Jana Sophia Nolle, aus der Serie "Living Room, # 10 San Francisco", Archival Pigment Print, 2017/2018, VG Bild-Kunst Bonn 2022
Kunst in der Parteizentrale
Parteien und Kirchen haben einiges gemein. Zum einen, dass sie in der Öffentlichkeit nicht gerade einen Lauf haben, wofür es Gründe gibt. Zum anderen, dass sie auf ihre Art auch Kultureinrichtungen sind, was zu wenige wissen. Das lässt sich gerade in einer Parteizentrale begutachten.
25.08.2022

In diesen Tagen sucht man kühle, stille, schöne Räume, in denen man zum Aufatmen und auf andere Gedanke kommen kann. Der Tipp eines Freundes führte mich an einen Ort, der all dies bietet. Ich selbst wäre nicht darauf gekommen. Umso lieber gebe ich diesen Geheim-Tipp für alle, die Berlin besuchen (oder dort leben), weiter. Wer die großen Museen und bekannten Galerien schon kennt, sollte zur Abwechslung mal die Zentralen der demokratischen Parteien aufsuchen.

Zum Beispiel das Willy-Brandt-Haus, in dem es bis zum 25. September die von Andy Heller und Oliver Krebs kuratierte Fotoausstellung „Home Again“ anzuschauen gibt. Als Besucher wird man freundlich begrüßt, man muss nur einen Personalausweis mitbringen. Politikprominenz läuft einem nicht über den Weg. Das ist gut so. Da kann man sich besser auf die Fotoarbeiten konzentrieren.

In einem weiten, hellen, ruhigen Raum sind Arbeiten von 15 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise Fragen von Migration, Zuhause und Erinnerung widmen. Dabei kommt es kein Mal, wie man vielleicht befürchten könnte, zu moraldidaktischen oder gar politpädagogischen Zurichtungen. Vielmehr begegnet man sehr eigenwilligen Erkundungen unserer Welt, manche fast reportagehaft, andere eher assoziativ oder konzeptionell. Eine Vielfalt schöner, anregender, erschreckender, verstörender Blicke. So sieht es aus, wenn jemand genau hinschaut.

Ein Beispiel ist oben zu sehen: eine Foto aus der Serie „Living Room“ von Jana Sophia Nolle. In sogenannt bürgerlichen Wohnzimmern hat sie Notbehausungen von Obdachlosen aufgebaut. (Wenn ich es recht verstanden habe, hat sie sich dazu mit ihnen vorher abgestimmt.) Dieses Foto wurde in San Francisco aufgenommen, wo sich seit der Corona-Pandemie die Obdachlosigkeit explosionsartig vermehrt hat. Man spricht von „shelter“, doch nach bergendem Schutz sehen diese selbstgebastelten Behausungen nicht aus, eher nach verzweifelten Kartenhäusern, die der erstbeste Windstoß zerstört. Doch hier in ein wohlhabendes Wohnambiente versetzt, sorgen sie nicht nur für einen schreienden Kontrast, der Empörung über die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft schüren könnte, sondern sie wirken auch wie Kunstinstallationen, die eine eigene Würde ausstrahlen.

P.S.: Der Berliner Ostkirchen-Experte Reinhard Flogaus erforscht Reden, Predigten und andere öffentliche Äußerungen des russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill. In meinem Podcast spreche ich mit ihm über seine Recherchen und die Abgründe der russischen Kirche.

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