13.05.2020
Dr. Jan Bodo Sperlin
Hier antwortet ein zweiundneunzig Jahre alter Bundesbürger und kramt aus seinen Erinnerungen.

Ich war ein Kriegskind. Ein guter Teil meiner Jugend wurde beherrscht von Fliegeralarm und Luftschutzkeller, wo wir auf die Bomben der Alliierten warteten bzw. dem Krach der detonierenden Bomben lauschten. 1942 wurden wir in Hannover total ausgebombt.

Den Begriff "systemrelevant" kannten wir damals nicht. Aber rückblickend weiß ich, dass mein Vater im Hitler-Reich durchaus systemrelevant war, denn im Herbst bekam meine Mutter einen Brief, worin stand, dass Papa "für Führer, Volk und Vaterland" leider an der Ostfront gefallen sei.

Noch näher kam mir der Begriff "systemrelevant" als ich mit 14 Jahren zu einem Schnellkurs für Luftschutzwarte einberufen wurde, in dem ich lernte, durchs Hausdach gefallene Stab-Brandbomben zu löschen. Dazu musste ich während der Bombenangriffe auf dem Dachboden ausharren, während Mutter und Schwester sich in dem nahegelegenen Bunker in Sicherheit brachten.

Richtig "systemrelevant" wurde ich mit 16 Jahren als man mir eine Luftwaffenuniform anzog und mich an einer 8,8 cm Luftabwehrkanone ausbildete, während zwischen den Luftangriffen unsere Schullehrer in die Flak-Stellung kamen und uns vorübergehend wieder zu "Schülern" machten. Meinem Schulfreund Armin wurde diese extreme Systemrelevanz zum tödlichen Schicksal: er saß neben mir am Geschütz, als eine englische Splitterbombe ihm die Halsschlagader zerfetzte.

Der "SPIEGEL" hat diese unsere Jugend einmal als "schock-gereift" bezeichnet.

Nach 1945 durfte ich nach einer relativ kurzen Vorbereitung ein "Not-Abitur" ablegen, das ich mit "kaum ausreichend" bestand.

Erstaunlicherweise hat mich diese trostlose Jugend nicht daran gehindert, zwei handwerkliche Lehren erfolgreich abzuschließen, zu studieren, zu promovieren, für die deutsche Großindustrie vier Jahre in Indien tätig zu sein, Gastdozent in Harvard zu werden, über etliche Jahre bis zur Pensionierung eine hohe Position bei den Vereinten Nationen zu bekleiden und als Rentner über 30 Jahre meiner Evang. Kirchengemeinde als Ehrenamtlicher zu dienen.

Ich gehöre damit zu der Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg unser Land mit großem Erfolg wieder aufgebaut und zu dem gemacht hat, was unseren heutigen Wohlstand ermöglicht.

Ich antworte auf die Frage "Wie geht es Euch?" deshalb so drastisch, weil ich es bedenklich finde, dass etliche "Experten" heute argumentieren, der gegenwärtige Eingriff durch den Lockdown in die Welt der Kinder sei massiv und dadurch sei ihre körperliche, psychische und soziale Unversehrheit gefährdet. Die Zeit wird zeigen, ob dies nicht unverantwortliche, möglicherweise politisch gesteuerte Panikmache ist. Meine hier geschilderten Erfahrungen sollten dazu dienen, geängstigte Eltern zu beruhigen.