Erik Hartung
Aminata Belli reist nach Namibia, um über den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zu sprechen
Eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, das bis heute nur wenig aufgearbeitet wurde, ist der Völkermord an den Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Zwischen 1904 und 1908 töteten die deutschen Schutztruppen Zehntausende Ovaherero und Nama. Sie sperrten sie in Konzentrationslager, erschossen sie oder trieben sie in die Wüste, wo sie verdursteten.
Obwohl die Debatte um die deutsche Verantwortung an Kolonialverbrechen, Restitution von Raubkunst und Entschädigungen für die Nachfahren in den letzten Jahren intensiver geführt wurde, ist es noch immer ein unterbelichtetes Thema in der deutschen Öffentlichkeit und im Schulunterricht.
Wieso gehört der Großteil des Farmlandes Weißen? Wieso gibt es Denkmäler für deutsche Soldaten, aber kaum für Opfer des Völkermords?
Die Moderatorin und Journalistin Aminata Belli ist deshalb für den NDR nach Namibia geflogen, um mit den Nachkommen der Täter und der Überlebenden zu sprechen. Sie möchte auch die unglückselige Rolle christlicher Missionare beleuchten. Die evangelische Kirche trägt eine Mitverantwortung an dem, was die deutschen Schutztruppen damals angerichtet haben. Deren Missionare haben im besten Fall bei der Ausbeutung, Unterdrückung und Vertreibung tatenlos zugesehen, im schlimmsten sogar aktiv mitgeholfen.
Erik Hartung
Belli geht der Frage nach, warum es in Namibia bis heute Kaiser-Wilhelm-Straßen und Adler-Apotheken gibt. Wieso noch immer 20 000 Deutsche einen europäischen Lebensstandard pflegen und über 60 Prozent des Farmlandes besitzen, während die Hälfte der schwarzen Bevölkerung in Armut lebt. Warum Denkmäler für gefallene deutsche Soldaten das Stadtbild prägen, aber nicht für die Opfer des Völkermordes?
Leseempfehlung
Sie trifft namibische Künstler, Soziologinnen und evangelische Jugendliche mit deutschen Vorfahren. In der Küstenstadt Swakopmund fragt sie namibische Frauen, die auf der Straße Schmuck an weiße Touristen verkaufen, was die Deutschen von ihnen wissen sollten. Sie diskutiert mit der Nachfahrin eines Missionars und einer christlich missionierten Ovaherero, wie viel Verantwortung die Nachfahren der weißen Siedler tragen und wie Versöhnung aussehen könnte.
Die Dokumentation zeigt ein Land im Zwiespalt. Ein Land, in dem die schwarze Bevölkerung noch immer auf Gerechtigkeit wartet und es vielen Weißen bis heute schwerfällt, über Schuld und Verantwortung zu sprechen. Ein wenig vage bleibt die Dokumentation bei der Frage, was genau die evangelische Kirche zur Unterdrückung beigetragen hat. Bellis Versuche, mit Verantwortlichen aus der evangelischen Kirche in Namibia ins Gespräch zu kommen, scheiterten. Ist das Interesse, dieses Kapitel aufzuarbeiten, wirklich so klein? Zwar hat die evangelische eikon den Film produziert, gut so! Aber man hätte sich bei all den Vorwürfen schon eine offizielle evangelische Stimme gewünscht, die dazu Stellung nimmt.
Die Doku "Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord" ist in der ARD-Mediathek abrufbar und wird am Montag, 25. September, um 23:15 Uhr im NDR ausgestrahlt.
"Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord"
Länge: 44:35 Minuten
Regie und Buch: Silvia Palmigiano
Host: Aminata Belli
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Lesermeinungen
Klaus Aul | vor 1 Woche 6 Stunden Permanenter Link
Schlimm. Die Welt ist voller
Schlimm. Die Welt ist voller Grausamkeiten. Sie zu vergessen, zu verharmlosen ist ein Verbrechen an den Opfern. Beginnen wir mit der Verantwortung der Nachkommen und ihrer Organisationen. 1. Die Kinderkreuzzüge. 2. Inquisition, 3. Gräuel in Amerika und den missionarischen Eroberungen, 4. Sklaverei mit dem Segen des Herrn. 5. Hexenverbrennngen. 6. Weltkriege mit Zustimmung der Kirchen. 7. Antisemitismus zur Freude als religiöse Konkurrenz. Aufzählung ohne Ende. Die Nama und Hereros sind ein Teil davon. Es ist nicht einfach, bei Aufzählung und Bewertung das richtige Wort zu finden, zumal nahezu alle Ankläger im Glashaus sind.
Klaus Aul | vor 1 Tag 10 Stunden Permanenter Link
Eine Bewertung oder gar eine
Eine Bewertung oder gar eine Rangfolge der weltweiten Verbrechen ist unangebracht und böse. Und dennoch ist zu beobachten, dass wir schwer daran tragen und uns immer wieder wegen der heraufbeschworenen Wiederholungsgefahr rechtfertigen. Tun das andere auch? Das ist keine Bewertung! Die Russen mit Stalin (Bauern), mit den Folgen der Mission des Kommunismus. Die Japaner mit den Chinesen und Südkorea. Spanier, Engländer, Belgier und Andere mit der Kolonisation. Die Amerikaner mit Kriegen. Die Christen mit den Sklaven, mit ganz Amerika und der weltweiten zwangsweisen Mission. Wo bleibt deren ewige Schuld? Des Rätsels Lösung: Der Sieger macht das Recht. Alle Anderen (Japan!) schütteln sich und vergessen. Die Zukunft ruft. Und dann gibt es noch Diejenigen (die Regierungs-Hindi in Indien) die weitermachen. Bergkarabach, Bangladesch, Afghanistan, Iran. Etc., etc.