Thomas Weiss
Mein Büro ist in meiner Küche, sagte Sabine Feldwieser vor einem Jahr, als wir in chrismon über ihren Verein "Die Wortfinder" berichteten. Er hilft geistig Behinderten, sich literarisch auszudrücken. Wo hat sie heute ihren Laptop stehen?
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
30.09.2012

"Danke für den schönen und unglaublich emotionalen Abend! Er hat uns sehr glücklich gemacht!“ Sabine Feldwieser hat nach dem 13. September viele solcher Rückmeldungen erhalten. Die Vorsitzende des Vereins „Die Wortfinder“  hatte an diesem Abend die 74 Gewinner von „Kunst und Lebenskunst“ gekürt, einem Literaturwettbewerb für geistig behinderte Menschen. Die Preisträger waren mit Freunden und Betreuern aus ganz Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz angereist. 200 waren es insgesamt. Die Presse machte Fotos, es gab Streichermusik und Blumensträuße, zwei Schauspieler lasen die prämierten Texte.

Malen ja - schreiben nein?

Dieser Abend war ein großer Abend für eine Szene, die in Deutschland noch ganz klein ist: Geistig behinderte Menschen, die literarisch tätig sind und Experten, die sie fördern, davon gibt es nicht viele. Ganz anders ist es bei der bildenden Kunst. Fast keine Behinderteneinrichtung kommt heute ohne Angebote zum Malen oder Modellieren aus. Und in Projekten wie dem Frankfurter Atelier Goldstein werden Künstler mit Handicap auch professionell gefördert, ihre Werke landen auf dem "normalen" Markt. 

Auch Wortfinder-Chefin Sabine Feldwieser hat lange künstlerisch und kunsttherapeutisch mit Behinderten gearbeitet. Dabei wurde ihr immer klarer: Sich gut mit Worten ausdrücken können  – das wollen diese Menschen genauso wie jeder andere auch. Nicht nur, weil Sprache etwas Schönes sei. Auch, weil sie dabei helfe, die Grenzen zu den Nichtbehinderten zu überwinden. "Schreiben ist eine Waffe des Ausdrucks. Auf diese Weise hören einem die Menschen zu." sagte ihr ein Teilnehmer am Wettbewerb.

Durch die Spenden konnte die Arbeit weitergehen

Im November 2011 stellten wir die Wortfinder als chrismon-Projekt vor, wie üblich verbunden mit einem Spendenaufruf an die Leser und Leserinnen.
Sabine Feldwieser hatte da gerade den ersten Literaturwettbewerb hinter sich und aus den Gewinnertexten einen Kalender drucken lassen. Den Verein hatte sie erst kurz zuvor gegründet und managte fast alles in Eigenregie. Küche und Wohnzimmer waren ihr Büro. Sie hielt Schreibwerkstätten und Workshops in Behinderteneinrichtungen ab. Ihr großes Ziel: eigene Räume anmieten, um mit Gruppen vor Ort zu arbeiten und ein Archiv aufzubauen mit Literatur sogenannter Außenseiter.

Fast ein Jahr später nun unsere Frage: Hat der chrismon-Bericht geholfen? Die Leserinnen und Leser hätten 1750 Euro gespendet, berichtet Frau Feldwieser, darunter eine einzelne Spende von 1000 Euro. Es seien auch viele Kalenderbestellungen gekommen, die möglicherweise auf die Veröffentlichung zurückgehen.

Das Spendengeld habe natürlich nicht für Büroräume gereicht, aber es habe dazu beigetragen, dass sie auch in diesem Jahr wieder einen Literaturwettbewerb ausschreiben konnte: eben den, der kürzlich abgeschlossen wurde. Das Thema war „Kunst und Lebenskunst“. Fast 600 Beiträge waren eingesandt worden, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Darunter auch kurze, bündige wie dieser hier: „Kunst ist, wenn man etwas macht, was dann hinterher doch nicht versteht.“

Frau Feldwieser las alle und wählte gemeinsam mit einer fünfköpfigen Jury, darunter der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid, die Preisträger aus. Deren Gedichte, Erzählungen Zeichnungen und Sprüche wurden im Literarischen Wandkalender „Die Welt braucht schon die Kunst“ veröffentlicht, der kürzlich erschien. Zusätzlich gibt es in diesem Jahr auch Postkarten mit einigen der Texte.

Das Auto bis oben hin beladen

Sabine Feldwieser sagt, es laufe gut zurzeit. Sie bekomme immer mehr Anfragen, öffentlich von ihrer Tätigkeit zu erzählen, Kurse abzuhalten oder Angestellte in Behinderteneinrichtungen zu schulen. Das Thema breche sich langsam Bahn im Bewusstsein der Leute. 

Die Wortfinder - eine Erfolgsgeschichte also? Auf der ideellen Ebene schon, antwortet sie und überlegt kurz. Was die Zukunft angeht, bange sie dennoch. Mit dem steigenden Interesse von außen steige auch der Arbeitsaufwand. Gut 20 Stunden pro Woche steckt sie zurzeit in die Vereinsarbeit. Auf ehrenamtlicher Basis sei das kaum mehr zu schaffen. Der Verein aber erwirtschaftet nicht genug, um eine Stelle zu finanzieren. Und um Geldgeber oder Spenden zu akquirieren, fehle ihr im Moment schlicht die Zeit. „Das habe ich in diesem Jahr gar nicht gemacht.“

Vom aktuellen Kalender ließ Frau Feldwieser 1200 Exemplare drucken. Es gab eine Menge Vorbestellungen. Der Hersteller lieferte sie Anfang September zu ihr nach Hause. Flur, Küche und Keller dienten als Lagerplatz. Am Tag nach der Preisverleihung packte sie dann zusammen mit einer Ehrenamtlerin mehrere hundert Päckchen. Und fuhr eine Ladung nach der anderen zur Post, das Auto vollbepackt bis zum Dach.

Jetzt kommen so zwei bis drei Bestellungen pro Tag. Die bearbeitet Frau Feldwieser alleine. Irgendwie ja auch gerne. Denn:  Wenn die Kalender fix und fertig in ihren Händen liegen, erinnert sie sich an die strahlenden Augen der Autoren bei der Preisverleihung. Und das war einfach ein toller Moment.

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