Die Flutkatastrophe im Ahrtal jährt sich am 14. Juli 2023 zum zweiten Mal.
Nach der Flutkatastrophe im Ahrtal ist wenig, wie es war
Boris Roessler / picture alliance / dpa
Menschen im Ahrtal
"Viele Paare wurden richtig aus der Bahn geworfen"
Nach der Flutkatastrophe steigt der Beratungsbedarf für Paare im Ahrtal. Der Psychologe Michael Bruckner nimmt sich ihrer an
Tim Wegner
12.07.2023
4Min

chrismon: Warum beraten Sie jetzt, zwei Jahre nach der Flutkatastrophe, Paare im Ahrtal?

Michael Bruckner: Viele kommen jetzt in die Ruhe. Sie finden Worte für das, was sie lange und zermürbend beschäftigte: sich um Familie und Freunde sorgen, Baumaterialien organisieren, Anträge stellen, mit Behörden streiten. Jetzt, wo die Aufgaben weniger werden, wagen sie den Rückblick ...

... und die Ehen geraten in die Krise?

Nein. Nicht in jedem Fall. Das Hochwasser und dessen Folgen belasten die Menschen extrem. Aber keineswegs alle entwickeln ein Trauma. Viele haben sich selbstwirksam und stark erlebt. Aber nicht alle haben das Gleiche gesehen und erleben müssen. Gerade bei Paaren zeigen sich oft recht deutliche Unterschiede.

Privat

Michael Bruckner

Michael Bruckner, Jahrgang 1955, ist Diplompsychologe, Paartherapeut und Theologe. Er leitete 25 Jahre die katholische Familienberatungsstelle in Düsseldorf und ist auch ausgebildeter Mediator.

Welche?

Zurzeit führe ich mit einem Paar Gespräche. Am Anfang muss sie losstürmen, ist kaum zu bremsen. Er sitzt daneben, angespannt und schweigt. Sie kann sein Schweigen kaum ertragen. Im Laufe des Gespräches wird deutlicher: Mit seinem Schweigen will er sie beruhigen. Und er will seinen eigenen Ängsten weniger Raum geben. Nun können wir darüber sprechen, wie jeder dazu beigetragen hat, dass sie ihre Situation meisterten. Es ist erstaunlich und bewegend mitzuerleben, was sie voneinander an vielen kleinen Gesten und großen Hilfen füreinander in den zwei Jahren mitbekommen haben. Sie erkennen jetzt, dass jeder mit guter Absicht gehandelt hat.

Welche Probleme sehen Sie außerdem?

Viele Paare wurden richtig aus der Bahn geworfen. Sie können nicht mehr schlafen, essen nicht genug, grübeln viel und bekommen beim kleinsten Donner Panik. Sie haben sich in dieser Nacht als hilflos und schutzlos erlebt. Gerade bei Männern ist das ein enormer Angriff aufs Selbstbild. Man hat sich selbst immer als tatkräftig erlebt – und plötzlich war man ausgeliefert. Feuerwehrleute und Rettungskräfte waren besonders herausgefordert: Sie wollten helfen und mussten gleichzeitig zusehen, wie sie nicht bergen und retten konnten und sich oft selbst in höchste Gefahr brachten. Viele fanden gute Gespräche, die sie entlasteten. Und doch ist es noch einmal ein Schritt, mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin ins Gespräch zu kommen.

Wie gehen Sie es an?

Mir ist wichtig: Die Paare erhalten Raum und Zeit zu erkennen, dass alle ihre Reaktionen – so schmerzhaft sie sein können – geholfen haben, das Schlimme zu bewältigen, also einen tieferen Sinn hatten. Daraus kann man schon Dinge ableiten, die dem Paar auch künftig guttun können. Viele haben Hilfe angenommen von Nachbarn, Freunden oder Helfern - das können sie auch künftig pflegen. Und manche haben gebetet. Auch das kann
guttun.

Wollen die Paare denn alles Erlebte noch mal durchsprechen?

Nein. Und in vielen Fällen ist das gut so. Wir sprechen darüber, wie sie die Zeit nach dem 14. Juli bewältigten, was sie aneinander fanden, was sie sich vielleicht vom anderen mehr gewünscht hätten und wie sie zukünftig ihr Leben auszurichten gedenken. Doch die Paare entscheiden, was wir in den Gesprächen entwickeln.

Wieso die Flutnacht ausklammern?

Wenn man von der Flutnacht erzählt, werden die Bilder und Szenen wieder wach: Gerüche, Geräusche, Bilder. All das ist in unseren ältesten Hirnregionen gespeichert, sie reagieren fünfmal so schnell auf Ereignisse wie unser Frontalhirn. Das Frontalhirn ist dafür da, die Dinge sprachlich zu erfassen. Wenn wir immer wieder diese Bilder wachrufen – mitsamt den Reaktionen wie Zittern oder Herzrasen – wird es schwer, ein strukturiertes Gespräch zu führen.

Lesen Sie hier ein Interview mit Seelsorgerin und Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel über die Frage: Wie geht es Menschen im Ahrtal ein Jahr nach der Flut?

Was bieten Sie für Paargespräche an?

Die Paare sollen herausfinden: Was haben wir gemeinsam geschafft? Wie sichern wir das? Wofür sagen wir Danke? Und was nehmen wir uns gemeinsam vor? Die Paare, die ich bis jetzt beraten habe, sagen, dass ihre Beziehung wieder harmonischer wird, sie fühlen sich erleichtert und schlafen wieder besser.

Wie oft können die Paare kommen?

Bis zu vier Mal. Dazwischen liegen immer ein paar Wochen, in denen das Paar für sich schaut, was es gerne noch miteinander anspricht. Manchmal reichen vielleicht zwei Gespräche, und danach entscheiden die Partner, jetzt häufiger das Gespräch miteinander zu suchen. Dann ist es auch gut.

Wie läuft es konkret?

Die Gespräche finden in einer Praxis in Mayschoß statt, sie sind für die Paare kostenlos. Viele Familien im Ahrtal warten noch auf ihre Entschädigung, viele Möbel müssen neu gekauft werden. Da ist es gut, dass die Aktion Medeor e. V. die Kosten übernimmt. Sie können sich auf meiner Homepage anmelden.

Wo waren Sie eigentlich selber in der Nacht?

Ich wohne in Erftstadt und war nicht direkt von der Flut betroffen, aber ich kam von einer Dienstreise nicht mehr mit dem Auto durch zu meiner Frau. Mein Elternhaus in Ahrweiler, in dem mein Bruder und meine Schwägerin wohnen, steht mitten im Flutgebiet. Das Wasser stand im Parterre bis zur Decke. In den ersten Tagen waren meine Frau und ich vor Ort. Auch Freunde und Bekannte waren betroffen.

Was hat Sie bisher am meisten berührt in den Gesprächen?

Wie dankbar die Menschen sind für die Hilfe, die ihnen zuteilwurde. Das ist wirklich sehr bewegend.

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