Ein Mann lädt am 28. Mai 2015 Pappe von einem selbstgebauten Fahrrad in einen Container am Rande einer Romasiedlung in Belgrad.
Ein Mann lädt am 28. Mai 2015 Pappe von einem selbstgebauten Fahrrad in einen Container am Rande einer Romasiedlung in Belgrad.
Thomas Trutschel/photothek/imago
"Unser bitter benötigtes Brot gib uns heute"
Armut führt zu Bettelei und Bettelei zu Missmut. Auslandspfarrer Hans-Frieder Pfarrer Rabus schreibt aus Belgrad
15.09.2017

Was heißt Nasušni? Das fragte ich meine serbische Sprachlehrerin, als ich über ein Wort im Vaterunser stolperte. Es ging um die Stelle „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Sie erklärte mir, das bedeute so viel wie „jeden Tag aufs Neue verzweifelt nötig“, und ich verstand, mit welcher Dringlichkeit diese Bitte im Serbischen formuliert ist: „Unser so bitter benötigtes Brot gib uns heute.“

Entbehrung zieht sich durch die Geschichte der Serben. Noch 1999, unter den Nato-Bomben und dem Handelsembargo, haben viele Leute gehungert. Auch heute sehe ich jeden Tag Menschen, die Mülltonnen durchsuchen. Neben Rentnern tun das vor allem die Roma – die Ärmsten der Armen. Viele von ihnen leben in der nördlich von Belgrad gelegenen Provinz Vojvodina, aber auch in Südserbien. Manche in festen Häusern, andere in Elendssiedlungen. Die Arbeitslosenquote unter den Roma ist extrem hoch, viele können nicht lesen und schreiben. Wenn sie ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken, bekommen sie ein wenig Sozialhilfe vom Staat. Aber viele Roma-Eltern kümmern sich kaum um die Bildung ihrer Kinder. Sie setzen sie mit ein beim Müllsammeln, Betteln oder zur schwungvollen Blasmusik, wenn Brautpaare aus der Kirche kommen.

Ich gebe zu, manchmal bin auch ich genervt, wenn ich immer wieder angebettelt werde

Ich gebe zu, manchmal bin auch ich genervt, wenn ich wieder angebettelt werde. Einmal, als mich eine Roma-Familie plötzlich umringte und mir den Weg versperrte, die Frau demonstrativ ein Kind an der Brust, bahnte ich mir energisch den Weg mit dem Ruf: „So nicht!“ Ich schämte mich nachher, dass ich keinen anderen Ton fand. Was ist das für ein Unmut gegenüber ausgestreckten Händen und Erbarmensrufen? Unsicherheit beim Unterscheiden-Wollen zwischen echter Not, routinierter Unterwürfigkeit, fordernder Zudringlichkeit? Die Serben scheinen einen unverkrampfteren Umgang mit Alltagsarmut auf den Straßen zu haben: Die einen geben ein wenig im Vo­rüber­gehen – ­andere nicht. Sie scheinen die innere Frage des ordentlichen Deutschen nicht zu kennen: Ob eine Gabe bei dem einen angemessen ist, bei einem andern „ungerechtfertigt“ wäre? Eine Frage, die sich eigentlich er­übrigt in diesem Land, wo man wirklich ­alles braucht.

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