Mein Storno - Urlaub
Mein Storno - Urlaub
MacRein / photocase
Mein Storno
Wer große Reisen gebucht hat, muss stornieren, umdisponieren, improvisieren. chrismon-RedakteurInnen über ihren Plan B in Corona Zeiten
Tim Wegner
Tim Wegner
Tim Wegner
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
Tim Wegner
13.07.2020

Alpenvorland statt Kaukasus

Zwei Wochen Georgien waren für Ende Mai geplant. Mit acht Freunden wollte ich in das Nachtleben von Tbilisi abtauchen, im Kaukasus wandern, Weine in Kachetien trinken und im Schwarzen Meer baden. Doch die abgeschiedenen Bergdörfer und mystischen Klöster, die – so beschreibt es zumindest der Reiseführer – alle ausnahmslos direkt aus dem Fels geschlagen wurden, sollten uns ebenso verwehrt bleiben wie postsowjetische Ruinenbars und verschlungene Canyons.

Schloss Neuschwanstein. Kein Geheimtipp. Aber mit etwas Fantasie wirkt es so, als hätte es jemand direkt aus dem Fels geschlagen

Klar, Georgien ist vom Geheimtipp mittlerweile zum Reisehype-Land avanciert, aber vielleicht hätte sich dort zumindest noch ein bisschen Urtümlichkeit und Authentizität gefunden, die man als Tourist so gern sucht. Unsere kleine Reisegruppe war auf jeden Fall Feuer und Flamme.

Doch dann kam Corona und spätestens Ende März wurde klar: Das wird dieses Jahr nix mehr. Also alles storniert und auf die ferne Zukunft verschoben.

Stattdessen fahre ich jetzt mit zwei Freunden für vier Tage an den Forggensee nach Bayern. Das sieht auch recht idyllisch aus, man kann wandern, schwimmen und (mit Mundschutz!) Schloss Neuschwanstein besichtigen. Das hab' ich tatsächlich auch noch nie gesehen und mit etwas Fantasie wirkt es so, als hätte es jemand direkt aus dem Fels geschlagen. Und dass bayerisches Bier locker mit kachetischem Wein mithalten kann, steht ohnehin außer Frage.

Michael Güthlein

 

Traunsee statt Algarve

Es hätte echt gut werden können. Letztes Jahr im November feierte ich eine rauschende Geburtstagsparty mit einem abgefahrenen Buffet. Als die Rechnung kam, stand auf dem Briefpapier, der Ehemann der Köchin vermiete auch ein Haus an der Algarve. Und wir dachten: Wenn das Haus so schick ist wie das Essen, nichts wie hin. Vinho verde am Strand, Cataplana-Fisch und Blick über die Bucht. Juhu! Flüge nach Faro gebucht, Haus anbezahlt, Algarve, bom dia.

Dann kam Corona. Was denn mit unserer Buchung sei, fragten wir vorsichtig den Vermieter, der gab sich gelassen. Er selber fahre fröhlich gerade mit dem Auto nach Spanien, um neue blaue Keramikteller für das schicke Catering abzuholen. Alles kein Drama, Portugal geht.

Aber geht Portugal? Mein Mann durchkämmte die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes und referierte täglich die beruhigend niedrigen Infektionszahlen zwischen Faro und Lissabon. Aber falls doch ... o. k., eine deutschsprachige Arztpraxis am Ort. Schwerpunkt Anti-Ageing und Mittelohrentzündung. Virologen eher weniger. Und wenn im Flieger einer hustet? Wir telefonierten mit der Airline, buchten "Private Seats". Nun sollte uns Reihe 1 A, B, C gehören, das klang gut.

Urlaub am Traunsee. Die Fotos auf der Homepage sehen aus, als käme gleich Helmut Kohl um den Berg gewandert.

Zwei Tage drauf eine Mail der Airline. Rückflug annulliert, Hinflug von Düsseldorf statt Köln mit den Plätzen 1A, 7b und 3c. Chau, Algarve. Storno.

Seither weiß ich, womit ich meinen ärgsten Feind foltern würde, wenn ich könnte: mit der Warteschleifenmelodie von Eurowings. Ich hätte gern das Geld für meine Private Seats zurück, aber das gebe ich demnächst auf, ich habe in Summe fünf Stunden erfolglos im Callcenter verbracht. Und bin reif für einen extrem ruhigen Rentnerurlaub am Traunsee. Da fahren wir jetzt hin, in der Nähe vom Wolfgangsee, und genau so sehen die Fotos auf der Homepage aus. Als käme gleich Helmut Kohl um den Berg gewandert.

Ab jetzt gilt: Storno im Kopf. Vermutlich hätte ich in Portugal doch wieder diese fiese Fischvergiftung bekommen, die ich schon mal in Nizza hatte. Wir setzen jetzt auf: grünen Veltliner und Blick auf den Traunstein. Zu meiner nächsten Geburtstagsparty, vermutlich mit vier Gästen in einer Turnhalle, gibt's Wiener Schnitzel. Damit keiner auf so Ideen kommt.

Ursula Ott

 

Rügen statt Atlantik

Meine Familie kann nicht planen. Und den Sommerurlaub schon mal gar nicht. Wann und mit wem und wohin sind Worte, die uns ängstigen. Wir könnten uns ja festlegen. Und da liegt wohl unsere Schwäche. Anders im Januar 2020, wir sind euphorisch, es ist kalt und wir wollen ins Warme, gemeinsam mit unseren Freunden suchen wir ein Haus für acht Personen. Auf nach Frankreich, Atlantikküste, juchuu! Geschenkt, dass wir abendelang auf der Couch sitzen und uns leicht angespannt durch Hunderte von Appartements klicken. Wir entscheiden uns ganz entgegen unseren Gewohnheiten bereits sechs Monate, bevor wir losdüsen, für ein Haus am See. Der Zufall will es, dass sogar die beste Freundin der Tochter zur gleichen Zeit am selben Ort ist. Lacanau, wir kommen! Und wir zahlen einen Batzen Geld an.

Dann kam Corona, und wir bangten der Zweimonatsfrist entgegen. Natürlich haben wir keine Reiserücktrittsversicherung, Profis im Urlauben sind wir einfach nicht. Was tun? Storno! Viele Mails gehen hin und her, Mitte Juni war das Geld wieder auf dem Konto.

Wir sind schon da! 

Und in der Zwischenzeit? Umdisponieren, recherchieren, jetzt soll es Rügen werden. Die Ostsee ist doch auch schön! Und auf Rügen scheint Corona so gar nicht zu Hause zu sein. Nach vielen Anfragen per Mail läuft uns die Zeit davon. Bei einer alten Kate, reetgedeckt, mit einem Zirkuswagen im Garten und dem Meer so nah werde ich ganz nervös und greife zum Hörer. Ich möchte sofort wissen, ob es klappen könnte. Eine freundliche Stimme am Hörer: "Sie sind die Erste, die sich per Telefon meldet, hier liegen Berge von Mailanfragen, die mich einfach nur überfordern. Wissen Sie was? Wir machen das jetzt am Telefon klar, Sie können das Haus haben." Fünf Minuten später der Vertrag, zehn Minuten später meine Unterschrift, Rügen, wir kommen.

Dorothee Hörstgen

Edersee statt Great Barrier Reef

Die Anfrage kam ganz unvermittelt: Ob meine Frau und ich für ein Jahr unser Haus tauschen wollen, mit einer Deutschen, die in Brisbane lebt, Australien. Meine Chefin ließ sich darauf ein, dass ich ein Sabbatical machen würde. Ich könne ja noch immer ein wenig von Australien aus arbeiten. Wir sagten zu. Das war vor drei Jahren.

Schon nach einem halben Jahr kam das erste Storno. Die Deutsche in Australien hatte sich ein neues Haus gekauft – und das alte noch nicht verkauft. Die Zinsen für den Überbrückungskredit raubten ihr das Ersparte. Ob wir zwei Jahre verschieben könnten? Wir konnten. Vergangenen November fragten wir nach: Steht das noch, das Austauschjahr? Unsere Tauschpartnerin zögerte. Na ja, ich weiß nicht, eigentlich, na ja, nicht wirklich.

Wir planten eine abenteuerliche Route: Dänemark, Schweden, Norwegen bis ans Nordkap, Finnland, Russland bis an den Ural, Kasachstan, Usbekistan, Kaukasus, Türkei, Südosteuropa.

Nun hatte ich aber schon freie Zeit für das Sabbatical angespart – was damit anfangen? Meine Frau hatte die beste Idee: Wir kaufen einen Camper und reisen ein halbes Jahr durch die Welt. Oder länger. Wir reisen an den Pazifik! – Ach nein, dann kämen wir ja in den sibirischen Winter. Oder müssten durch Pakistan touren. Afrika von Nord nach Süd zu durchqueren, lockte uns auch nicht: Unruhen im Sudan, Bürgerkrieg in Libyen, Terror in Mali.

Aber wir kauften einen Bus, gebraucht, gaben ihn in die Werkstatt zum Aufmöbeln. Wir kauften Reiseführer für eine abenteuerliche Route: Dänemark, Schweden, Norwegen bis ans Nordkap, Finnland, Russland bis an den Ural, Kasachstan, Usbekistan, Kaukasus, Türkei, Südosteuropa.

Wir hatten uns schon bis zum Georgienführer vorgearbeitet, als der Lockdown kam. Skandinavien? Schlecht, wegen des schwedischen Sonderweges in der Corona-Krise. Russland? Katastrophe, das wird auf absehbare Zeit nichts mehr. Und der Camper? Noch immer in der Werkstatt. Deren Auftragslage war während der Krisenzeit so gut, dass nichts mehr ging.

Und nun? Diesen Sommer etwas durch Deutschland touren und abwarten. Zum Glück reagierte meine Chefin großzügig. Wir können die zweite Hälfte des Sabbaticals aufs kommende Jahr verschieben. Mal sehen, was für Katastrophen dann auf uns zukommen.

Burkhard Weitz

 

Uckermark statt Kreta

Wie hatte ich mich auf die einsamen Buchten an der Südküste von Kreta gefreut, auf glasklares Wasser und Sonnenglitzer! Nach den vielen Wochen ohne Schwimmbäder noch mehr als sonst. Wie haben wir Stadtmenschen ohne Balkon die lauen Abende im lauschigen Garten unseres Ferienhäuschens herbeigesehnt! Nun, es kam anders. Es kam Brandenburg.

15 Grad kaltes Wasser, 17 Grad Lufttemperatur. Ich habe so was geahnt und einen Neoprenanzug gekauft. Damit bin ich jeden Tag ins Wasser. Einmal über den See vor unserer Haustür und zurück. Es war großartig. Es war einsam. Das Wasser war glasklar. In der zweiten Woche brauchte ich den Anzug nicht mehr, als die Sonne da war, haben sich die Seen schnell erwärmt.

Außerdem hatten wir unser Faltboot dabei und so viele größere und kleinere Seen, Kanäle und Flüsschen um uns herum, dass die Zeit nicht reichte, um alle zu erkunden. Und wenn die Arme vom Paddeln müde waren, sind wir mit den Rädern über die sanften Hügel der Uckermark gefahren, haben das Haus von Hans Fallada und kleine Dorfkirchen besucht und am Wegesrand die ersten Kirschen gepflückt.

Auch schön - Mit den Rädern über die sanften Hügel der Uckermark fahren

Wir haben Störche beim Füttern beobachtet und Libellen beim Sex, wir haben Rehe gegrüßt, und an einem der langen Juni-Abende waren wir so spät unterwegs, dass auf einmal ein Biber neben unserem Boot auftauchte. Danach habe ich mir nur noch gewünscht, einen schwimmenden Hirsch zu sehen. Das gibt's, davon haben uns die Einheimischen erzählt.

Und wenn wir uns abends bei Bier und Räucherfisch von den letzten Sonnenstrahlen überm See verabschiedeten, sagten wir zu uns: "Nicht Kreta, aber auch sehr schön!"

Claudia Keller  

 

Kühe gucken statt Drei-Länder-Tour

Drei Länder mit dem Fahrrad, so was schwebte uns für dieses Jahr vor, zum Beispiel der Drau-Radweg von Italien über Österreich nach Maribor in Slowenien. Aber jeden Tag woanders nächtigen und dauernd in Lokalen essen? Zu riskant. Besser Fewo als Standquartier. Seufz, ein Rentnerurlaub.

Ost- und Nordsee? Alles längst ausgebucht in diesem Sommer. Also wandern, in den Alpen. Allgäu? Alles dicht. Nur noch Fewos mit Gruselteppich. Also weiter südlich. Wo will jetzt keiner hin? Nur so aus Neugier geguckt, was in Ischgl in Tirol noch frei wäre. Ich fand nur noch abgegrabbelte Appartements. Oder überteuerte.

Wer guckt da wem zu?

Also noch weiter südlich: Südtirol. Wie hieß der Ort, wo es dort losging mit Corona? Wolkenstein im Grödnertal. Gleich nebenan die köstliche Seiser Alm. Endlich: Ein Bauernhof mit Kühen und Holzboden-Fewo, mitten in einer Streuobstwiesen-Landschaft, wird uns aufnehmen. Werden wir überhaupt wandern? Ach, ich glaube, wir werden vor allem im Gras liegen und Kühen beim Wiederkäuen zugucken. In diesem Jahr war doch eigentlich schon genug Aufregung. Herrlich, so ein Rentnerurlaub!

Christine Holch

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