Portrait der ehemaligen Polizeikommisarin Gabi S., während eines Spaziergangs durch ihr ehemaliges "Einsatzgebiet" Mannheim, Deutschland
Portrait der ehemaligen Polizeikommisarin Gabi S., während eines Spaziergangs durch ihr ehemaliges "Einsatzgebiet" Mannheim, Deutschland
Alex Fischer
Die Kommissarin hört auf ihr Herz
Vorzeitig in Rente, warum das? Sie war doch gerade so erfolgreich! Und eine der ersten Kripofrauen im Land
22.03.2018

Gabi S., 59:
Normalerweise macht es „dum, dum, dum“. Aber plötzlich war da: Dum, du-dum . . . Pause. 35 statt 60 Schläge. Vor vier Jahren fing das an, das Herzstolpern. Den Krebs konnte man wegschneiden, eine Eileiterschwangerschaft überstand ich dank Not­operation – aber das Herz, das ist doch mein Motor, das bin doch ich! Ich bekam plötzlich Angst. Wie oft würde ich das Schicksal noch herausfordern können? Dann warf ich zwei Tabletten ein und düste zum nächsten Einsatz.

Es lief einfach so gut. Die Ermittlungsgruppe Rauschgift, die ich seit 13 Jahre leitete, war erfolgreich wie nie, eine Supertruppe. Zwölf Kerle und ich. Da kann ich doch nicht einfach schlappmachen. Was denken die denn? ­
Die ist doch immer vorgeprescht, was hat sie denn jetzt? Das schien mir nach 38 Berufsjahren wie Fahnenflucht.

Ich war mit Anfang 20 eine der ersten ausgebildeten Kripofrauen im Mannheimer Präsidium. Ich hatte mich für diesen Weg entschieden – ich weiß, das klingt heute komisch, so nach Sozialfimmel –, weil ich die Welt gerechter machen wollte. Gegen das Böse kämpfen. Erst mal musste ich kämpfen, bis ich überhaupt in die Welt raus und das Böse kennenlernen durfte. Kripo war Männer­sache und Drogendelikte sowieso. Aber ich wollte dahin, wo die Menschen waren, weg vom Schreibtisch. Dieser „Fimmel“ war mein Antrieb, mich in der Männerbastion zu behaupten. Und er machte den Abschied schwer.

Aber ich hatte viel erreicht und merkte, dass die Jahre, die zur Pensionierung noch fehlten, nicht mehr viel Neues bringen würden – höchstens den Ruin meiner Gesundheit. Vielleicht sollte ich mir jetzt, mit 58 Jahren, auch mal selbst wichtig sein. Ich kannte die Sorgen meiner Kollegen und die Nöte der Angehörigen von Drogenabhängigen, aber mein „falsches Herzklopfen“ wollte ich gerne überhören.

Und dann haben wir eine internationale Bande gesprengt

Erster Schritt vor einem Jahr: Ich reichte den Abschied ein – und keiner hat etwas Blödes gesagt. Im Gegenteil, meine „Jungs“ verstanden das sofort. Zweiter Schritt: Mein Partner und ich heirateten. Auch für ihn, der jünger ist als ich, habe ich auf mein Herz gehört. Und drittens ging ich mein letztes Jahr sehr bewusst an, ich organisierte meine Nachfolge, führte Mitarbeitergespräche, machte mit allen eine Tour ins Allgäu. Und gleichzeitig dachte ich immer: Das ist jetzt das letzte Mal, dass ich einen so großen Einsatz mit 200 Leuten und Spezialkräften dirigiere, dass ich vermelden kann, wir haben eine internationale Bande ­gesprengt. Ich stand mittendrin und neben mir.

Seit Anfang des Jahres bin ich nun frei. Ich versuche, nicht gleich wieder Pläne zu machen. Ich sage mir: Lass einfach mal was auf dich zukommen, du bist doch noch gar nicht angekommen im neuen Lebensabschnitt.

Wenn ich jetzt durch die Stadt laufe, muss ich mein inneres Warnsystem abschalten. Natürlich rieche ich Marihuana, sehe ich schräge Typen. Die Straßen sind in meinem Hirn kartografiert unter Rotlichtmilieu, Dealer­kneipen, Treffpunkte für Hardcore-Junkies. Verrückt, wie unterschiedlich ich beruflich und privat reagiere. Mit dem Dienstausweis in der Tasche – ich habe keine Uniform getragen – konnte ich Pöbeleien ertragen, Angst ab­schalten, Ekel unterdrücken. Uns Polizisten unterstellt man ja ­gerne, dass wir im Umgang mit Kriminellen nicht zimperlich sind. Aber für meine Mannschaft und mich galt: Wir haben es meistens mit Menschen zu tun, die schon am Boden sind; da müssen wir nicht nachtreten. Aber wenn ich privat unterwegs bin, rege ich mich ständig auf: Wenn Mütter Kinder hinter sich herzerren, rauchen und dabei noch telefonieren. Wenn mich jemand anrempelt. Wenn sich Leute wegen eines Parkplatzes anschreien.

"Bled Kuh", sagte mein Kollege beim Abschied

Daran werde ich jetzt arbeiten: Gelassenheit. Anderer­seits bin ich froh, dass mich die vier Jahrzehnte „im ­Milieu“ nicht zynisch gemacht und abgestumpft haben. Ich habe so viel gesehen: wie soziale Probleme Familien zersetzen, ganze Viertel runterziehen . . . All das wird mich weiter beschäftigen. Vielleicht finde ich etwas, wo ich mich engagieren kann. Nicht sofort. Nicht zu hundertfünfzig Prozent.

Mein Kollege Oli meinte beim Abschiedsfest, ich würde 
die Ruhe doch gar nicht aushalten. Und in den letzten ­Wochen im Dienst hat er oft „bled Kuh“ zu mir gesagt. Weil ich gehe. So sind wir Mannheimer, wenn wir sen­ti­mental werden.

Protokoll: Eva Witte

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