Foto: Rogulin Dmitry/Itar-Tass/action press
Die alten Entspannungspolitiker melden sich mit tatsächlich weisen Ratschlägen zu Wort.
Lena Uphoff
25.03.2014

Die Krim? Ja, was nun? Die Ereignisse in der Ukraine und der einst (?) oder noch (?) zu ihrem Staatsgebiet ge­hörenden tatarischen Halbinsel im Schwarzen Meer sind ein  erschreckendes Beispiel dafür, dass sich Geschichte tatsächlich wiederholen könnte. Einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, der diesen Kontinent in ­seine Jahrhundertkatastrophe führte, scheint ein Großteil der europäischen Öffentlichkeit vollständig vergessen zu haben, wie es dazu gekommen war.

Selbstgerechte und selbstbewusste, von der Richtigkeit ihrer Analysen und Annahmen vollständig überzeugte Regierungen setzten Kettenreaktionen in Gang, deren Herr zu werden sie nicht mehr in der Lage waren. Ganz Ähnliches scheint sich jetzt im südöstlichen Teil des ­Kontinents zu ereignen.

Wladimir Putin: Ein Kriegstreiber oder lupenreiner Demokrat?

Ein einst vom zaristischen Russland annektiertes Territorium wird zum „Zankapfel“ von nationalistischen, sicherheitspolitischen, massenpsychologischen und ökonomischen Ansprüchen, die lautstark zu erheben leicht, die vernünftig zu betrachten unglaublich schwierig scheint. Gehört die Krim zu Russland, ist Kiew die Mutterstadt Russlands, ist die Ukraine russisch? Sind die Russen die Feinde aller nichtrussischen Identität? Ist Putin ein bitterböser Kriegstreiber oder ein lupenreiner Demokrat?

Im Westen, vor allem in der Bundesrepublik, mehren sich, Gott sei Dank, die Kommentare, die von einer empörten Sanktionitis als Bestrafung für Putins Russland dringend abraten. Die Stimmen, die sich mit derartigen Statements vernehmen lassen, gehören Leuten wie dem greisen US-Entspanner Henry Kissinger oder dem ehe­maligen EU-Kommissar und Osteuropakenner Günter ­Verheugen. Sie raten zu kühler Vernunft. Sie empfehlen, „sich den Kopf Putins zu zerbrechen“. Sie weisen auf die Sorgen und Ängste Russlands vor einem Überrolltwerden durch die NATO ebenso hin wie auf die Tatsache, dass sich in der Kiewer Übergangsregierung keineswegs nur unterstützungswürdige Menschenrechtler befinden, sondern auch „ausgewiesene Faschisten“ (Verheugen). Die so­genannte Swoboda-Bewegung verbindet spielend anti­russische Parolen mit antisemitischen und hat alles ­andere als eine westliche Demokratie im Sinn.

Es lebe der Pragmatismus der Kohl-Ära

Die Kissingers und Verheugens gehören jener Politikkultur der westlichen Entspannungspolitik aus dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts an, der wir letztlich die Auf­lösung des sowjetischen Machtblocks verdanken. Ihre Protagonisten – die Brandt, Schmidt, Kohl und Genscher, Kissinger oder Reagan hießen – haben diesen Wandel  nicht durch martialische Posen erreicht, sondern indem sie versucht haben, die andere Seite zu verstehen und mit ihr im Gespräch zu bleiben. Selbst ehemalige kalte Krieger wie Franz Josef Strauß haben dies in den 80er Jahren verstanden und den Dialog mit Moskau oder Ost-Berlin gesucht, statt populistisch zu demütigen oder mit wirtschaftlicher Macht auszuhungern.

Etwas für die Ukraine tun heißt: den Menschen zu einem selbstbestimmten Leben ohne Gewalt und Unterdrückung verhelfen. Das heißt auch: undemokratische, repressive, völkerrechtswidrige Aktionen wie das so­genannte Plebiszit und Putins freche Annexion der Krim beim Namen nennen und ablehnen. Und gleichzeitig könnte man mit Russen und anderen darüber sprechen, wie man zu einer ehrlichen, demokratisch anständigen Volksabstimmung kommen könnte, möglicherweise unter Aufsicht der UNO oder der OSZE. Reden, reden, reden! Statt schießen, hauen, stechen und Panzer rollen lassen. Das haben besonnene Stimmen auch im Vorfeld des ­Ersten Weltkriegs geraten, als es um den „Zankapfel“ ­Elsass-Lothringen ging, um Böhmen und den Balkan als Teil der Donaumonarchie. Leider umsonst.

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