Boben op Klima- und Energiewende e.V.
Das gute Gefühl, Teil der Lösung zu sein
Es geht Ihnen zu langsam mit der Klimaneutralität? Dann tun Sie mit anderen zusammen. Ein Verein kann eine gute Lösung sein. Das Beispiel Hürup.
Tim Wegner
07.06.2023

Sie sollten diesen Blog lesen, wenn…

  • …es Ihnen zu langsam geht mit der Klimaneutralität oder
  • …Sie nicht mehr die Einzelkämpferin / der Einzelkämpfer sein wollen oder
  • …Sie einfach ein bisschen Plattdeutsch lernen möchten!

Es gibt sie, in Hürup wie überall: die Menschen, denen der Weg hin zur Klimaneutralität viel zu lang und umständlich erscheint. 2009 entstand hoch im Norden bei Flensburg ein Bürgersolarpark. Gleichgesinnte hatten sich zusammengetan, ihr gemeinsames Thema war das Interesse, Energie zu erzeugen, ohne Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Sie blieben zusammen, trafen sich regelmäßig zum Energiewendestammtisch.

Das war die Saat. Und das ist die erste Erkenntnis, die man aus Hürup mitnehmen kann: Man muss sich zusammentun, um etwas zu bewirken. Und die zweite Erkenntnis folgt sofort: Man muss das Rad nicht immer neu erfinden – und bereit sein, von anderen zu lernen. In Hürup kam das so: Einige Landwirte saßen mit am Energiewendestammtisch. Ihr Interesse: Humusaufbau. Also fuhren sie nach Österreich, in die Ökoregion Kaindorf, die auf diesem Feld schon viele Erfahrungen gesammelt hatte. Die Hüruper waren erstaunt, denn dort hatte ein Verein alle möglichen Klimaaktivitäten gebündelt und koordiniert. Warum sollte das nicht auch in Hürup klappen? "

"Es gibt Dinge, die spannender sind als Netflix!"

Heute ist Christoph Thomsen das Gesicht von „Boben op“ in Hürup, so heißt der Verein, der nach österreichischem Vorbild entstand. Thomsen ist Geschäftsführer und hat die Gabe, so begeistert von seiner Aufgabe zu erzählen, dass man sich am liebsten sofort anschließen und mitmachen möchte. „Es braucht Leute, die sagen: ‚Es gibt Dinge, die spannender sind als Netflix!‘ Und die gibt es überall. Die müssen nur zusammenfinden und die Freude behalten“, sagt Christoph Thomsen. „Boben op?“ Das ist Plattdeutsch und heißt, wörtlich übersetzt, „oben auf“. Sinngemäß bedeutet es: vorneweg laufen, vorangehen, vorn mit dabei sein.

Und die Freude behalten? Damit meint Thomsen, dass man begeisterten Menschen, die für ein Thema brennen, den Rücken freihalten muss. Und das ist sein Job. Der Verein will nicht, dass sich engagierte Bürgerinnen und Bürger im Kleinklein verlieren, sie sollen sich stark machen für die Sachen, die sie können, an denen sie Interesse haben. Ein Beispiel: „Boben op“ schult Menschen zu ehrenamtlichen BürgerSolarBerater*innen, die dann ihrerseits Interessierten berichten, wie das funktioniert mit dem eigenen Sonnenstrom vom Dach. Die Begeisterung ist groß, die Wartelisten sind lang.

Herzstück von „Boben up“ ist die Ideenschmiede, hervorgegangen aus dem früheren Energiewendestammtisch. Thomsen lädt Expert*innen ein, die dann vor Ort berichten. Hinterher ergeben sich Gespräche, Menschen finden zueinander und das ein oder andere Getränk gehört auch dazu – es ist schließlich ein Stammtisch. Dieser Tage referieren zwei ÖPNV-Experten zum 49 Euro-Ticket. In der Woche darauf lädt eine Familie in ihren Feinschmeckergarten ein, dann geht es ums Gärtnern.

Die Themen sind bunt und variieren, die Konstante aber ist: „Die Ideenschmiede ist niedrigschwellig und kostenlos, es gibt keine Anmeldung“, sagt Christoph Thomsen. Ob während einer Ideenschmiede Kontakte geknüpft und Fäden gesponnen werden, die dann wieder neue Ehrenamtliche aufgreifen, kann Thomsen vorher nie wissen. Manche Menschen kommen nur zu einer Ideenschmiede, weil das Thema sie interessiert – und werden dann nicht mehr gesehen.

„Aber oft bleibt etwas. Und wenn es nur das gute Gefühl ist, Teil der Lösung und nicht allein mit der Sorge um Umwelt und Klima zu sein“, erzählt Thomsen. Das ist denn auch der große Unterschied zu „echten“ Stammtischen. „Dort wird gemeckert, was in Berlin alles falsch läuft – hier finden sich Menschen, die es selbst besser machen wollen.“

Manch Idee, die im Amt Hürup entstanden ist, wurde mit der Zeit so groß, dass sie eigene Kreise zog und quasi selbständig wurde. Allen voran die Sache mit dem Nahwärmenetz, das einmal mehrere Dörfer mit Wärme versorgen soll. Auf einem ehemaligen Militärgelände soll eine große solarthermische Anlage entstehen, die aus Sonnenlicht Wärme erzeugt und unterirdisch speichert.

Reicht die Kraft der Sonne nicht, unterstützen Holzhackschnitzelkessel, Groß-Wärmepumpe oder Blockheizkraftwerk Die ersten Straßenzüge sind angeschlossen. Gas aus Russland? Öl aus den Golfstaaten? Diese Form der Abhängigkeit ist hier bereits Geschichte; Geld für Energie bleibt in der Region und schafft Arbeitsplätze. Nur unter dem Vereinsdach konnte die Nahwärme nicht bleiben, denn ein Verein verkauft nichts, auch keine Wärme. Also gründete sich eine Genossenschaft.

Dass Christoph Thomsen bei all dem „mittenmang“ ist, ist für ihn ein Beweis dafür, dass Gottvertrauen sich auszahlen kann. Er kommt aus der Region, lebte aber einige Jahre in Karlsruhe. 2019 wollte er zurück nach Hause. Aber sein neuer Arbeitgeber ging pleite. Genau zu dieser Zeit suchte „Boben op“ einen Geschäftsführer, das Profil passte perfekt für ihn. Zwei Tage die Woche arbeitet er für den Verein, einen weiteren Tag ehrenamtlich. Thomsen meint, er müsse auch Vorbild sein für all die anderen, die sich ehrenamtlich einbringen. An einem weiteren Tag arbeitet er auf dem elterlichen Hof. Die übrige Zeit gelten seiner Familie und Fortbildungen.

"Wir denken nicht nur in Tonnen an CO2, sondern wir wollen auch das Wir-Gefühl stärken"

Seine Motivation zieht Thomsen aus seinem Glauben. Er ist Christ. Es ist ihm wichtig, dass wir Menschen die Welt gut verwalten, damit auch nachfolgende Generationen ein gutes Leben führen können. Aber genau so wichtig ist ihm, dass „Boben op“ weltanschaulich neutral ist und bleibt. Egal ob gläubig oder nicht, ob Parteigängerin oder nicht – alle sind willkommen.

Und so ist „Boben op“ auch ein Vorbild für Menschen, die etwas tun wollen für die Zukunft, allein aber nicht so recht weiterkommen. In einem Verein ist es viel leichter, an Fördermittel zu kommen und gemeinsam Projekte auf die Beine zu stellen, die wieder auf andere ausstrahlen und sie anstiften, selbst aktiv zu werden.

„Wir denken nicht nur in Tonnen an CO2, sondern wir wollen auch das Wir-Gefühl stärken“, sagt Christoph Thomsen. Das spreche Menschen viel mehr an, als Bilder von Eisbären, denen das Eis abhandenkommt. Denn das sei weit weg. „Aber die Chance, vor Ort mit anderen gemeinsam etwas anzupacken und zu gestalten: die ist immer ganz nah.“

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