Bürgschaft
David--W- / photocase.de
Die Bürgschaft kann jetzt teuer werden
Klingt doch gut: einem Menschen, einer Familie im Kriegsgebiet die Flucht übers Mittelmeer zu ersparen, indem man für sie bürgt. Bis der Asylantrag durch ist. Aber jetzt will der Staat plötzlich Geld zurück. Zu Unrecht, sagt Rechtsanwalt Heinz-Dieter Schütze
Jonas KrumbeinPrivat
05.04.2017

Warum haben Ihre Mandanten für Flüchtlinge gebürgt?
Heinz-Dieter Schütze: 2013 hat das Land Hessen ein Aufnahmeprogramm für Syrer gestartet. Voraussetzung für die legale Einreise war, dass der Lebensunterhalt bis zum Abschluss des Flüchtlingsverfahrens gesichert ist. Doch die meisten Syrer hatten fast ihren gesamten Besitz ver­­loren. Manchmal gab es zwar An­gehörige in Deutschland. Doch die wenigsten von ihnen waren vermögend genug, um den Lebensunterhalt eines Flüchtlings oder einer Familie zu garantieren. Meine Mandanten, rund 40 Personen und Familien, sind allesamt deutsche Staatsbürger. Sie wollten Syrer vor dem Bürgerkrieg retten und verhindern, dass diese Flüchtlinge ihr Leben auf Schlauchbooten im Mittelmeer ein zweites Mal riskieren – diese durften daraufhin ­legal mit dem Flugzeug nach Deutschland einreisen.

Wer bürgt, muss damit rechnen, zahlen zu müssen. Warum empört es ­Ihre Mandanten trotzdem, wenn jetzt Jobcenter Geld fordern?
Schütze: Das Land Hessen hat meinen Mandanten mündlich und schriftlich zugesichert, dass sie für ihre Flüchtlinge während des Anerkennungsverfahrens haften, also bis zu eineinhalb Jahre. In dieser Zeit wollte das Land auch Krankenversicherungsbeiträge für die Flüchtlinge zahlen. Jetzt fordern Jobcenter von meinen Mandanten, genau diese Krankenver­sicherungsbeiträge zu übernehmen und zusätzlich die gesamten Lebenshaltungskosten für bis zu drei Jahre zu tragen. Ein Mandant hat für eine fünfköpfige Familie gebürgt und soll nun für ein halbes Jahr 15 000 Euro zahlen. Auf drei Jahre hochgerechnet muss mein Mandant mit bis zu 90 000 Euro rechnen.

Eine hohe fünfstellige Summe bezahlt keiner aus der Portokasse

Wofür verlangt das Jobcenter so viel Geld?
Schütze: Neben den Krankenversicherungsbeiträgen berechnet das Jobcenter ­Lebenshaltungskosten, also alles, was die Flüchtlingsfamilie für Nahrungsmittel, Kleidung und Schulbedarf bekommen hat. Hinzu kommen die Miete und die Kosten der Wohnungseinrichtung: Möbel, Herd, Wasch­maschine.

Was würde es für Ihre Mandanten bedeuten, derart hohe Beträge bezahlen zu müssen?
Schütze: Meine Mandanten haben gute Erwerbseinkommen, Pensionen oder Renten, sonst hätten die Ausländerbehörden sie nicht als Bürgen akzeptiert. Aber eine hohe fünfstellige Summe bezahlt keiner von ihnen aus der Portokasse. Einem Mandanten hat die Vollstreckungsstelle der Jobcenter bereits gedroht: Wenn er nicht zahlen kann, muss er eine eidesstattliche Versicherung abgeben, den sogenannten Offenbarungseid. Dabei hat noch kein Gericht über seine Klage entschieden.

Was fordern Ihre Mandanten juris­tisch?
Schütze: Der Bund soll aufhören, meine Mandanten über die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter mit finan­ziellen Forderungen zu belasten. Und das Land Hessen soll die Ausländer­behörden anweisen, Bürgen auf Antrag aus ihren Unterhaltspflichten ­für Flüchtlinge zu entlassen.

Meine Mandanten fühlen sich getäuscht

Wie begründen Sie das?
Schütze: Meine Mandanten fühlen sich durch das Land Hessen getäuscht. Der Leiter des Landesaufnahmeprogramms für syrische Flüchtlinge hat bis 2015 mehrfach mündlich und schriftlich erklärt, dass die Unterhaltspflicht von Flüchtlingsbürgen mit dem Abschluss des Flüchtlingsverfahrens endet. ­Ohne diese Belastungsgrenze hätten meine ­Mandanten nie und nimmer für Flücht­linge gebürgt. Ich finde es empörend, dass man humanitäre Helfer in ein ­juristisches Minenfeld gelockt hat.

Was meinen Sie mit juristischem ­Minenfeld?
Schütze:  Hessen und weitere Länder lagen ab Ende 2014 im Streit mit dem Bundes­innenministerium. Dort war man der Ansicht, dass Bürgen für Flüchtlinge zeitlich unbegrenzt haften, also länger als Eltern für ihre Kinder. Darüber hätte das Land Hessen meine Mandanten informieren müssen. Meine Mandanten sind davon ausgegangen: Was das hessische Innen­ministerium sagt, das gilt.

Waren Ihre Mandanten nicht trotzdem naiv? Immerhin haben selbst Initiativen wie die Flüchtlingspaten Berlin gewarnt: Im Streitfall zählt nur, was in der Bürgschaftserklärung steht. Und das Bundesverwaltungsgericht hat das in seinem jüngsten Urteil gegen Flüchtlingsbürgen aus NRW genauso gesehen.
Schütze: Der Fall aus Nordrhein-Westfalen ist besonders: Dort waren Flüchtlinge und Bürgen verwandt. Hinzu kommt: Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen hatte zwar in einem Erlass die Haftung von Flüchtlingsbürgen zeitlich begrenzt, aber auch klargestellt: Der Bund sieht das anders. Ein derartiger Hinweis fehlte meinen Mandanten. Dennoch erleichtert das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dem Bund, über die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter Flüchtlingsbürgen in Haftung zu nehmen. Die Zahl der Betroffenen wird in den kommenden Monaten deutlich steigen. Möglicherweise werden Bund und Länder kommunale Ausländerbehörden sogar zwingen, Entscheidungen zugunsten von Flüchtlingsbürgen zurückzunehmen. Im hessischen Wetzlar war der Oberbürgermeister dem Täuschungsvorwurf von Flüchtlingsbürgen gegen das Land Hessen gefolgt und hatte diese von ihren Pflichten entbunden.

Die Entscheidung gegen die Flüchtlingsbürgen ist eine politische - keine juristische

Werfen Sie dem Bundesverwaltungsgericht politische Justiz vor?
Schütze: Die Entscheidung gegen die Flüchtlingsbürgen aus NRW ist eine politische und keine juristische, weil sie sich nicht am Wortlaut des Gesetzes orientiert, sondern an den Absichten der Bundesregierung.

Welche Absichten sehen Sie?
Schütze: Der Bund will sich von den Kosten der Flüchtlingsaufnahme entlasten und fordert angebliche Wohltaten für Flüchtlinge von den Bürgen zurück. Und man möchte abschrecken, damit künftig niemand mehr bürgt. Die ­Bundesregierung beendet im Wahlkampf die Willkommenskultur, und bezahlen sollen Ehrenamtliche. Das ist skandalös. Politiker aller Parteien, auch Regierungsvertreter, haben mehrfach erklärt: Ohne Ehrenamtliche kann Deutschland die Flüchtlingskrise nicht bewältigen. Meine Mandanten haben nicht nur für Flüchtlinge gebürgt. Sie haben Deutschunterricht gegeben, Kindern den Schuleinstieg erleichtert, Eltern Arbeitsplätze vermittelt. Meine
Mandanten haben dem deutschen Staat Integrationskosten erspart.

Was soll jetzt geschehen?
Schütze: Die Länder und der Bund müssen sich über die Kosten der Flüchtlingsaufnahme einigen. Es kann nicht sein, dass dieser Streit auf dem Rücken von Ehrenamtlichen ausgetragen wird. Notfalls muss das Land die Kosten des Jobcenters übernehmen, die den Bürgen abverlangt werden. Geschieht das nicht, werden meine Mandanten das Land auf Schadensersatz wegen Täuschung über die Voraussetzungen von Flüchtlingsbürgschaften verklagen.

Raten Sie das auch weiteren Alt­bürgen?
Schütze: Wer in Hessen gebürgt hat, soll klagen. Wer in anderen Bundesländern gebürgt hat, soll sich von einem Rechtsanwalt beraten lassen. Generell gilt laut Bürgerlichem Gesetzbuch: Wer eine Bürgschaft übernommen hat, kann diese widerrufen, wenn er diese irrtümlich abgegeben hat.

Neubürgen haften laut Integrationsgesetz bis zu fünf Jahre für Flüchtlinge. Sollte man unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch für einen Flüchtling bürgen?
Schütze: In fünf Jahren können gewaltige Kos­ten entstehen, bis zu 70 000 Euro pro Flüchtling, für eine Familie das Drei- oder Vierfache. Nein, ich kann niemandem mehr raten zu bürgen. Die Leidtragenden dieser Politik sind die Flüchtlinge. Selbst wer aus Kriegsgebieten wie Syrien oder Somalia kommt, hat heute kaum noch eine Chance, legal nach Deutschland zu kommen. Davon profitieren nur die Schlepper, die die Bundesregierung erklärtermaßen bekämpfen will.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Segelboot aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.