A 89 year old grandmother is holding photographs of her deceased husband at times when he was 10 and 19 (circa 1936). Toned image, AdobeRGB profile.
IvanJekic/Getty Images
Hauptsache kein Krieg
Was Menschen am Ende des Lebens vom Krieg erzählen und warum das nicht zur Klage über steigende Benzinpreise passt.
privat
29.03.2022

Vor Jahren bat mich eine alte Dame, ihr im Krankenhaus täglich die aktuellen Nachrichten zusammenzufassen. „Wissen Sie, ich kann nicht mehr lesen. Und ich möchte ja nicht dumm sterben“, erklärte sie mir. Nach jedem Besuch verabschiedete sie mich mit den Worten: „Hauptsache kein Krieg“.

Ein alter Mann auf der Palliativstation fragte mich einmal abrupt: „Warum straft Gott mich eigentlich nicht?“ Er sei 18 Jahre alt gewesen, als der Krieg begann und er nach Russland geschickt wurde.  „Alle halten mich für einen guten Mann, nur ich weiß, dass ich das nicht bin“, meinte er bitter.

Erinnerung an den Krieg hört nie auf

„Sie wissen doch gar nicht, was Krieg bedeutet“, schleuderte mir ein anderer Patient unwirsch entgegen.

Es stimmt, ich habe das Glück, Krieg nur aus vielen unterschiedlichen Erzählungen zu kennen. Zwei Schrecken des Krieges haben sich mir dabei besonders eingeprägt: Einmal, dass Krieg und Schuld unzertrennlich zusammengehören. Das gilt für Soldaten, die Waffen tragen und töten, aber auch für zutiefst geschundene Menschen, die glauben, sie hätten mehr helfen können. Zweitens, dass die Erinnerung an Krieg nie aufhört und lebenslänglich quält. Die gesamte Zukunft eines Menschen wird im Krieg verwundet.

Heute sehe ich voller Entsetzen Bilder aus der Ukraine, Kinder, Soldaten, alte Menschen, deren Gegenwart und Zukunft gerade zerstört wird. Ein Bild zeigt eine hochaltrige Frau, die vermutlich zum zweiten Mal den Überfall auf ihr Land ertragen muss.

Uns geht es immer noch gut hier

Ich fühle mich hilflos und auch etwas von dieser unausweichlichen Schuld. Es geht mir gut hier in meinem Leben mit Gas, Kohle und Öl aus Russland und ich weiß, dass auch mit diesem Geld der Angriffskrieg finanziert wird.

Spontan bin ich bereit zu frieren. Aber dann höre ich gleich zu Beginn der Debatte um einen Stopp der Energielieferungen die drohende die Frage der Außenministerin Baerbock: „Wie viele Tage würden wir aufrechterhalten können, dass…wir Krankenhäuser nicht mehr am Laufen halten können?“

Angst kriecht hoch, als Krebspatientin mit Atemnot und Schmerzen nicht in die Notaufnahme zu können. Und ich ahne, dass genau dies die Situation vieler kranker Menschen im Kriegsgebiet beschreibt.

Nicht mal für ein Tempolimit ist dieses Land bereit

Anders als für die Menschen in der Ukraine ist meine Angst jedoch unbegründet. Deutschland bezieht ja nicht die gesamte Energie aus Russland und Krankenhäuser werden sicher nicht zuerst vom Stromnetz abgehängt.

Umso mehr ärgere ich mich über dieses Angstmachen, Zaudern und Klagen in einem Land, in dem nicht einmal ein Tempolimit zum Energiesparen durchsetzbar ist.

Jetzt reden wir über hohe Benzinpreise, Rabatte und staatliche Unterstützung statt über Armutsbekämpfung, Umverteilung und Energiesparen.  Es sind ja nicht die am Existenzminimum lebenden Menschen, die besonders viel Energie verbrauchen.

Die meisten Menschen bei uns kommen ehrlicherweise auch ohne staatliche Überlebenshilfen aus und haben es warm und hell. Und die meisten können auch ohne offizielles Embargo tun, was möglich ist: weniger und langsamer Auto fahren, weniger neue Produkte kaufen, weniger Flugreisen, weniger Fleisch…

Schön ist das nicht, aber die alte Frau mit ihrer Erfahrung hat doch einfach Recht: Hauptsache kein Krieg.

 

 

 

                                    

 

 

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.