Ansicht des Durchflusses der Ahr in Mayschoß
Hat wenig mit dem Klischee eines unberührten Lachsgewässers zu tun: Das domestizierte Flussbett der Ahr im Frühjahr 2022 in Mayschoß.
Thomas Rheindorf
Wie der Fisch im Wasser
Die Lachse sind zurück an der Ahr. Sie kommen und gehen. Wie sie kommen ist klar: per LKW. Und sie gehen den Weg alles Irdischen. Nur so richtig heimisch werden wollen sie nicht. Obwohl sie eine Genehmigung haben.
25.03.2022

Im Sommer standen wir Kinder abends nach dem Freibad auf der Holzbrücke über der Ahr, die Fahrräder ans Geländer gelehnt. Wir sahen in den Fluss, der träge über künstlich angelegten Stufen stand und Libellen und Millionen Mücken einen spiegelnden Tanzboden bot. Das schlammige, kieselbesprenkelte Bett lag höchstens knietief unter der Oberfläche. Nach einer Weile waren die gut getarnten Fische auszumachen. Unter dem schattenspendenden Uferbewuchs standen sie hinter Steinen.

Ed von Schleck für Äschen und Döbel

Wir spuckten ins Wasser oder bissen Stückchen von unserem Nogger, Ed von Schleck oder Dolomiti ab, um sie aus dem Versteck zu locken. Dann entstand mitunter eine wundersame Fischvermehrung, weil viel mehr da waren, als wir mit bloßem Auge ausgemacht hatten. Lange dachte ich, das seien alles Forellen, bis ein familiär vorgeprägter Mitschüler aufklärte: Es waren meist Döbel, mancherorts Aitel genannt. Auch Neunaugen waren da und Äschen. Meist wurden wir irgendwann von Erwachsenen verscheucht, weil unsere Fahrräder die Brücke blockierten. Das war in den 1980er-Jahren. Lachs gab es damals nicht im Fluss, sondern direkt daneben, im schmucklosen Seta-Hotel, das mit „Lachs satt“ Gäste zum Sonntagsbrunch zu locken trachtete.

In Farmen gezüchtete Pioniere

Mitte der Neunziger änderte sich das: Lachse wurden in der Ahr ausgesetzt. Klein und lebendig. Nicht als Liebhaberei von Petri-Jüngern, sondern amtlich bestellt. Der Amtslachs trat seine Mission im Auftrag der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord des Landes Rheinland-Pfalz an. Die Tierchen waren in Farmen gezüchtete Pioniere. Es galt das Prinzip Hoffnung. Zur Freude des Kormorans, der kulinarisch in dieser Hinsicht nicht anders tickt wie die Sonntagsbruncher am Ahrufer. Für die Amtsvisionäre aber wurde der Lachs zur Galionsfigur romantischer ökologischer Restaurationsziele. Die Behörden-Biologen wollten mittels Hochtechnologie die Zustände des 19. Jahrhunderts wiedererlangen. Damals handelten rheinische Dienstboten aus, nicht andauernd Lachs vorgesetzt zu bekommen, so voll war der Rhein davon: ein Goldenes Zeitalter der Fischreichtums. An den kleinen Rheinzuläufen wie der Ahr baute man um das Millennium herum die Verbauungen ab oder konstruierte kostenintensive Fischtreppen.

Aquaristik für die Großen

Später, als beim Lachsetat in den Haushalten ein Gewöhnungseffekt eingetreten war, kamen im Sommer schwere Bagger und gruben Löcher ins Flussbett oder gestalteten mit Felsblöcken einen „natürlichen Flusslauf“. Aquaristik für die Großen im Maßstab 1:1. Nun ist Salmo salar, ein sensibler Zeitgenosse, der sich trotz ehrgeizig gebastelter Strukturen nicht unbedingt dahin begibt, wo es der Direktion genehm ist. Und so liefert der alljährliche Neubesatz Schlagzeilen für die Lokalpresse. Und wenn sich ein erwachsenes Exemplar zurück verirrt, wird es berühmt.

Behördenetat steht hinter dem Lachs

Das Hochwasser, was Tankstellen und Heizungskeller flutete, war der Resetknopf für das „Lachs 2020“-Programm an der Ahr. Doch solange ein Behördenetat hinter dem Lachs steht, muss ihm nicht bange werden: Jetzt sind 18000 neue Lachskinder da. Sie warteten im Zuchtbassin geduldig wachsend ab, bis der Fluss sich beruhigt hatte. Die Lachsbeheimater loben die nachsintflutliche Wasserqualität und die kühle Strömung der Ahr. Hoffentlich erinnert sich der Lachs im Sommer daran, wenn es heiß wird, nichtsmehr strömt und Sauerstoff im Wasser Mangelware ist.

Ganz neu in der Ahr waren nach dem Hochwasser Kois. Keine asiatischen Touristen, eher Exbewohner von Gartenteichen. Sie machten auf Facebook Karriere. Vielleicht werden sie ja einmal ganz ungenehmigt die neuen Großfische im Fluss, so wie die grünen Papageien im Rheintal.

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