02.02.2021
Emma R. Bammel
Ich sehe uns Jugendliche vor einem Abgrund.
Wie tief und wie weit dieser Abgrund ist, vermag jeder Jugendliche anders und auf seine Art und Weise zu empfinden.
Ich schreibe „wir Jugendliche“ und doch kann ich alles nur aus meiner Sicht beurteilen. Ich weiß nicht, ob es vielen anderen ähnlich geht wie mir…
Ich sehe mich vor einem Abgrund.
Sehe ich mich vor einem Abgrund?

Ich habe versucht ein anschauliches Bild zur Hilfe zu nehmen, aber bei näherer Betrachtung erscheint es mir doch eher unpassend.
Also nochmal:

Ich glaube, ich kann von mir behaupten, mich gefunden zu haben.
Ich weiß, wer ich bin, was ich mag und was mir Spaß macht …
Ich kenne mich.
Der nächste Schritt, der üblicherweise und nur folgerichtig getan werden muss, ist, dieses Wissen über sich selbst in das Große und Ganze - in die Welt - einzufügen. Wie bei einem Puzzle.
Dabei ist es natürlich hilfreich und sogar erforderlich, ein wenig die Welt zu kennen und zu wissen, wie sie funktioniert, um dann sich selbst - sein eigenes Zahnrädchen - an der richtigen Stelle einzusetzen.
Sobald das erfolgt ist, übernimmt man automatisch ein Stück Verantwortung. Verantwortung dafür, dass das Große und Ganze, dass die Welt funktioniert.
Wenn man diese Verantwortung dann also spürt, spürt man damit einhergehend, dass man einen Sinn hat - seinen Sinn des Lebens.

Sollte man merken, dass sein Zahnrad nicht richtig funktioniert (zu groß, zu klein, falsche Zahnung) muss man sich natürlich einen neuen Platz suchen, der sich richtiger und passender anfühlt. Das sprengt jetzt aber den Rahmen.

Wir halten kurz fest:
Sobald man ein Stück Verantwortung (über sich oder andere) übernimmt, bekommt man einen Sinn bzw. gibt man seinem Leben einen Sinn. Verantwortung und Sinn kommen also Hand in Hand.

Jugendliche suchen nach ihrem Platz in der Welt. Sie suchen nach ihrem Sinn.

Die (aus meiner Sicht) erste große Verantwortung, die Jugendliche über ihr eigenes Leben übernehmen, ist, die Wahl ihrer Prüfungsfächer.
Ich werde gefragt, was ich wählen möchte und auf Fragen müssen für gewöhnlich Antworten folgen. Aber was antworten, auf diese folgenschwere Frage?
Ich muss überlegen, was ich später machen möchte, um dazu passend meine Fächer zu wählen. Ich muss überlegen, an welcher Stelle mein Zahnrädchen ins Große und Ganze passt.
Aber um das entscheiden zu können, muss ich das Große und Ganze erst einmal kennen lernen.
Und genau da liegt das Problem.
Die aktuelle Situation verbietet das Herumstreifen, das Ausprobieren, das Grenzen testen. Sie verbietet, die wirkliche Welt kennen zu lernen.
Ein sehr wachsamer Erwachsener könnte anmerken, dass diese Zeit den Jugendlichen doch nicht allzu sehr schaden könne. Sie hätten Zeit, sich kennen zu lernen, sich zu informieren usw., um dann später voller Elan durchstarten zu können.
So funktioniert das aber leider nicht.
Gewiss haben wir viel Zeit, über uns nachzudenken, aber was bringt uns das, wenn uns ein Vergleich, ein Austausch fehlt? Was bringt es uns, wenn wir letztlich nicht testen können, ob ggf. statt gefundene Verbesserungen unserer selbst wahrhaftig Verbesserungen waren.
Außerdem können wir die Welt nur ungenügend durch von fremder Hand geschriebenen Informationen kennen lernen, aber anders ist es im Moment nicht möglich.

Stehe ich also nun vor einem Abgrund, oder nicht?
Nein, das passt eigentlich nicht.
Ich fühle eher die Abenteuerlust eines jungen Schmetterlings, der durch unerklärliche aber unumgängliche Umstände genötigt wird für ungewisse Zeit in seinem Kokon zu verweilen, statt sich an ersten Flugversuchen zu üben.