Kunstwerk - Der erste Messerstecher
Kunstwerk - Der erste Messerstecher
AKG-Images, Wolfgang Mattheuer/VG Bild-Kunst
Der erste Messerstecher
Sieht schlicht aus. Hat es aber in sich. Wolfgang Mattheuers Gemälde "Kain und Abel" stellt große Fragen. Zum Beispiel: ob unsere Zivilisation auf Gewalt gründet.
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
11.11.2019

Schon die Eltern von Kain und Abel, eine gewisse Eva und ein gewisser Adam, hatten sich bekannter­maßen nicht daran gehalten, was man beziehungsweise der Herrgott ihnen sagte. Und so gilt, was etliche Elternratgeber Müttern und Vätern ins Gewissen schreiben, bereits im Alten Testament: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Kain tut nicht, wie ihm geheißen. Er hat weder Lust, seinen Zorn zu zähmen, noch können göttliche Ermahnungen ihn beruhigen.

Für Gott hat die Lammhaxe des ­Hirten Abel als Opfer besser getaugt als Bauer Kains trockenes Getreide. Der Mann ist 
sauer. Unter falschen Vorwänden lockt er den versöhnungswilligen (oder einfach nur schrecklich naiven) Bruder Abel 
aufs Feld, um ihn dort zu erschlagen. Wie? Hinterrücks mit einem Stein, könnte man denken. Künstler Wolfgang Mattheuer gibt seinem Kain 1965 eine Klinge in die Hand. Der erste Mörder der Menschheit – ein Messerstecher! So zu meucheln, erschien dem Maler vielleicht als besonders feige. Das glänzende Corpus Delicti hält Kain noch, als er den Körper schon zur Flucht neigt.

Mattheuer stellt uns erstaunlich viele Fragen

Eine interessante Anordnung der ­beiden Figuren übrigens. Denn Abel, der sich vermutlich die Stichwunde zuhält, steht aufrecht da, seinen Kopf hat er gen Himmel gerichtet. Will der Künstler ­zeigen, welch edler Mann das Opfer war? Der brave Abel, mit gutem Draht zum Höchsten? Im Gegensatz dazu rennt sein Bruder unnatürlich drückebergerisch davon, sein Körper scheint unter der Schwere seiner Sünde noch tiefer zu sinken. Der Leipziger Maler Wolfgang Mattheuer war, vielleicht ähnlich wie Max Beckmann, ein Meister darin, mit reduzierten, ausdrucksstarken Formen viel Gleichnishaftes auf die Leinwand zu bringen und durch kleine Veränderungen Altbekanntem einen neuen Dreh zu verleihen.

Mattheuer zeigt hier nicht den Moment, in dem Kain seinen Bruder tötet, wie jahrhundertelang etliche Maler vor ihm. Sondern er widmet sich dem Moment kurz nach der Tat. Abel erscheint noch aufrechter, Kain noch niederträchtiger. Und zu wem gehören Frau und Kind im Hintergrund? Was hat es mit der Siedlung am Bildrand auf sich? Wenn zwei sich streiten, leiden Dritte? Ist die Sesshaftwerdung des Menschen auf Gewalt gegründet? Mattheuer stellt uns erstaunlich viele Fragen mit seiner fast schon 
minimalistisch anmutenden Szenerie.

Lukas Meyer-BlankenburgPrivat

Lukas Meyer-Blankenburg

Lukas Meyer-Blankenburg ist freier Journalist mit Hang zur Kunst

Der 1927 im Vogtland geborene Künstler warf der Gesellschaft, in der er lebte, gern etwas zum Nachdenken hin. Den Meuchelmörder Kain verschlägt es nach dem Mord in das Land Nod östlich von Eden, für ihn ein Land der Ruhe- und Heimatlosigkeit. Mattheuer zog vom Vogtland nach Leipzig, brachte sich selbst das Malen bei und begründete anschließend die sogenannte Leipziger Schule mit, die gängige Entwürfe von Realität künstlerisch infrage stellte. Später stufte ihn die Stasi als Staatsfeind ein. Das Ende der DDR beförderte seine bundesrepublikanische Karriere, ehe er 2004 in Leipzig starb.

Kains Karriere verläuft, das muss man sagen, noch steiler. Von langanhaltender Reue ist wenig zu sehen. Der Bruderkonkurrent ist aus dem Weg geräumt. Kain gründet eine Stadt, hat Frau und Kind und wird so zum Urahn für einen nicht unerheblichen Teil der Menschheit. Zum Erziehungsratgeber taugt diese Bibelgeschichte nicht. Die alttestamentlichen Gottväter erzogen ihre Menschlein wesentlich gewalt­orientierter als heutige Papas. Bei denen würde es bestimmt heißen: Kain und Abel, ihr könnt das Lamm doch auch gemeinsam opfern.

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