Eigentlich wird Ehrenamt nicht vergütet - doch in manchen Fällen macht das Sinn
Eigentlich wird Ehrenamt nicht vergütet - doch in manchen Fällen macht das Sinn
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Kein Privileg für Besserverdienende
Das "Ehrenamt" darf kein Privileg für Besserverdienende sein, sagt Hanna Lucassen von der Diakoniestation Frankfurt. Ein Teil der Begleiter*innen bekommt Geld für das Engagement, andere nicht. Wichtig ist eine offene Kommunikation.
Tim Wegner
19.06.2023

Frau Lucassen, in ihrem diakonischen Projekt in Frankfurt organisieren Sie einen Kreis von Menschen, die sich ehrenamtlich um Senioren kümmern und sie einmal die Woche besuchen. Einige von ihnen bekommen dafür 12,50 Euro pro Stunde. Ein Widerspruch?

Hanna Lucassen: Nein. Non-Profit-Organisationen dürfen ihren ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen Geld bezahlen. Das ist kein festes Gehalt, sondern eine Aufwandsentschädigung. Die ist steuer- und sozialabgabenfrei, wenn sie unter 840 Euro im Jahr liegt. In manchen Bereichen sind auch bis 3000 Euro erlaubt.

Aber es heißt doch Ehrenamt?

Ja, das Wort empfinde ich mittlerweile als Problem. Ich spreche eher von Freiwilligen oder einfach den Begleiter*innen. Doch ich kann die Irritation gut nachvollziehen. Kurz nachdem ich diese Stelle vor eineinhalb Jahren übernahm, rief mich eine der Begleiterinnen an und beschwerte sich, das Geld für den Vormonat sei immer noch nicht auf ihrem Konto. Das passte für mich auch überhaupt nicht in das reine, selbstlose Bild des Ehrenamts, wo Geld angeblich so gar keine Rolle spielen darf.

Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff

Hanna Lucassen

Hanna Lucassen ergründet das Miteinander. Sie war Krankenschwester, studierte Soziologie, arbeitet heute als freie Journalistin in Frankfurt und leitet ein diakonisches Projekt gegen Einsamkeit im Alter. In chrismon bloggte sie unter dem Titel Pflegeleicht. Für den Fastenkalender von 7 Wochen Ohne sucht sie nach schönen Texten.

Und heute?

Ich sehe das jetzt anders. Auch wer wenig Geld hat, möchte sich sozial engagieren und etwas für die Gesellschaft tun. Die Pauschale ermöglicht und fördert das. Rentner*innen zum Beispiel, oder Menschen in der Grundsicherung oder mit Erwerbsminderungsrente. Wenn die im Supermarkt jobben, um etwas dazuzuverdienen, dann wird ihnen dies – anders als bei der Aufwandsentschädigung für ein Ehrenamt - steuerlich angerechnet oder von den Leistungen abgezogen. Das "Ehrenamt" darf kein Privileg für Gutbetuchte sein.

Dann besteht aber die Gefahr, dass es Begleiter*innen gibt, die das nur wegen des Geldes machen?

Es muss immer klar sein, dass der alte Mensch im Vordergrund steht und nicht das Geld, das ich dabei verdiene. Eine alte Dame hat mir mal gesagt, dass ihre Begleiterin unwirsch reagierte, wenn sie ihr mal absagt … Ich vermute, das lag daran, dass diese ohne die Stunden kein Geld bekam. Das darf natürlich nicht sein. Die Begleiterin arbeitet auch nicht mehr bei uns. Da muss man genau hinschauen und auch offen drüber sprechen.

Das heißt, die Leute wissen untereinander, wer Lohn bekommt und wer nicht?

Ich weiß nicht, ob sie sich das gegenseitig erzählen, aber das können sie natürlich. Mein Ziel ist, dass das keine Bedeutung hat. Neulich hat einer der Begleiter, ein gut situierter Rentner, in unserer Gruppensitzung klar und deutlich gesagt, dass Ehrenamt für ihn etwas sei, was er ohne Bezahlung ausübt. Da herrschte dann erst mal betretenes Schweigen bei all denen, die die Aufwandsentschädigung bekommen. Mein Job ist es, darüber offen zu reden. Ich sage bei allen Vorstellungsgesprächen jetzt: "Dies ist eine ehrenamtliche, freiwillige Tätigkeit. Sie können eine Aufwandsentschädigung erhalten. Einige hier tun das, andere nicht. Jeder kann seine Lebenssituation am besten einschätzen und weiß, ob er das braucht." Damit mache ich ganz gute Erfahrungen.

Wie finden die alten Menschen das, wenn sie hören, dass jemand Geld dafür bekommt, um ihnen vorzulesen oder spazieren zu gehen?

Einer Frau gefiel das nicht. Sie sagte: "Ich möchte, dass jemand zu mir kommt, weil er mich mag - und nicht, weil er Geld bekommt." Viele andere finden das gut und richtig. Sie haben eh oft ein schlechtes Gewissen, die Zeit anderer zu "stehlen". So fällt es ihnen leichter, das anzunehmen, und die Sache ist klarer.

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