T.C. Boyle
T.C. Boyle
Dirk von Nayhauß
"Ich streite nur mit meiner Frau"
Mit sonst niemandem, sagt T. C. Boyle. Trotzdem ist er bisher mit einer einzigen Ehefrau ausgekommen. Und das als Schriftsteller...
Dirk von Nayhauß
28.09.2017

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Schreiben ist für mich eine Art Sucht. Wenn du etwas aus dem Nichts erschaffst, erlebst du ein Hochgefühl, aber bald danach stürzt du ab. Du willst dieses Hochgefühl wieder erleben – und wieder und wieder. Wenn es geht, schreibe ich jeden Tag einige Stunden und bin einige Stunden draußen in der Natur, oft im Sequoia-Nationalpark. Ich habe ein Haus tief in den Wäldern gemietet. Dort fühle ich mich frei, wie ein Tier unter Tieren. In den Bergen gibt es kein Internet und damit keine Nachrichten – und ich fühle mich besser. Die Menschheit ist plötzlich gar nicht mehr so schlecht. 

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich bin katholisch aufgewachsen, jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Ich glaubte an Gott. Doch als ich elf oder zwölf Jahre alt war, begann ich zu zweifeln und erklärte meiner Mutter, Gott sei eine Erfindung des Menschen, um uns zu trösten. Auf dem College las ich viel, darunter Werke von Existenzialisten. So kam ich von Gott und Sinn zum nackten Universum. Es gibt keinen Weg zurück, Vernunft und Ratio haben das Ruder übernommen. Ich würde sehr gern an Gott glauben, aber ich kann nicht. Ich brauche einen Beweis – den habe ich nie bekommen. Einer meiner engsten Freunde wendete sich im Alter wieder der katholischen ­Kirche zu, er geht jeden Tag zum Gottesdienst. Er malt mir gern aus: Während ich dereinst wie eine Ratte in meinem Grab verrotten werde, wird er bei Gott sein. Ich bitte ihn dann, ein gutes Wort für mich einzulegen.

Dirk von Nayhauß

T. C. Boyle

T. C. Boyle, geboren 1948, zählt zu den wichtigsten US-amerikanischen Autoren der Gegenwart. In seinen Romanen und Kurzgeschichten behandelt er sozial­kritische und ökologische Themen. Nach "Wassermusik" (1981) folgten Bestseller wie "América", "Dr. Sex" und zuletzt "Die Terranauten" über ein Sozial­experiment in den 90er Jahren. Boyle lebt in Montecito (Kalifornien), ist seit 1974 verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Im November ist er auf Lesereise in Süddeutschland und der Schweiz (Termine: hanser.de).

Muss man den Tod fürchten?

Natürlich! Von dem Moment an, in dem du realisierst, dass du sterben wirst, bis zu deinem Ende. Du musst dir bewusst sein, dass du deine Kraft und Beweglichkeit verlieren wirst. Ich hoffe, ich werde auch diese letzte Phase des Lebens gut überstehen. Ich mache gern Späße über den Tod, aber darunter liegt der blanke Horror. Ich fürchte den Tod.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Meine Beziehung zu jedem, den ich treffe, ist ziemlich einfach: Liebst du mich, liebe ich dich. Ich bin sehr tradi­tionell in meinen Beziehungen. Vermutlich bin ich der einzige Schriftsteller der Geschichte, der nur eine Ehefrau hatte. Ich wuchs im Staat New York auf, bis heute bin ich mit meinen sechs engsten Freunden von damals befreundet. Wir sind wie eine große Familie, wir streiten uns nie. Streit ist für meine Frau reserviert. Jeder andere bekommt meine gut gelaunte, fröhliche Seite präsentiert. Meine Frau muss mit dem Mist und dem Elend umgehen. Dafür sind Frauen da, fürchte ich. Und Ehemänner auch. 

"Fürs Trösten bin ich nicht der Richtige"

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Vor kurzem fragte mich mein Arzt, wie es um meinen Schlaf bestellt sei, und ich antwortete: "Ich schlafe gut, weil ich ein reines Gewissen habe." Daraufhin meinte er: "Entweder das stimmt, oder Sie haben keine Skrupel." Ich fühle mich nicht schuldig, für nichts. Ich führe ein gutes Leben, behandle die Menschen mit Respekt. Ich habe niemanden verletzt, ich habe niemanden betrogen. Oder warten Sie. ­Als junger Mann hatte ich viele Probleme. Ich war ein Punk, meine Eltern waren mir ziemlich egal. Sie waren groß­artige Eltern und haben mich sehr geliebt. Ich fühle mich schuldig, dass ich sie nicht besser behandelt habe. Aber das ist schon so lange her, warum sollte mich das noch um­treiben? Ich empfinde allerdings eine Schuld, in der westlichen Gesellschaft zu leben. Alles, was wir tun, tötet die Erde. Das Wasser aus dieser Flasche hier zu trinken, tötet ­die Erde. Das einfache Vergnügen, eine Mahlzeit einzu­nehmen, zerstört die Welt. Ein Drittel aller Menschen ­hungert, dafür fühle ich mich schuldig. 

Was hilft in der Krise?

Ich schreibe alles auf, das ist meine Erleichterung. Vielleicht macht mich das einsam. Aber es ist kein Zeichen von Stärke, wenn du zugibst, ein Problem zu haben. Ich muss stark sein – immer. Das erlaubt es mir, freundlich und hilfsbereit und ein guter Mensch zu sein. Am schwierigsten war es, als bei einem Freund 1999 eine Lymphknotenvergrößerung diagnostiziert wurde. Ich musste ihn trösten, aber dafür bin ich nicht der Richtige. Aber ich musste, weil ich ihn liebte. 

Wie wäre ein Leben ohne Humor?

Unmöglich. Absolut unmöglich. Nichts ist heilig, alles kann mit Humor behandelt werden.

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