Foto: Alamode Filmverleih
03.02.2012

Der elfjährige Cyril versucht vergeblich, seinen Vater Guy anzurufen. Er ist in einem Erziehungsheim. Der Vater wollte ihn dort nach einem Monat wieder abholen. Am nächsten Tag schwänzt Cyril die Schule und macht sich auf den Weg zur väterlichen Wohnung. Schon bald sind ihm die Betreuern aus dem Heim auf den Fersen. Um ihnen zu entkommen, versteckt er sich in einer Arztpraxis. Dort begegnet er der Friseurin Samantha, die er fest umklammert und nicht mehr loslassen will, als die Erzieher ihn finden.

Es stellt sich heraus, dass die Wohnung des Vaters leer ist. Niemand weiß, wo er sich aufhält. Nach einigen Tagen bringt Samantha ihm sein Fahrrad, das er für gestohlen hielt. Sein Vater hatte es verkauft. Gemeinsam finden sie ihn bei einem Aushilfsjob; tief verletzt muss Cyril erkennen, dass der Vater nichts von ihm wissen will. Samantha tröstet ihn. Nun besucht er sie regelmäßig. Auch die Erfahrung falscher Freunde, die in Drogenhandel und Überfälle verwickelt sind, bleibt ihm nicht erspart. Doch Samantha hält trotz aller Schwierigkeiten zu ihm.

Ein Fahrrad als Methapher

Der Film konzentriert sich auf die Suchbewegung nach einem Zuhause, in dem Cyril sich geborgen und anerkannt fühlt. Das Fahrrad wird zur Metapher dieser Bewegung, weil es die bedrängende Dynamik und nervöse Energie verkörpert, mit der er nach einem solchen Ort für die eigene Identitätsbildung Ausschau hält. Eindringlich folgt die Kamera dem stets unruhig-impulsiven Verhalten des Jungen, der um soziale Aufmerksamkeit kämpft.

Samanthas Fürsorge ist ein elementarer humaner Impuls, dem sie folgt, ohne dass dies psychologisch erklärt wird. Ein von seinem Vater verlassener Junge findet Zuwendung dort, wo er sie gar nicht erwartet hat, bei einer Fremden, deren Menschlichkeit im Kontrast wie aus dem Märchen – oder dem Kino erscheint. Wenn der Film der Verlässlichkeit familiärer Bindungen misstraut, so will er dennoch keine Welt ohne Hoffnung zeichnen.

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Der Junge mit dem Fahrrad (Belgien, Frankreich, Italien 2010)
Regie und Buch: Jean-Pierre und Luc Dardenne; Darsteller: Thomas Doret (Cyril), Cécile de France (Samantha), Jérémie Renier (Guy), Egon Di Mateo (Wes) u.a.; 87 Min.; Preise: Großer Preis der Jury, Cannes 2011; Bestes Drehbuch, Europäischer Filmpreis 2011.
Kinostart: 9. Februar

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