Manche Autoren brauchen nur wenige Seiten, um zur Hochform aufzulaufen. Wie Nobelpreisträger Claude Simon etwa in seiner 1958 zuerst erschienenen und nun wiederentdeckten Erzählung „Das Pferd“. Wieder und wieder hat Simon in seinem Werk auf Ereignisse des Kriegsfrühjahrs 1940 zurückgegriffen – damals, als er in Flandern gegen die deutschen Besatzer zu kämpfen hatte und als einer der wenigen seiner Einheit überlebte. „Das Pferd“ knüpft daran an, lässt eine Kavallerie in ein nordfranzösisches Dorf einreiten. Vom Krieg, der „unwiderruflichen Schmach der Menschen“, haben die Soldaten längst genug. Zwei Tage nur währt das Geschehen, in dem die Leiden eines sterbenden Pferdes zum großen Symbol kristallisieren – unvergessliche Bilder, die der Stilvirtuose Simon da zeichnet.
Dem steht die 1977 geborene Iris Wolff kaum nach. Ihr Roman „So tun, als ob es regnet“, der aus vier eng miteinander verwobenen Erzählungen besteht, umspannt fast das ganze 20. Jahrhundert, gesehen aus dem Blickwinkel einer siebenbürgischen Familie. Wie die Katastrophen der Zeit – die Weltkriege, die Bedrohung durch Deportation oder die Securitate – auf die Einzelnen einwirken und wie diese sich Freiräume zu schaffen suchen, das ist mit einer staunenswert poetischen Schönheit erzählt. Ein Kunst- und Meisterstück, in dem jedes Wort seinen richtigen Platz findet und keines überzählig ist, ein schmales Buch voll funkelnder, zauberhafter und tröstlicher Momente.
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