Märkten verkauft hatten, müssen ebenfalls zu Hause bleiben.

All diejenigen Frauen, die jahrelang für Akzeptanz in einer traditionell und misogyn eingestellten Gesellschaft, in der Diskriminierung, Korruption, häusliche Gewalt sowie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit allgegenwärtig sind,  gekämpft haben, müssen sich jetzt samt ihrer bunten Kleider verstecken. Das einzige, was für sie noch zählt, ist täglich ein Stück Brot für ihre Familie zu finden. Aber ungeachtet all der Bedrohungen und den Peitschen-schwingenden Taliban, gehen sie dennoch auf die Straße und rufen „Brot, Arbeit und Freiheit!“

PS:
„Luftbrücke“ geht in die Weihnachtspause und erscheint wieder am 11.1. 2022.  Ich engagiere mich selbst in dem Verein "Frauen für den Nahen Osten". Wenn Sie uns, und damit auch den Frauen in Afghanistan helfen wollen, freue ich mich über eine Spende:

Frauen für den Nahen Osten
Sparkasse Mittelthüringen
IBAN: DE95 8205 1000 0163 1124 60
BIC: HELADEF1WEM

 

 

 

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