Nicht unumstritten: Die Thesen das Agrarökonomen Walden Bello

Dieses Buch versteht man am Besten, wenn man zunächst den Schluss liest: Es geht um nichts Geringeres als ein neues Leitbild alternativen Wirtschaftens und den Platz, den die Landwirtschaft darin haben sollte. Die Grundprinzipien lauten: Subsidiarität, Diversität, Gleichheit und Demokratie, zusammengefasst unter dem Stichwort Deglobalisierung. Bello analysiert die weltweite Landwirtschaft als Jahrhunderte alten Kampf des Industriekapitalismus gegen die Bauern, von den Anfängen des Kapitalismus in England im 17. Jahrhundert über den Kolonialismus bis zu vier Fallbeispielen neueren Datums aus Mexiko, den Philippinen, Subsahara-Afrika und China. Die Gentechnologie schließlich, die den lebendigen Organismus zu als Kapital zu behandeln versucht, drohe „den Kreis der Enteignung der Bauern zu schließen“.

Soziale und ökologische Destabilisierung

Die Auswirkungen dieser Tendenzen sind laut Bello soziale und ökologische Destabilisierung, im Falle der Landwirtschaft die Vernichtung beziehungsweise Proletarisierung der Bauern, nicht nachhaltige Produktionsweisen und die Erhaltung und sogar Schaffung von Hunger. Als Beleg dienen ihm unter anderem die Ernährungskrisen der vergangenen Jahre. Die sind zugleich aber auch mögliche Wendepunkte: Der (Agrar)kapitalismus werde von einer Legitimationskrise eingeholt, schreibt er. Dies könne alternativen Konzepten wie der Deglobalisierung sowie der Ernährungssouveränität, die auf kleinbäuerlicher Wirtschaft mit ökologisch angepasster Technologie für lokale und regionale Märkte beruhen, zum Durchbruch verhelfen.

Angesichts der Größe der selbst gewählten Aufgabe darf eine Kritik an diesem Buch nicht kleinlich sein. In Details wird deutlich, dass Bello kein Agrar- und Ernährungsspezialist ist. Noch mehr stört aber die Selektivität seiner Argumente. Er hat sicher Recht, dass im Laufe der vergangenen 300 Jahre Kleinbauern oft durch politische Maßnahmen vernachlässigt, benachteiligt, zurückgedrängt und sogar physisch vernichtet wurden. Die Verzerrung der Weltagrarmärkte durch die Politik der Industrieländer wird ebenfalls zu Recht angeklagt.

Einseitige Argumentation

Doch es fehlen alle Probleme der Kleinbauern und der Ernährungssicherheit, die nicht in Bellos Weltbild passen. Und das sind eine ganze Menge. So wird nicht thematisiert, dass kleinbäuerliche Gesellschaften schon in vorkapitalistischen Zeiten immer wieder unter Hunger litten. Dass auch die kleinbäuerliche Produktionsweise Böden und Vegetation degradieren kann, bleibt unerwähnt. Die Einseitigkeit seiner Argumentation zieht sich quer durch alle Themen: Biologische Landwirtschaft ist nur gut, wenn sie von Kleinbauern betrieben wird, in den Händen von US-Konzernen droht sie zum Mittel des Zugriffs auf diesen Nischenmarkt zu werden. Die für Welternährungsfragen fundamentalen Phänome „Bevölkerungswachstum“ und „Fleischkonsum“ werden nicht thematisiert. Den deutlichen und zumindest bisher nachhaltigen Rückgang von Armut und Hunger in sich industrialisierenden Ländern erwähnt Bello kaum.

Bello verkennt die Natur des Agrarsektors, indem er das Problem der Welternährung auf die genannten Gegensätze reduziert und die Dynamiken zu sehr vereinfacht. Er macht einen Fehler, wenn er die Welthandelsorganisation WTO zum Hauptgegner der Kleinbauern in Entwicklungsländern erklärt. Immerhin ist dies die einzige Institution, die es bisher geschafft hat, den überbordenden Stützungssystemen der Industrieländer für ihre Landwirtschaft wenigstens ansatzweise Grenzen zu setzen. Im Einzelfall ist vieles verbesserungswürdig, und die Tatsache, dass die Doha-Runde noch nicht zum Abschluss gekommen ist, zeigt, dass das Ringen zäh ist und viele Entwicklungsländer mittlerweile ebenbürtige Verhandlungspartner sind. Aber entscheidend ist der Abbau von Preis- und Wettbewerbsverzerrungen, und der scheint ohne WTO kaum möglich. Überhaupt ist gerade im Agrarhandel der alte Gegensatz von globalem Süden und Norden nicht mehr aktuell.

Es ist sicher schön, ein klares alternatives Weltbild zu haben, und es erlaubt das Aufdecken von Mängeln, die in der orthodoxen Weltsicht verdeckt oder übersehen werden. Hier liegt ein Verdienst von Bellos neuem Buch. Ob daraus auch realistische Vorschläge für die Zukunft der Landwirtschaft erwachsen, muss nach der Lektüre aber bezweifelt werden.

Walden Bello
Politik des Hungers
Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010, 200 Seiten, 16 Euro

 

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