Die Welt verstehen
Gunter Glücklich
08.10.2018

Maria Cecilia Barbetta: Nachtleuchten

Wer Gegenwart begreifen will, muss auf die Vergangenheit schauen. Das machen zwei große deutsche Romane dieses Herbstes deutlich. Die in Buenos Aires geborene María Cecilia Barbetta er­innert in "Nachtleuchten" an die Geschichte Argenti­niens. Im Jahr 1974 in der Provinz Ballester spielend, gibt der Roman eine Liebeserklärung an die Menschen dieser Region ab. Mit überschäumender Erzähllust führt Barbetta in ein katholisches Internat, wo die "Theologie der Befreiung" aufflammt, in eine Kfz-Werkstatt mit dem schönen ­Namen "Autopia", wo Rückkehr und Tod Juan Peróns aufs Heftigste diskutiert werden, und am Ende in eigenwillige Spiritistenkreise. So entsteht ­seismografisch ein Bild Argentiniens, ­am Vor­abend der Machtübernahme durch die Militärjunta 1976.

Inger-Maria Mahlke: Archipel. Rowolth. 432 Seiten, 20 Euro

Inger-Maria Mahlke hingegen reist in ihrem Roman auf die Kanarischen Inseln, nach Teneriffa, wo sie selbst längere Zeit gelebt hat. In umgekehrter Chronologie präsentiert sie einen breit angelegten Familienroman, der 2015 einsetzt und bis 1919 zurückreicht. Was es mit der beliebten Blumen­insel auf sich hat, mit den beklemmenden "Visionen für einen neuen Tourismus", mit General Franco, der sich 1936 von dort aus nach Madrid aufmachte, um das Regiment zu übernehmen, und mit den Nachwirkungen der spani­schen Kolonialpolitik in Nordafrika – ­das alles fügt die Autorin facettenreichzu­sammen. Ein Lehrstück über die Geschichte des 20. Jahr­hunderts.

Gunter Glücklich

Rainer Moritz

Rainer Moritz ist promovierter Literaturwissenschaftler. Seit 2005 leitet er das Literaturhaus Hamburg. Er ist Essayist, Übersetzer und Autor zahlreicher Bücher, darunter zuletzt "Als der Ball noch rund war" und "Mein Vater, die Dinge und der Tod".
Produktinfo

María Cecilia Barbetta:Nacht­leuchten. S. Fischer. 528 Seiten, 24 Euro

Inger ­Maria Mahlke: Archipel. Rowohlt. 432 Seiten. 20 Euro

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