Thomas Rheindorf - Journalismus
Thomas Rheindorf
Karlas Kolumnas Kollege Martin
Das Hochwasser hat ein illusteres Völkchen angezogen: Menschen, die handfest helfen, Menschen, die zuhören und trösten, Menschen, die berichten und filmen. Auch viele Journalisten - wirklich Journalisten?
08.10.2021

Für eine Kindheit mit Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen bin ich glücklicherweise zu alt, meine Kinder sprangen – auch glücklicherweise – nie so richtig an auf die alerte Hexe und den hochjovialen Elefanten. Beiden eignet die Eigenschaft des penetranten Rumstehens auf der richtigen = guten = gerechten Seite der Opfer, gleich ob arme Tiere, Witwen oder Naturparadiese. Gegenspieler pflegt üblicherweise ein unbeliebter, unverschämter und willkürlicher Bürgermeister als Repräsentant staatlich legitimierter Ämter zu sein.

Rosa-Einhorn-Journalismus im Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Modus

Eine vorhersehbare Rolle in der vorhersehbaren Welt der beiden Doppel-Bs kommt der stets leicht überkandidelten Karla Kolumna, einer Reporterin der Neustädter Zeitung, zu. Investigativ bringt sie das Versagen, die Willkür und das Unvermögen des Amtsinhabers in die Presse und führt den Kantersieg des Guten, Wahren und Schönen herbei: Rosa-Einhorn-Journalismus im Das-wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Modus unverbrüchlich an der Seite der kleinen Leute, gegen total versagende und komplett dilettierende Organe der öffentlichen Institutionen.

Das Hochwasser hat einiges durcheinandergebracht im Ahrtal. Auch Mobilfunkverbindungen und Internetstabilität. Aktuell gehe ich darum direkt über das T-Online-Portal zu meinem E-Mail-Account. Das Portal will einem gerne etwas mitteilen, von dem es glaubt, es sei von Interesse, bevor man sich seiner eigenen Dinge widmen kann.

Er sei Journalist, sagt er mir

Diesmal staune ich nicht schlecht, ein mir persönlich bekanntes Gesicht zu sehen, wo sich sonst A-Promis abwechseln: Martin Lejeune. Ich traf ihn vor Wochen im noch ziemlich unaufgeräumten Altenahr. Er sprach mich an, vorgeblich auf der privaten Suche nach einem Bewohner. Wir kamen ins Gespräch, er sei Journalist, habe auch für die Süddeutsche gearbeitet, jetzt führe er Interviews und berichte aus dem Ahrtal. Vielleicht könne man ja mal ein Interview machen. Ich gab ihm mein Kärtchen.

Tatsächlich schrieb er mich später an, zum Interview kam es nicht. Dann hörte ich, ein Filmteam habe Aufnahmen in der ehemaligen Synagoge gemacht, die zu Arbeiten offenstand. Die Filmenden seinen angewiesen worden, sich bei mir als Vorsitzendem des Trägervereins zu melden. Und wieder kam eine höfliche Mail mit der Bitte, das Filmmaterial auf Youtube verwenden zu dürfen. Mit im Boot wieder Herr Lejeune. Ich lehnte ab. Auf den Kanal „Anni und Martin“ sind inzwischen über 200 Beiträge hochgeladen worden. Sie zeigen die „kleinen Leute“, die dort in Interviews ihre Situation vortragen und auch Meinung haben und dankbar sind, dass die "Journalisten" Anne Höhne und  Martin Lejeune ihnen geduldig zuhören. Aber ist das wirklich schon Journalismus? Wo bleibt die Einordnung? Wo der übergeordnete Blick? Wo vielleicht auch mal Kritik an diesen rein subjektiven Erzählungen.

Greenwashing eines Verschwurbelten?

Und jetzt: Martin Lejeune als Headline auf T-Online.Hier hat er selber ein Interview gegeben und der Telefonanbieter ist stolz: „Es ist das erste Mal, dass ein promineneter Querdenken-Insider mit einem klassischen Medium spricht und knallhart Kritik an der Führung der Szene übt.“ Im Lodenmantel mit runder Acetatbrille gibt sich der Interviewte moderat. Der 2017 mit dem Negativpreis „Goldener Aluhut“ dekorierte Aktivist distanziert sich von Gewalt und Spendenmissbrauch. Kruden Ansichten zu Deutschland als Diktatur habe er abgeschworen. Romantisch in einer Ruinenkulisse hoch über der Ahr gefilmt, meint er: „Ich bin gerne da, wo Geschichte passiert, in Gaza, in Istanbul, am Rosa-Luxemburg-Platz und jetzt an der Ahr.“ Ist das Greenwashing eines Verschwurbelten? Läuterung? Altersweisheit von einem, der sich vor kurzem noch mit dem Schlachtruf „Es eskaliert!“ in Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten stürzte?

Ich denke daran, wie sich einige Tage nach dem Hochwasser der Journalist (ja, genau, ohne Anführungszeichen) Wolfgang Thielmann neben mich in eine Kirchenbank setzte, wir miteinander sprachen und ich später einen wunderbar unaufgeregten Artikel mit dem Titel „Christus im Chaos“ in der Zeit las. Solange solche Journalisten den Weg ins Ahrtal finden, sind mir Wesen und Wirken des Martin Lejeune einerlei.

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