Kunstinstallation über Schlafen
Ode ans Bett
Die Installation "My Bed" von Tracey Emin hat Kuschelfaktor. Auf den zweiten Blick allerdings verbirgt sich noch viel mehr in den Kissen
Kunstinstallation "My Bed" von Tracey Emin
Kunstinstallation "My Bed" von Tracey Emin
Tracey Emin/Tate Images/VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
14.04.2024

Was für eine Nacht! Zerwühlte Laken, die Bettdecke aufgeschlagen, die Kissen zerknautscht. Ein Readymade der Leiden­schaft? Wäre ja schon ganz interessant zu wissen, wer da mit wem was getrieben hat.

Wobei: Wirklich einladend sieht es nicht aus, das Bett der britischen Künstlerin Tracey Emin. Auf dem Boden davor: Wodka­flasche, Zigarettenstummel, zerknüllte Taschen­tücher, gebrauchte Kondome, ein altes Stofftier. Vier Tage hat Tracey Emin in dem Bett gelegen, so hat sie es dem Team der Londoner Tate Gallery mal erzählt, in der ihr Bett ausgestellt war, und das Bett ­habe ihr so das Leben gerettet – oder vielleicht etwas ­weniger pathetisch: über eine schwierige Phase hinweggeholfen. Ähnlich aufgewühlt wie die Laken war in den 1980er- und 90er-Jahren nämlich auch das ­Leben der bekannten Künstlerin.

1963 geboren, in der englischen Provinzstadt Margate aufgewachsen, brach sie als Teenager die Schule ab, schlug sich durch, erlebte sexuelle Gewalt, trieb ab, studierte Mode, Kunst und Philosophie und schaffte es eher zufällig unter die Fittiche des Kunstsammlers Charles Saatchi. Ihren ersten großen Kunsterfolg feierte sie 1995 mit einem Zelt, auch eine Installation, an dessen Innenwände sie all die Namen derjenigen geschrieben hatte, mit denen sie geschlafen hatte. Wobei damit auch das tatsächliche Schlafen (neben der eigenen Oma beispielsweise) gemeint war und nicht nur die Sexpartner.

Tracey Emins Kunst ist immer sehr persönlich, auto­biografisch (wobei sich auf dünnes Eis begibt, wer es zu genau nimmt mit dem Wahrheitsgehalt des Autobiografischen) und von den eigenen Gefühlen der Künstlerin geleitet – damit ist sie vom feministischen Geheimtipp zur etablierten Künstlerin avanciert; sie hat 2007 den britischen Pavillon auf der Venedig-­Biennale bespielt und zum Beispiel eine Edition zu den Olympischen Spielen 2012 in London beige­steuert. In der internationalen Kunstwelt ist Tracey Emin eine ganz Große. Tja, und um große Gefühle gehts auch hier bei ihrer Installation "My Bed" von 1998. Nur, dass es wohl eher nicht Liebe, Lust und ­Leidenschaft sind, die sich zwischen den Falten des Bettzeugs ­verstecken.

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Dazu fehlt hier ohnehin Entscheidendes: Denn um Erotisches zu illustrieren, haben die ­Küns­tler der männlich geprägten Kunstgeschichte in der Regel sonst immer einen (halb-)nackten Frauenkörper auf die Laken drapiert. In "My Bed" aber ist der Frauen­körper abwesend, was die Sache kunsthistorisch zu einem Akt feministischer Selbstermächtigung erhebt. Trotzdem: Man darf sich die Künstlerin als junge Frau nicht glücklich vorstellen. In diesem Bett quälte sich Tracey Emin mit Depressionen und Liebeskummer, versuchte vielleicht mit anderen Sexpartnern den Ex-Partner zu vergessen, fühlte sich vergessen vom ­Leben und wusste nicht so recht, wohin mit sich.

So ein Bett kann da – zumindest, wenn noch etwas ­Resthoffnung glimmt – der richtige Ort sein, um mit sich ins Reine zu kommen. Ein paar Träume und ­Zigaretten später steigt man dann aus den Laken und fühlt sich wie neugeboren. Vielleicht war es so auch mit Tracey Emin. Heute jedenfalls, so sagt sie es bei jeder Ausstellungsgelegenheit immer wieder, sei das Aufbauen ihres Bettes fürs Museum wie die Begegnung mit dem Geist ihrer Vergangenheit. Eine Zeitkapsel, in der sich ihr früheres Ich erhalten hat. Die Installation "My Bed" ist aber nicht nur Vergangenheitsbewältigung mit Kuschelfaktor, Tracey Emin formuliert hier eine Ode ans Bett – die von einer gewaltigen Tat zeugt: Ein Mensch ist aufgestanden und hat sich ­seines ­Lebens angenommen.

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