Eine Illustration von Salah Farah, der mit anderen Reisenden vor einem Bus steht
Laura Breiling
Terror in Kenia
"Tötet uns alle oder lasst uns gehen"
Als Terroristen der radikalislamistischen Gruppe Al-Shabaab im Dezember 2015 einen Bus angreifen, ist für Salah Farah klar: Er muss die Christen im Bus schützen. Dafür bezahlt er mit seinem Leben
Manoel Eisenbacher
24.04.2024
3Min

Es ist der 21. Dezember 2015, ein großer Reise­bus ist unterwegs von der kenianischen Hauptstadt Nairobi ins fast tausend Kilometer entfernte Mandera. Die Reisegruppe ist bunt gemischt, Männer und Frauen, Christen und Muslime, Menschen aus unterschiedlichen Landesteilen, die in Mandera arbeiten; der Bus ist voll besetzt, erzählt der Fahrer später der Presse.

Einer der Passagiere, Salah Farah, Ende dreißig, ist stellvertretender ­Direktor einer staatlichen Grundschule in Mandera, seiner Heimatstadt. Äthiopien und Somalia sind von dort fußläufig zu erreichen. Im multikulturellen Dreiländereck ist er aufgewachsen, ein mutiges Kind, das sich für andere eingesetzt hat, sagt sein Bruder Abass Farah: "Er ist mit einer bedingungslosen Liebe für seine Mitmenschen zur Welt gekommen."

Salah Farah, verheiratet und Vater von bald fünf Kindern, wollte nie weg aus Mandera, aber immer mehr vom Leben. Deswegen war er auf einer Weiterbildung im Süden des Landes. Er mochte den Austausch, das Mit­einander mit Menschen jedweder Herkunft. Jetzt ist er auf dem Heimweg. Normalerweise fahren die Busse die Strecke mit einer Sicherheits­eskorte, heute nicht.
Die somalische Terrormiliz Al-­Shabaab überzieht die Gegend seit ­Jahren mit Angriffen, erst recht, seit die kenianische Armee 2011 in Somalia gegen die Terroristen vorging. ­Einige Lehrer aus anderen Landesteilen hatten ihren Dienst an Farahs Schule abgebrochen und sich ver­setzen lassen, aus Angst. Es gibt nicht genug lokale Lehrer, um den Mangel auszugleichen. Das wiederum befeuert den Zulauf, den Al-Shabaab auch von Jugendlichen aus der Region bekommt, die sonst keine Perspektive sehen.

Was dann geschieht, erzählen später Passagiere: Kurz hinter Kotulo wird die Straße schlechter, der Busfahrer bremst, um ein Schlagloch zu durchfahren. Schwer bewaffnete Männer springen aus der Böschung, sie schießen auf den Bus, der Fahrer versucht erst zu beschleunigen, hält dann aber doch an, als erste Kugeln durch die Fenster dringen. Eine der Kugeln trifft Salah Farahs Arm. Er weiß, was jetzt kommt: Ein Jahr zuvor hatte es in der Gegend einen ähnlichen Überfall gegeben. Die Angreifer hatten die Passagiere gezwungen, auszusteigen, die Christen auf die eine und die Muslime auf die andere Seite gestellt und 28 Menschen erschossen, die das muslimische Glaubensbekenntnis nicht rezitieren konnten. Nur einer überlebte, er hatte sich tot gestellt, auch er ist Lehrer in Mandera.

Lesen Sie hier: Glauben Christen und Muslime an denselben Gott?

Während die Terroristen darauf bestehen, dass alle aussteigen, suchen die Passagiere Deckung, die muslimischen Frauen binden den christlichen Frauen Kopftücher. Salah Farah fängt an, mit den Angreifern zu verhandeln. Ein Mann versucht zu fliehen, wird erschossen. Der Rest muss aussteigen. Sie sollen die ­Christen identifizieren, Salah und die anderen Passagiere weigern sich. "Tötet uns alle oder lasst uns gehen", sagt Salah Farah. So erzählte er es der "Daily Nation". Und irgendwann ziehen die Terroristen ab. Ein Schuss aus der Ferne trifft Salah in die ­Hüfte. Der Bus bringt Salah Farah ins ­Krankenhaus in Mandera, einen Tag später wird er nach Nairobi geflogen.

Im Krankenhaus gibt er Jour­nalisten Interviews, erklärt, wie wichtig es ist, als Kenianerinnen und Kenianer zusammenzustehen. Er sagt auch: "Der Islam ist eine friedliche ­Religion." Die Terroristen sind für ihn keine Muslime. Sein Glaube ­stärkt ihn. Die Ärzte sind optimistisch, die Kugel ist raus­operiert. Doch dann verschlechtert sich Farahs Zustand. ­ Er stirbt während einer Notoperation am 19. Januar 2016. Wenige Wochen später verleiht Präsident Uhuru Kenyatta ihm posthum die Auszeichnung "Grand Warrior". Unter dem Hashtag #HeroSalah gibt es eine Crowd­funding-Kampagne für die Familie. "Hätte er die Wahl", sagt Abass Farah über seinen Bruder, "würde er es wieder so machen."

Infobox

Inspiriert von Salah Farahs Geschichte drehte die deutsche Filmstudentin Kathrin Benhardt als Abschlussprojekt an der Hamburg Media School den Film "Watu Wote – All of us", der 2017 mit dem Studierendenoscar ausgezeichnet wurde.

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