Köhlerin Violetta und ihr Mann Zoltan auf dem Meilerplatz
Meilerplatz von Violeta (31) und Zoltan (36) Magyar in der Nähe von Alma Vii in Rumänien, hier gemeinsam bei der Arbeit, ein Meiler wird aufgebaut und muss mit Stroh abgedeckt werden
Sascha Montag
Violetas heißer Job
Sommer, Sonne, Grillsaison! Der Brennstoff kommt vielleicht aus Rumänien. Violeta Magyari und ihr Mann Zoltán produzieren Holzkohle – nach einer uralten Methode
12.06.2017

Als Violeta an diesem Morgen aufwacht, hat sie den Geruch von Lagerfeuer in der Nase und spürt einen leichten Schmerz in den Armen, in den Schultern und im Rücken. Sechs Stunden lang haben sie gestern Erde geschaufelt. Immer die gleichen Bewegungen, das bleibt nicht ohne Folgen. Am liebsten ­würde sie einfach liegen bleiben. Aber Köhler kennen keine freien Tage. Die Hunde bellen, die Küken piepsen, und der Meiler wartet auch schon. Also steht sie auf, schlüpft in ihre rosa Hausschuhe und tritt vor die Tür des rostigen Busses, der hier draußen ihr Zuhause ist.

Mathias Becker

Mathias Becker will in diesem Sommer wieder nach Siebenbürgen fahren und das Köhlerpaar be­suchen. Er hofft, dass Zoltán dann beim Arzt war wegen seiner Hüfte. Und dass Violeta wieder Rippchen auf der Autofelge grillt
Nach dem Frühstück greifen sie wieder zu den Schaufeln: Zoltán Magyari, 36 Jahre alt. Ein schmaler Mann mit zähen Muskel­strängen unter der rußgeschwärzten Haut. Und Violeta Magyari, 31 Jahre alt, strahlendes Lächeln und kräftige Oberarme, die nicht ­so recht zu den schmalen Schultern passen wollen. „Meine Mutter sagt immer, ich sei zu dünn, aber meine Arme kann sie nicht meinen“, meint Violeta, grinst und spannt den Bizeps an. Und während die Sonne langsam höher steigt, schaufeln sie weiter, immer im Takt: Der Meiler soll heute noch unter einer Schicht Erde verschwinden. Der letzte Arbeitsschritt, bevor er angezündet wird.

Siebenbürgen, im Herzen Rumäniens. Auf den grünen Hügeln ziehen Schafherden vorbei, im Tal plätschert ein Bach. Am Waldrand, ein paar Kilometer von der Ortschaft Alma Vii entfernt, leben und arbeiten Zoltán und Violeta Magyari seit sieben Jahren als Köhler: Sie machen Holz zu Holzkohle, mit einer uralten Technik. Zunächst schichten sie Holzscheite zu einem haushohen Haufen mit Lüftungsschächten auf. Diesen bedecken sie erst mit Stroh, dann mit Erde. Schließlich legen sie über einen schmalen Schacht Feuer im Inneren des Meilers. Es erlischt bald, doch die Glut arbeitet unter der Erdglocke weiter, dafür reicht der Sauerstoff gerade so aus.

Die Kunst der Köhler besteht darin, den versteckten Schwelbrand am Leben zu erhalten, ohne dass der Meiler in Flammen aufgeht. Mal öffnet man dazu kleine Luftlöcher, mal schließt man welche. Nicht zu viele, nicht zu wenige. Nicht zu lang, nicht zu kurz. Wenn es gelingt, können Zoltán und Violeta den Meiler nach zwei Wochen „ernten“. Mit langen Harken ziehen sie die Kohle aus dem Haufen, löschen sie mit Wasser und verpacken sie in große Säcke. Wenig später holt der Mann, der auch das Holz liefert, die Kohle ab, um sie zu verkaufen.

In drei Jahren will er die Köhlerei an den Nagel hängen

Es ist ein harter Job. Die Saison der Köhler beginnt im Februar und dauert bis Dezember. Zehn Monate im Jahr leben und arbeiten Zoltán und Violeta zwischen Wiesen und Wäldern. In dieser Zeit schichten die Magyaris etwa zwölf Meiler auf, brennen sie ab und verpacken die Kohle. Pro Meiler verkohlen rund 220 Tonnen Holz zu 30 Tonnen Holzkohle, sagt Zoltán. Für Köhler kein hoher Ertrag. Der Rest geht als Kohlendioxid, Staub und Dampf in die Atmosphäre. Der Auftraggeber zahlt ihnen fast fünf Cent pro Kilo Kohle. Das macht rund 800 Euro pro Meiler, 400 Euro pro Person. Rund 800 Euro verdient in Rumänien ein Schulleiter monatlich.

Seit sieben Jahren schuften Zoltán und ­Violeta Magyari in diesem Tal als Köhler. Und seit sieben Jahren legen sie jeden Monat ein wenig Geld zur Seite für das Haus, in dem sie eines Tages leben wollen: Zoltán, Violeta und Violetas Töchter aus erster Ehe, die 11-jährige Paula und Sabina, 14. Der Rohbau steht schon, nun soll der Innenausbau beginnen. „In drei Jahren sind wir fertig“, sagt Zoltán. Dann will er die Köhlerei an den Nagel hängen. „Vielleicht mache ich einen Imbiss auf“, sagt er.

Bis es so weit ist, sind die Mädchen bei den Großeltern, und Zoltán und Violeta ­­ leben bei den Meilern in dem alten Bus. Am ­Wochenende kommen Paula und Sabina sie hier draußen besuchen. „Das reicht mir eigentlich nicht, aber es geht nicht anders, wenn sie es einmal besser haben sollen“, sagt Violeta. Eine Ausbildung, ein Studium, einen Job: Wenn sich diese Türen für ihre Töchter einmal öffnen sollen, müssen sie ­diese Trennung jetzt aushalten.

"Ich brauchte einfach jemanden, der arbeiten kann"

Und doch, sagt Violeta, gehe es ihnen besser als vielen anderen Familien. Ob als Altenpfleger, Putzhilfen, Lager-, Fabrik- oder Feldarbeiter: Mehr als drei Millionen Rumänen arbeiten im EU-Ausland. Wer Kinder hat, lässt sie bei Großeltern oder Bekannten. Unicef zufolge gibt es rund 350 000 solcher sogenannten Eurowaisen in Rumänien. Viele von ihnen leiden unter der langen Trennung. Psychologen, Erzieher und Lehrer beobachten unter den betroffenen Kindern überdurchschnittlich viele Fälle von Schulversagen, eine wachsende Gewaltbereitschaft oder gar psychische Erkrankungen wie Depressionen sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch. „Ich würde lieber in Armut leben, als meine Kinder allein zu lassen“, sagt Violeta.

Privat

Sascha Montag

Sascha Montag, Foto­graf, war beeindruckt, wie hart die beiden jeden Tag arbeiten, um ihren Traum vom eigenen Haus und einem gemeinsamen Leben mit den Töchtern zu verwirklichen. Und dabei trotzdem so oft lächeln
Die Meiler brauchen viel Aufmerksamkeit. Ein heftiger Windstoß reicht, um sie in Brand zu setzen. Etwa, wenn ein Leck im ­Meiler klafft, wie es Zoltán jetzt entdeckt hat. Er deutet auf eine Stelle, an der besonders viel Qualm aus dem Erdmantel steigt. „Da kommt zu viel Sauerstoff an die Glut.“ Er schnappt sich eine Schaufel und balanciert über einen morschen Steg auf den pechschwarzen, qualmenden Haufen. Im Inneren des Meilers herrschen jetzt mehr als tausend Grad Cel­sius. Und brüchig ist der Meiler. Ein falscher Schritt könnte das nächste Loch in die Erde reißen.

Vorsichtig setzt Zoltán Fuß vor Fuß im dichten Qualm. Nur einmal bleibt er stehen, hustet ein paar Mal laut. Schließlich wirft er ein paar Schaufeln Erde auf die rauchende Stelle. Gefahr gebannt. „Eigentlich teilen wir uns die Arbeit“, sagt Vio­leta. „Aber sowas macht besser Zoltán.“

Zoltán hat schon als Kind auf den Meilern mitgeholfen: Sein Großvater war Köhler, sein Vater ebenfalls. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Zimmermann, doch er fand keine Arbeit. Also packte er mit an, wo die Alten ihn brauchten. Eines Tages fing ein junges Ehepaar bei ihnen an. „Aber im Grunde hat nur die Frau gearbeitet“, sagt Zoltán. „Der Mann trank und schimpfte mit ihr.“ Als Zoltán an einen anderen Platz zum Köhlern umziehen sollte, fragte er die Frau, ob sie nicht mitkommen wolle. „Ich brauchte einfach jemanden, der arbeiten kann“, sagt Zoltán und lacht. Die Frau, die damals mit ihm ging, ist Violeta.

Der Wald in Rumänien schwindet

Zoltán und Violeta heirateten, wenig später kam das Angebot, die Meiler von Alma Vii zu bewirtschaften. Seither leben sie hier. Zoltán hat mit dem Spaten einen Brunnen ausge­hoben. Neben den Meilern bauen sie Kar­toffeln, Kohl und Auberginen an. Sie züchten Hühner in einem selbst gezimmerten Stall und kochen Kaffee und Suppe auf einer ­Eisentonne. „Die Köhlerei ist kein Beruf“, sagen die Leute im Dorf. „Das ist eine Lebensform.“

Köhler lebten schon immer ein ­wenig außerhalb der Dörfer. Weil es früher kaum möglich war, ­ Holz über weite Strecken zu transportieren, bauten sie die Meiler dort, wo das Holz wuchs: im Wald. Die fertige Kohle wog weniger und war leichter fortzuschaffen – und begehrt. Sie glüht heißer, als Holz brennt, und so lässt sich mit ihrer Hilfe Eisen aus Erzgestein herauslösen. Und so begann vor mehr als 2500 Jahren ihr Sieges­zug. Ohne Holzkohle hätte der Mensch keine Pflugscharen, Münzen oder Schwerter schmieden können. Später wurde sie als Energielieferant erst von der Steinkohle, dann vom Öl verdrängt. Und doch findet Holzkohle bis heute Verwendung. Die Industrie benötigt sie zum Beispiel für den Bau von Filtern. Der größte Teil aber landet im Grill.

Rund 227 000 Tonnen Holzkohle hat Deutschland 2015 importiert. Rund ein Drittel davon kam aus Polen, ein weiteres knappes Drittel aus Paraguay und Nigeria. Der Rest stammt überwiegend aus verschiedenen osteuropäischen Ländern. Zuletzt wuchs auch der Import aus Rumänien wieder – von 2800 Tonnen im Jahr 2014 auf 3600 Tonnen 2015. Das Land profitiert von dem Exportzuwachs, doch zugleich gefährdet die Holzwirtschaft auch die letzten verbliebenen Urwälder Europas.

„Zwischen 2000 und 2011 sind in Rumänien drei Hektar Wald pro Stunde verschwunden“, sagt Irina Bandrabur von Greenpeace Rumänien. „Insgesamt wurden etwa 280 000 Hektar Wald geschlagen oder stark reduziert.“ Selbst die Behörden geben zu: Allein 2013 und 2014 sind jährlich rund 8,8 Millionen Kubikmeter Holz aus den Wäldern ­Rumäniens verschwunden, das meiste wurde illegal abgeholzt. Verantwortlich dafür sind jedoch nicht die kleinen ­Köhler wie Zoltán und Violeta Magyari, die nur zu Kohle machen, was die Sägewerke nicht verarbeiten können. Der Motor hinter dem Kahlschlag sind skrupellose Holzfirmen und korrupte Beamte, die selbst National- und ­Naturparks abholzen.

"Wenn Gott will, halte ich noch drei Jahre durch"

Zoltán Magyari geht es nicht gut. Mit den Jahren harter Arbeit haben sich die Knorpel in seinem Hüftgelenk zurückgebildet. Jetzt reibt Knochen auf Knochen. Wenn die Schmerzen zu stark werden, nimmt er Tabletten. Eine Operation ist überfällig, kommt aber für Zoltán nicht infrage. „Danach könnte ich ein Jahr lang nicht arbeiten“, sagt er. „Und wer verdient dann das Geld für das Haus?“ Also schuftet Zoltán weiter. Mit kaputter Hüfte. Im Qualm.

Es ist Abend geworden. Violeta würzt ­fettige Rippchen mit Salz, Pfeffer und Paprika. Zoltán holt eine Schippe Glut aus einem der Meiler und lässt sie in eine rostige Auto­felge rasseln. Wenig später brutzelt das Fleisch auf einem alten Geschirrsieb über der Glut. Der Wind steht ungünstig an diesem Abend und bläst den Rauch von den Meilern herüber. Zoltán hustet.

Haben sie nicht manchmal Angst, dass das Leben bei den Meilern ihre Lungen schädigen könnte? „Nein“, sagt Violeta. Sie glaubt: „In der Stadt ist die Luft viel schmutziger von den Autoabgasen.“ Und selbst wenn der Rauch schädlich wäre, hätten sie keine Wahl. „Wir bekommen nichts geschenkt. Wir müssen hart arbeiten.“ Drei Jahre noch. „Wenn Gott will“, sagt Zoltán, „halte ich so lange durch.“

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