Leben mit pflegebedürftigen Kindern
Leipziger Kinderhospiz Bärenherz (Foto vom 07.02.2009). Kinderhospiz heißt nicht automatisch sterben, sagt Pflegedienstleiterin Heike Steinich vom Leipziger Kinderhospiz Bärenherz. Seit zehn Jahren gibt es solche Einrichtungen in Deutschland. Und trotzdem wissen immer noch zu wenige, was wir eigentlich machen und schrecken zurück, wenn sie Hospiz hören, sagt die engagierte Frau. Um Abhilfe zu schaffen, laden die acht Einrichtungen in Deutschland am Dienstag (10.02.2009) zum vierten Mal zu einem Tag der Kinderhospizarbeit ein. Er soll auf die Situation tödlich erkrankter Kinder und ihrer Familien aufmerksam machen und Themen rund um Tod und Sterben in eine breite ÷ffentlichkeit tragen. Die zentrale Veranstaltung mit zahlreichen Prominenten findet in diesem Jahr in Düsseldorf statt. Zudem laden die Kinderhospize zu Vorträgen und zur Besichtigung in ihre Häuser ein. (Siehe epd-Bericht vom 08.02.09)
Uwe Winkler/epd-bild
Mal Pause!
Eltern von pflegebedürftigen Kindern leben am Limit: Sorge, Pflegeschichten, Schlafmangel. Mit der Initiative becura versucht Dr. Walther Witting, ein Netzwerk zu schaffen, das leicht zugänglich ist und das den Eltern die Möglichkeit schafft, sich zu erholen und ihr Kind in guten Händen zu wissen
06.06.2017

Wie geht es pflegenden Eltern?

Dr. Walther Witting: Die Familien haben viele Hilfen, die aber untereinander kaum vernetzt sind. Die Mütter arbeiten viel für das Wohl der Familie und ihrer Kinder – bis zur Überlastung, die sie aber lange nicht merken. Sie versuchen, die Familie stabil zu halten, denn die ist unglaublich belastet.

Walther Witting

Dr. Walther Witting, 65, ist promovierter Sonderpädagoge und hat in der Kinder- und Jugendklinik Datteln den pädagogischen Bereich ausgebaut. 1987 übernahm er eine Einrichtung für Kurzzeitwohnen, die „Kleine Oase“ in Datteln. Seit einigen Jahren engagiert er sich mit dem Verein becura dafür, Kurzzeitwohnen zu fördern und Träger besser zu vernetzen.

Was fehlt?

Die Selbstverständlichkeit, dass ein Kind mit Behinderung in der Familie lebt und die Familie zusammenbleibt. Wir haben eine gute Versorgung, aber die Eltern müssen viel Aufwand betreiben, um sie zu bekommen. Es gibt wenige Beratungsstellen, und es fehlt der Überblick. Viele Eltern sind am Limit. Aber obwohl Pflegekassen die sogenannte Kurzzeitpflege in betreuten Einrichtungen bezahlen, kommen wenige Kinder und Eltern in den Genuss. 2013 waren am Stichtag im Dezember insgesamt 21 000 Menschen in der Kurzzeitpflege untergebracht, davon 101 unter 25 Jahren. Es gibt wenig Nachfrage und für die wenigen trotzdem nicht genug Häuser. In Norddeutschland sind es etwa 20. Und das bei mehr als 22 000 Kindern und Jugendlichen in der Pflegestufe 3 in Deutschland.

Wie geht Kurzzeitwohnen?

Kinder mit Behinderung wohnen dort für begrenzte Zeiträume. Hier werden sie individuell gemäß ihrer Behinderung betreut, aber im Vordergrund steht ihre Zufriedenheit und wie man sie fördern kann. Die Unterbringung zahlen Pflegekassen, in Nordrhein-Westfalen auch die Eingliederungshilfe. Wie auch immer sorgen wir dafür, dass die Familien möglichst nichts zuzahlen müssen.

Das klingt doch gut. Wie kommt es, dass so wenige Familien das Kurzzeitwohnen nutzen?

Es ist schlichtweg kein Thema. Auch auf Beratungsseiten im Internet wird kaum auf diese Unterbringungsmöglichkeit eingegangen.

"Pflegende Eltern wollen keine Auszeit, wenn die Kinder nicht gut versorgt sind"

Ist das ein strukturelles Problem?

Auch. Es liegt unter anderem daran, dass die Kassen ein gewisses Budget zur Verfügung haben und auf den schauen, der pflegt, der also die Auszeit braucht. Die Träger haben das Kind im Blick, das gut untergebracht werden muss. Pflegende Eltern wollen keine Auszeit, wenn sie die Kinder nicht gut versorgt wissen. Die Kassen haben das nicht begriffen. Da es auf diese Weise aber nicht sehr viel Nachfrage nach solchen Plätzen gibt, deuten die Kassen das so, dass da wohl kein Bedarf herrscht.

Was nicht stimmt!

Da kommen wir zum zweiten Punkt. Es liegt auch an den Eltern. Viele merken ihre Überlastung nicht – bis sie umkippen. Sie haben große Angst, ihre Kinder in andere Hände zu geben. Die Erfahrung haben wir in der „Kleinen Oase“ in Datteln gemacht. Sie wurde eröffnet, nachdem viele Eltern sich eine spezialisierte Unterbringung für kurze Fristen gewünscht hatten. Als ich die Leitung übernahm, stand die „Kleine Oase“ weitgehend leer. Die Möglichkeit, die Kinder abzugeben, wollten die Eltern für den Notfall haben. Der Notfall ist aber kein Lebensplan.

"Mit der Zeit entsteht der Eindruck: Ohne mich geht es nicht"

Die Schwierigkeit, sich von ihrem Kind zu trennen, beschreibt eine Mutter auf der Website von becura: „Dem Kind ging es gut, mir schlecht. Entzug.“ Ist das Sorge oder das Gefühl, dass man es selbst am besten kann?

Witting: So ist das immer. Das liegt an den Erlebnissen. Ein Beispiel: Kinder mit schweren Behinderungen sind häufig wegen Komplikationen in der Klinik. Da wird fast erwartet, dass die Mutter die Pflege auch dort übernimmt. Natürlich entsteht mit der Zeit der Eindruck: Ohne mich geht es nicht. Man kriegt Vertrauen von den Eltern nicht geschenkt, man muss es sich verdienen.

Was ist die Folge?

Es gibt zu wenige öffentlich getragene Häuser. Wir brauchen sie, weil deren Finanzierung gesichert ist. Auch wenn die Familien keinen Druck machen, dazu haben sie keine Kraft. Wer es nicht ausprobiert hat, ist auch nicht überzeugt genug. Dabei ist ein klares Zeichen: Die Häuser, die es gibt, sind ausgebucht. Denn Eltern, die einmal die Erfahrung gemacht haben, dass ihr Kind gut untergebracht ist und wie gut ihnen Erholung tut, kommen immer wieder.

Dass sie nicht bei dem Sohn bleiben durfte, passte Johanna D’Alquen nicht. Sie will da Urlaub machen, wo er auch ist. Das verweigerten ihr die meisten Einrichtungen.

Da hat sie uns nicht gefragt. Hier ist die Vernetzung wichtig. Wenn eine Einrichtung ein Bedürfnis nicht erfüllen kann, sollte sie eine andere empfehlen können, die das kann. In Nordrhein-Westfalen klappt das schon ganz gut, aber leider noch nicht überall.

Mit welchen Argumenten überzeugen Sie die Eltern?

Dass nur der Notfall Hilfe legitimiert, liegt auch an uns Helfern. Viel zu oft geben wir den Eltern das Gefühl, dass es ganz schlimm sein muss, damit jemand hilft. Sie sind das Objekt unserer Wohltätigkeit. Häuser, die über becura vernetzt sind, versuchen es anders herum: Sie sind Hotels für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Die Kinder machen Urlaub, die Eltern wählen das Hotel aus. Wenn Eltern sehen, dass die Kinder sich schon in der Eingangshalle freuen, ist alles gut. Bevor die Kinder dort Urlaub machen, gibt es mehrere Kennenlernbesuche und einen Probelauf für zwei Nächte. Ansonsten haben wir viel Geduld. Viele Eltern brauchen mehrere Anläufe, bis sie den ersten Schritt wirklich wagen.

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