Nach der Arbeit baut Coni K. ein altes Haus auf dem Land zu einem Nest um
Nach der Arbeit baut Coni K. ein altes Haus auf dem Land zu einem Nest um
Anja Lehmann
Streit in Familien
Kein Wunschkind. Aber sie wollte leben
Coni K. wurde von ihrer Mutter nicht geliebt. Doch sie hat die schwierige Kindheit überwunden und hilft jetzt als Umgangsbegleiterin, damit Trennungskinder beide Eltern treffen können
Tim Wegner
29.09.2023
3Min

Coni K., 61:

Dass ich überhaupt auf der Welt bin, ist ein Wunder. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie in der Schwangerschaft vom Tisch gesprungen ist, um eine Fehlgeburt ein­zuleiten. Sie hatte schon zwei Kinder von zwei Männern. Ich war das Ergebnis einer Affäre mit ihrem Chef. Aber ich wollte offenbar leben.

Mein Bruder war von Sonntag bis Samstag in einer Wochen­krippe untergebracht, also auch über Nacht. ­Meine Schwester war bei ihren Großeltern. Und ich ­wurde ab der sechsten Woche von Montag bis Samstagmittag acht­dreiviertel Stunden täglich in der Krippe abgegeben. Meine Rettung war die Sekretärin der Krippe, die mich fütterte, obwohl ich nie essen wollte. Sie nahm mich auch mit nach Hause, als meine Mutter wegen versuchter Republik­flucht 1962 ein paar Wochen inhaftiert wurde.

Heute denke ich, meine Mutter war traumatisiert

Meine Mutter war eine kluge Frau, sie war erst Steno­typistin, machte dann ein Fernstudium zur Ingenieur­ökonomin und arbeitete in einem Wohnungsbaukombinat. Viele bewunderten sie dafür. Aber sie war hart zu sich und anderen. Sie war extrem sparsam, wusch unsere Wäsche noch mit dem Waschbrett, als wir uns längst eine Waschmaschine hätten leisten können. Zu essen hatte sie selten was zu Hause, ich kratzte oft die grüne Kruste von verschimmeltem Brot. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass meine Mutter mich jemals in den Arm nahm.

Heute denke ich, sie war traumatisiert. Zwei Jahre vor ihrem Tod erzählte sie meiner Nichte, als im Fernsehen gerade eine Doku über Kindesmissbrauch lief, dass ihr Onkel sie im Alter von vier Jahren missbraucht hatte. Sie hatte es damals ihrer Mutter erzählt, die den Onkel zur Rede stellte, aber juristisch wurde nichts unternommen. Sie schwankte zwischen offensivem Flirten – sie trug ­rote Kleider und Lippen – und tiefer Frömmigkeit. Meine ­Mutter war sehr katholisch.

Fräulein Saul, meine Religionslehrerin, glaubte an mich. Sie organisierte über die Caritas bunte Tafel­kreide, das hatte sonst niemand im Osten! Und ich durfte die Geschichte vom Widder im Dornengeflecht an die ­Tafel malen. Sie zeigte mir, wie man Kakao kocht, und ich ­konnte Pippi Langstrumpf lesen.

Ich geriet an die falschen Männer

In meinem Leben ist dann vieles schiefgelaufen. Ich geriet an die falschen Männer, wurde mit 21 schwanger, Abitur machen durfte ich nicht wegen meiner renitenten Mutter. Ich schlug mich und mein Kind durch mit Jobs. Mit 27 wies ich mich selber in eine katholische Psycho­klinik ein. Dort konnte ich zum ersten Mal über alles sprechen: meine Unfähigkeit, Bindungen einzugehen. Mein mangelndes Vertrauen darauf, dass Menschen auch gut zu mir sein können, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Nach der Friedlichen Revolution studierte ich Psychologie und Soziale Arbeit. Heute arbeite ich als Umgangsbegleiterin, das ist genau mein Ding. Im Auftrag des Jugend­amtes begleite ich die Kinder in total zerstrittenen Familien – bei Umgängen, Übergaben, Kindergeburts­tagen, Einschulungen oder wenn, meist beim Vater, der Verdacht besteht, dass er gewalttätig werden könnte.

Ich habe als Kind meinen Vater sehr vermisst, habe meine Mutter wieder und wieder gefragt, warum ich ihn nicht kennenlernen darf. Deshalb gebe ich bei meinen ­Familien heute alles, damit der Kontakt zu beiden Eltern­teilen bestehen bleibt. Bis auf wenige Ausnahmen wie ­sexualisierte Gewalt sollten Kinder den Vater weiter sehen. Das sind ja nicht nur ihre Wurzeln – das ist auch ein ganzes Familiensystem von Halbgeschwistern, Tanten und Omas. So schade, wenn das Kindern verloren geht.

Ich halte viel Ablehnung aus

Meine Arbeit ist anstrengend, vieles ist durch den Lockdown schlimmer geworden. Heute haben rund 40 ­Prozent meiner Fälle Psychosen oder mit massivem Drogen­gebrauch zu tun. Neulich sagte ich einer Frau: "Wenn Sie betäubt sind, können Sie Ihre Tochter nicht treffen."

Ich kann streng sein, denn es geht immer um das Wohl des Kindes. Wir Umgangsbegleiterinnen stecken viel Energie in diese Familien, aber dafür gibt es wenig Dank, manchmal schlimme Aggression. Ich halte viel Ablehnung aus, meine Kindheit war dafür das ideale Trainingsfeld. Ich lebe heute mit einem liebevollen Mann zusammen, der mich unterstützt und auffängt, und verbringe viel Zeit mit meinen drei Kindern, Schwiegerkindern und meiner ­geliebten Enkeltochter.

Protokoll: Ursula Ott

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