Los - streiten!
Tim Wegner
02.06.2021

In den Lockdowns hatten viele, die es sich leisten konnten, plötzlich Zeit: Zeit, um endlich den Keller aufzuräumen, die Fotos zu sortieren, den Kleiderschrank auszumisten. Aber Zeit zum Denken? Eher nicht, wenn man den Autor:innen dieses kämpferischen Essaybandes glaubt: "Wieder denken", heißt der griffige Titel.

Henriette Hufgard, geboren 1991, Philosophin und Kunstpädagogin, schreibt "Über das wundersame Verschwinden der Zeit" aus feministischer Sicht: "Zeit ist Geld und Geld ist Macht." Und beides hatten mal wieder die Männer, nicht die Frauen, alleinerziehend, womöglich noch in einem systemrelevanten Beruf.

"Systemrelevant" - was sich schön liest, ist nichts weiter als die Vertiefung der eh schon vorhandenen Geschlechterungerechtigkeiten durch die Pandemie.

Wie Henriette Hufgard schreiben auch andere Autor:innen in Ichform, berichten von ihren eigenen Erlebnissen und verweben das mit philosophischen Ansätzen. Julian Prugger, geboren 1990, wie Hufgard gerade in Philosophie promovierend, berichtet zum Beispiel in seinem Text zu der Frage "Was gibt uns Sicherheit?" von seinem täglichen Arbeitsweg in München. Dort, beim Hauptbahnhof, sammelten sich schon vor der Pandemie Drogenabhängige, Obdachlose  -  kurz, die Menschen, die bestimmt andere Sorgen haben als einen zu vollen Kleiderschrank und einen kaputten Gartenzaun, der in Pandemiezeiten endlich mal repariert werden kann. Welches Gefühl geben ihnen mehr Polizisten in Uniform? Wer fühlt sich wann und wie "geschützt"; und was bedeutet eigentlich die "Versicherheitlichung" unserer Gesellschaft?

Vieles in diesem Buch ist provokant, über vieles lässt sich streiten. Mission erreicht!

Buchinfos:
Karin Hutflötz (Hrsg.) / Veronika Hilzensauer (Hrsg.):  Wieder denken. Neue Fragen, andere Antworten, Perspektiven für die Zeit nach der Pandemie. Schwarz-Weiß-Abbildungen, Klappenbroschur, Kopffarbschnitt, zweifarbiger Druck, 240 Seiten, Buchgestaltung von GROOTHUIS. Büchergilde Gutenberg, 2021


 

 

 

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"... gerade in Philosophie promovierend."

Offenbar die Statements einer Generation die systemrationale Sicherheit fürs Leben/"Denken" brauchen!

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