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Kalte Wellen oben im Himmel
Wenn sich im Ozean ein Tsunami bildet, erkennt man das vielleicht bald an den Temperaturen hoch über der Erde.
Tim Wegner
19.02.2013

chrismon: Wo sind Sie gerade?

Sabine Wüst: In Oberpfaffenhofen.

Nicht auf der Zugspitze? Schade!

Dort oben sind wir etwa alle drei Monate. Wir haben die Geräte am Schneefernerhaus automatisiert. Aber wenn zum Beispiel Gäste kommen, fahren wir rauf und zeigen alles.

Was messen Sie auf dem Berg?

Die Temperaturen hoch über der Erde. Unsere Geräte heißen „GRIPS“. Das steht für: Ground-based Infrared P-Branch Spectrometer. Mit einer zeitlichen Verzögerung von fünf bis 15 Sekunden wissen wir, wie die Temperatur 87 Kilometer über uns ist. Diese Höhe nennt man auch die Mesopause.

Also wissen Sie, wie warm oder kalt es vor 15 Sekunden dort oben war?

Im Prinzip ja. Die genauen Temperaturverläufe werden allerdings erst zum Ende der Nacht ermittelt, weil es Störeffekte gibt, die GRIPS erst herausrechnen muss. Die Mesopause ist die kälteste Region in der Erdatmosphäre: Die Temperatur fällt dort in unseren Breiten bis auf minus 100 Grad Celsius ab. Damit sind wir dort dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad am nächsten. Nullpunkt heißt: Kälter kann es nirgends werden.

Sie messen die Temperaturen, obwohl Sie sich eigentlich mit Wellen befassen?

Eine atmosphärische Welle ist letztlich eine Schwankung der Dichte, und die ist wiederum eine Temperaturschwankung. Aussagen über Temperaturen erlauben Rückschlüsse auf Wellen, die in der Mesopause Spuren hinterlassen. Weil die atmosphärische Dichte dort gering ist, sind diese Spuren dort besser zu messen.

Warum ist es wichtig, etwas über die Wellen zu wissen?

Ein Beispiel: Die Ursache für einen Tsunami ist, dass zwei Erdplatten die Meeresober­fläche anheben. Wenn man sich einen Lautsprecher anschaut, sieht man diesen Effekt in ganz klein: Die Membran schwingt. Die Veränderung an der Ozeanoberfläche ver­ursacht Infraschall- und Schwerewellen. Das ist in der Mesopause messbar.

Wie lange dauert es, bis ein Tsunami sich in der Mesopause bemerkbar macht?

Das geht schnell! Die Infraschallwellen sind mit Schallgeschwindigkeit unterwegs. Nach fünf bis zehn Minuten könnten wir in der Mesopause durch die Temperaturfluktuation erkennen, dass ein Tsunami unterwegs ist. Zum Vergleich: Beim Tsunami 2004 traf die erste Welle nach etwa 20 Minuten auf Land.

Aber Sie bekommen die Daten ja nur ein Mal am Tag...

Stimmt. Noch besteht ein wichtiger Teil unserer Arbeit darin, die Geräte zu verbessern und die Quellen, die Wellen haben können, voneinander zu unterscheiden. Aber ich glaube, dass wir schon in zehn Jahren helfen können, Sturmwarnungen zu verbessern.

Wie soll das funktionieren?

Auch Stürme senden Wellen aus, die wir in der Mesopause ablesen können. Und bei Wettermodellen ist es so: Wenn Sie die Rechner mit mehr Daten füttern, bekommen Sie auch genauere Aussagen – über die Zugbahn des Sturmes, über die Niederschlagsmengen. Wenn man so ein Gerät auf Mal­lorca betreibt, kann man beispielsweise Informationen über Stürme erhalten, die sich auf dem Mittelmeer bilden und die rechts an den Alpen vorbei nach Mitteleu­ropa ziehen – wie 2002 bei der Elbeflut. Man könnte vielleicht auch auf die gefährlichen Flüge verzichten, um Sonden in einem Hurri­kan abzusetzen.

Motiviert es Sie, dass Ihre Forschung ­irgendwann Menschen retten kann?

Auch. Aber das sollte nicht die einzige Motivation sein. Vielleicht gibt es bald andere Verfahren, die schneller sind? Mich motiviert die Neugierde. Die ist ein toller Antrieb!

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Ein sehr interessantes Projekt, welches weiter vorangetrieben werden sollte um Katastrophen besser voraussehen und somit eher verhindern zu können.

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