Phil Leo/Michael Denora/GettyImages
Familienforschung
Ich habe ihn sofort erkannt
Haben Sie sich auch schonmal gefragt, woher eine bestimmte Neigung oder Abneigung kommt? chrismon-Leser Robert Ulzhöfer hat Familienforschung betrieben und ahnt jetzt, warum er keine Krawatten mag
04.04.2024
3Min

Der Vater meiner Mutter starb, als sie knapp zwei Jahre alt war, meine Großmutter folgte ihm eineinhalb Jahre später, das war 1932. Da waren plötzlich drei kleine Vollwaisen zwischen 1 und 5 Jahre alt - meine Mutter war die mittlere der drei. Eine Schwester meiner Großmutter nahm die drei Kleinen zu sich auf, sie lebte am Bodensee. Zur Familie meines Großvaters riss der Kontakt sehr schnell ab. Es war ja auch eine ziemliche Distanz, vom Bodensee bis ins mittelfränkische Dinkelsbühl. Lediglich ein jüngerer Bruder meines Großvaters hielt noch eine Zeitlang Kontakt zu den Kindern.

Dieser Text ist Teil einer Serie über Familiengeheimnisse, in der wir Zuschriften von Lesern und Leserinnen veröffentlichen. Lesen Sie hier noch mehr

Als meine Mutter erwachsen war, nahm sie selber Kontakt zu ihrem Onkel und dessen Kindern auf. Als ich 9 war besuchten wir die Verwandtschaft bei Dinkelsbühl. Über 15 Jahre später fuhren meine Eltern nochmals hin, diesmal ohne mich. Dann gab es noch einen Besuch um das Jahr 2000. Meinem Vater war die Fahrt zu beschwerlich, mit der Bahn zu umständlich, deswegen die seltenen Besuche. 2002 erkrankte meine Mutter schwer, und der Kontakt brach völlig ein. Als meine Mutter starb, fand mein Vater ihr Adressbuch nicht und konnte die Verwandtschaft nicht einmal verständigen.

Nachdem auch mein Vater verstorben war, fand ich im Nachlass Fotos und Urkunden. Mein Interesse war geweckt, ich wollte mehr über meine Großeltern wissen. Aber ich fand das Adressbüchlein meiner Mutter auch nicht. Darum musste ich die Detektivarbeit allein durchführen - mit Internetunterstützung.

In mein Gedächtnis hatte sich die Lage des Hauses meines Großonkels eingebrannt, es lag auf einer kleinen Anhöhe, etwa 30 Meter von der Straße zurückgesetzt. Mit google earth habe ich den ganzen Ort abgesucht, bis ich mir mit der Adresse sicher war. Eine weitere google-Suche später fand ich auf dasoertliche.de den passenden Namen zu dieser Adresse. Ein Anruf, keine Ahnung, wer da wohl rangehen könnte!

Lesen Sie hier, wie chrismon-Chefredakteurin Claudia Keller ihren Halbbruder fand

Es meldete sich eine alte Dame, die letzte noch lebende Cousine meiner Mutter. "Ich weiß schon, wer du bist", war ihr erster Kommentar - aber ich wusste nichts. Ein paar Wochen später besuchte ich sie: Außer ihr waren auch einige Nachkommen der Geschwister meines Großvaters anwesend, und ich wurde überschwemmt mit Namen und Altersangaben einer sehr zahlreichen Verwandtschaft.

Ein halbes Jahr später gab es ein großes Familientreffen mit über 60 Teilnehmern, hauptsächlich meine Generation. Ich war als Ehrengast eingeladen, alle waren sehr neugierig auf den "neuen Cousin". Seitdem bin ich mit offenen Armen aufgenommen worden, und ich habe mein Adressbuch um viele Namen und Nummern von wunderbaren Menschen erweitert, da geht’s mir wie Frau Läderach und ihrer Tante Melinda. Und als man mir ein altes Familienfoto (um 1910) vorlegte, das meinen Großvater mit seinen Eltern und Geschwistern zeigt, habe ich ihn sofort erkannt. Er war der einzige Mann ohne Krawatte. Meine Abneigung gegen dieses Kleidungsstück habe ich wohl von ihm.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Fahrrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.