Die Figur der Justitia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen auf dem Römerberg in Frankfurt am Main.
Justitia thront auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt am Main.
Christoph Hardt/picture alliance/Geisler-Fotopress
Extremisten als Schöffen?
Im Namen des Volkes
Rechte wollen als Schöffen Einfluss auf die Rechtsprechung nehmen. Indes gibt es nicht genügend Bewerber für das Amt – 2018 waren ein Fünftel aller Schöffen unfreiwillig vereidigt. Wer die Menschen sind, die das Amt bekleiden
25.07.2023
8Min

Das ist besorgniserregend!, dachte eine Bekannte, nennen wir sie Anja Weide, als sie hörte, dass AfD, NPD und "Freie Sachsen" kürzlich ihre Anhängerschaft aufrief, sich für das Schöffenamt zu bewerben. Schöffen sind ehrenamtliche Laienrichter. In mündlichen Gerichtsverhandlungen haben der hauptamtliche Richter und die beiden ehrenamtlichen Schöffen das gleiche Stimmrecht. Damit können die zwei Schöffen den Berufsrichter überstimmen und über Schuld und Strafmaß erheblich mitbestimmen. Schöffinnen und Schöffen kommen beispielsweise zum Einsatz, wenn die zu erwartende Strafe zwischen zwei und vier Jahren liegt. Auch im Jugendstrafrecht können sie mitentscheiden.

"Ich finde es gut, dass Bürger gleichrangig beteiligt sind und die Entscheidungen der Rechtsprechung auf diese Weise transparent gemacht werden", sagt Anja Weide. Das Schöffenamt sei ein wunderbares Mittleramt zwischen Justiz und Gesellschaft, ein wichtiger Baustein der Demokratie. "Es kann aber eben auch unterwandert werden von Menschen mit antidemokratischen Gesinnungen, die Urteile entsprechend beeinflussen und sogar manipulieren könnten."

Die Sorge ist begründet. Dieses Jahr werden Schöffinnen und Schöffen für fünf Jahre neu gewählt. Rund 60.000 ehrenamtliche Laienrichter braucht Deutschland, doch kurz vor Bewerbungsende im Frühjahr fehlten noch Bewerberinnen und Bewerber. Im Gesetz steht, dass mindestens doppelt so viele Menschen zur Wahl stehen müssen.

Nicht alle Schöff*innen sind freiwillig vereidigt

Bewerben kann sich, wer zwischen 25 und 69 Jahre alt ist, keine Verfahren gegen sich laufen hat und nicht länger als ein halbes Jahr im Gefängnis saß. Auch Menschen, die wegen einer Tätigkeit bei der Stasi als nicht geeignet gelten, sind ausgeschlossen. Die Bewerbung wird an die Kommune geschickt, in der man gemeldet ist, die erstellt eine Vorschlagsliste, die öffentlich ausgelegt wird. Sollten Bürgerinnen und Bürger eine Kandidatur als ungeeignet empfinden, können sie innerhalb einer Woche Einspruch erheben. Die Vorschlagsliste und eventuelle Einsprüche gehen dann ans Amtsgericht. Wer Schöffe wird, bestimmt dort ein Ausschuss.

Wenn nicht genügend Bewerbungen eingehen, wählen die Kommunen nach einem Zufallsprinzip aus. Das Schöffenamt ist ein Pflichtehrenamt, das man nur mit guten Gründen ausschlagen kann, etwa wenn man einen Angehörigen pflegt. Bei der letzten Wahl im Jahr 2018 wurde ein Fünftel der Schöffinnen und Schöffen unfreiwillig vereidigt. Wer sich bewirbt, hat also gute Chancen, genommen zu werden.

Um zu verhindern, dass Menschen ein Schöffenamt übernehmen, die die Verfassung ablehnen, hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Juli eine Gesetzesverschärfung ins Kabinett eingebracht. Nicht zugelassen werden soll, "wer keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". So steht es in der Kabinettsvorlage, die der Deutschen Presseagentur vorliegt. Dass das überfällig ist, zeigt ein Fall, der Anfang des Jahres bekannt wurde.

Eine Schöffin sollte am Erfurter Landgericht über zwei Männer und eine Frau entscheiden, die insgesamt 107 Menschen aus Nicht-EU-Staaten illegal Jobs in Deutschland verschafft haben sollen. Über den Prozess berichteten Journalisten, die die Schöffin aus einem anderen Kontext kannten: Nur wenige Monate vorher hatte sie eine Kundgebung vor dem Landtag in Erfurt bei der Stadt angemeldet.

Als Redner sprachen zu den rund 2000 Demonstranten: Björn Höcke, dessen AfD-Landesverband vom Thüringer Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft wird; Jürgen Elsässer, der Herausgeber des "Compact Magazins", das das Bundesamt für Verfassungsschutz als "gesichert extremistische Bestrebung" einstuft; Lutz Bachmann von der Dresdner Pegida-Bewegung und Martin Kohlmann von der Regionalpartei "Freie Sachsen", die vom sächsischen Verfassungsschutz jeweils als "gesichert extremistisch" eingeschätzt werden. Auch an einem Netzwerktreffen der NPD soll die Schöffin laut Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks teilgenommen haben.

Nach der Gesetzesverschärfung von Bundesjustizminister Buschmann sollen Schöffen und Schöffinnen wie jene am Erfurter Landgericht schneller abberufen werden und Entscheidungen, an denen sie mitgewirkt haben, aufgehoben werden. Allerdings ist nicht jeder Fall so leicht aufzudecken wie dieser. Und die Kontrollinstanz viel zu dünn aufgestellt.

In Düsseldorf zum Beispiel kommen auf 2200 Kandidaten nur zwei Sachbearbeiter. Und den kommunalen Verwaltungen liegen normalerweise nicht einmal Daten vor, die auf einen extremistischen Hintergrund schließen lassen. Bei Zweifeln müssten sie sich an den Verfassungsschutz und die Staatsschutzdienststellen der Polizei wenden. Die Kapazitäten sind also eher für Verdachtsfälle und Stichproben ausgelegt, statt darauf, jeden Kandidaten auf seine Eignung zu überprüfen.

Schöff*innen müssen anonym bleiben

Anja Weide hat ihren richtigen Namen für das Schöffenamt jedenfalls in den Ring geworfen. Eigentlich hätte sie vorher gern noch mit einem bereits amtierenden Schöffen über das Amt, seine Aufgaben und Erfahrungen gesprochen. Doch aus dem Rathaus kam die Antwort, dass die Schöffinnen und Schöffen leider anonym bleiben müssten. Ein Grund, weshalb sie es in diesem Text auch ist.

Weil Weide keine Zeit hatte, die Informationsveranstaltung an der VHS zum Schöffenamt zu besuchen, las sie die Informationen der Stadt dazu durch und überlegte, ob sie sich für dieses Amt geeignet hält. "Mich interessiert, Rechtsprechungsprozesse besser nachvollziehen zu können. Dass ich mich von Fachsprache eher nicht beeindrucken lasse, spricht da für mich", sagt sie. In alles andere werde sie schon hineinwachsen.

"Es ist gut, dass nicht willkürlich bestimmte Menschen vor den Angeklagten sitzen"

Was erwartet Bürgerinnen und Bürger, die ein Schöffenamt antreten?

Peter Maxwill, 35 Jahre alt, kann dazu einiges sagen. Anders als Anja Weide wollte er gar nicht Schöffe werden. 2013 - er war 25 - wurde ihm per Brief mitgeteilt, dass er als Schöffe ausgewählt wurde. "Ich hatte damals keine Ahnung, dass es so was überhaupt gibt und dass man dazu zwangsverpflichtet werden kann", sagt er heute. In seine damalige Lebensphase passte das überhaupt nicht. Er war angehender Journalist und machte gerade ein Auslandssemester in Italien. Als es 2014 am Landgericht Hamburg losging, war sein Studium auf der Zielgeraden. Im Anschluss versuchte er, sich eine Existenz als freier Journalist aufzubauen.

"Das Amt war ein Klotz am Bein", sagt er. Im ersten Jahr hatte er mehr als 20 Verhandlungstage. Diese Tage musste er sich freihalten, auch wenn der Gerichtstermin manchmal nur 10 Minuten dauerte. Er bekam nur ein Ausfallhonorar für diese 10 Minuten, auch wenn er wegen des Gerichtstages eine ganze Redaktionsschicht nicht hatte annehmen können.

"Wenn man nicht fest angestellt ist, ist das extrem ärgerlich", sagt Maxwill. Außerdem musste er seinen Urlaub nicht nur mit seinen Auftraggebern, sondern auch mit dem Gericht absprechen. Weil er sich als Berufsanfänger in seiner Existenz bedroht fühlte, stellte er einen Antrag, um freigestellt zu werden. Der wurde allerdings abgelehnt, worüber er heute froh ist. Aus der Not machte er eine Tugend und schrieb über seine Schöffenzeit für Spiegel Online.

Bis zu zwölf Prozesse im Jahr

"Die Zeit als Schöffe hat mir viel gebracht", sagt er heute. Und so ungeliebt das Pflichtehrenamt sein kann, es habe seine Berechtigung. "Es ist gut, dass nicht willkürlich bestimmte Menschen vor den Angeklagten sitzen, sondern sie nach einem gewissen Prinzip ausgewählt sind." So soll ein Querschnitt der Gesellschaft an der Rechtsprechung "im Namen des Volkes" beteiligt werden.

Fünf Jahre lang war er am Landgericht Hamburg in verschiedenen Strafkammern eingeteilt. Schöffen werden jährlich in bis zu zwölf Prozessen eingesetzt, die jeweils mehrere Gerichtstage umfassen können. In einem Jahr wurde er gar nicht gebraucht. Zur Vorbereitung bekam er viele Unterlagen und das Angebot, an einem VHS-Kurs teilzunehmen.

Juristisches Vorwissen brauchte er nicht. "Es ist gewollt, dass man eine Mischung aus Bauchgefühl, Gerechtigkeitsempfinden und spontaner Impression in den Prozess einbringt", sagt Maxwill. In den Fällen, die ihm am meisten in Erinnerung geblieben sind, waren die Angeklagten fast ausschließlich Menschen mit geringer Bildung und einer hohen Anfälligkeit für psychische Probleme. Viele hatten harte Schicksalsschläge erlitten.

"Es ist nicht Kernaufgabe des Gerichts, Mitleid zu haben"

Ein Mann etwa war vor einer Blutrachetat nach Deutschland geflüchtet und hatte hier mit Drogen gehandelt, um sich über Wasser zu halten. In einem anderen Fall sollte er über einen alkoholabhängigen Mann urteilen, der seine alkoholabhängige Frau im Rausch schwer zugerichtet hatte. Im Gericht versuchte die Frau, ihre Strafanzeige aus Angst vor der Strafe zurückzunehmen. "Die hatten nur noch sich beide. Die wollten nicht, dass der andere abhandenkommt", erzählt Maxwill.

Jedes Mal stellte sich dann die Frage: Wie sehr glauben Richterinnen und Schöffen die Geschichte und wie sehr mildern die Umstände die Strafe ab? Oder auch: Wie krank ist der oder die Angeklagte? "Ich hatte oft Mitleid mit den Angeklagten, aber es ist eben nicht die Kernaufgabe des Gerichts, Mitleid zu haben", sagt er. Nur selten begegnete er Kriminellen, wie man sie aus Büchern oder Filmen kennt: nämlich als hinterhältige, niederträchtige Ganoven.

Das Verhältnis zu den Richtern war sehr unterschiedlich. Im ersten Jahr erlebte er eine Richterin, die die Schöffen sehr eingebunden hat. "Sie hat sich immer wieder mit uns zurückgezogen, um uns Dinge zu erklären, und im Gerichtssaal hat sie gefragt: Gibt es vonseiten der Schöffen noch Fragen?" Er hat aber auch das Gegenteil erlebt.

"Es gibt leider Richter, die einem das Gefühl geben, dass sie einen nicht ernst nehmen und die versuchen, einen aus vielem rauszuhalten", sagt Maxwill. Ein vorbildlicher Umgang mit Schöffen kostet eben Zeit und die Arbeitsbelastung an Gerichten ist ohnehin sehr hoch. Dabei könne es für Richter auch eine Erleichterung sein, die Schöffen ernst zu nehmen, sagt Maxwill. Weil die Sozialarbeiterin und der Lehrer in Rente im Schöffenamt eben andere Perspektiven reinbringen. "Bei manchen Richtern musste ich kämpfen, um gehört zu werden, was andere nicht gemacht haben." Andere Schöffen habe er oft wie interessierte Museumsbesucher wahrgenommen und nicht wie Menschen, denen eine große Aufgabe zugesprochen ist.

Umso ernster werden die Schöffen von manchen Rechtsanwälten der Angeklagten genommen. "Die wissen, dass Schöffen ein Vehikel sein können, um strafmildernde Umstände zu erwirken", sagt er. Da müsse man aufpassen, nicht zum Spielball zu werden. "Oft ist der Ermessensspielraum riesig."

Privat

Peter Maxwill

Peter Maxwill, Jahrgang 1987, ist Zeithistoriker und Journalist. Für die Jahre 2014 bis 2018 wurde er als Schöffe am Landgericht Hamburg verpflichtet, worüber er mehrere Artikel für Spiegel Online schrieb. Seit 2021 ist er Spiegel-Korrespondent mit Sitz in Leipzig. Er veröffentlichte das Buch "Mit Recht gegen rechts" über Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Parteien sowie den Reportageband "Die Reise zum Riss - Berichte aus einem gespaltenen Land".

Fünf Jahre ist es nun her, dass Peter Maxwill als Schöffe am Gericht zuhörte, Fragen stellte und sein Bauchgefühl mitreden ließ. Auch wenn das auferlegte Ehrenamt für ihn zeitintensiv war, mit Entbehrungen und viel Papierkram einherging: Heute sagt er, dass er sich gut vorstellen könne, sich eines Tages von sich aus zu bewerben – weil es so eine wichtige Aufgabe ist.

Umso wichtiger, dass sie nicht von Menschen mit extremistischer und demokratiefeindlicher Gesinnung übernommen wird.

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