Die Wohnung und die Dinge in ihr sprechen lauter, wenn der Besitzer still geworden ist. Rainer Moritz, unser Kolumnist, der hier jeden Monat zwei Romane vorstellt, hat nach dem Tod seines Vaters dessen Möbeln zugehört. So strukturieren die Dinge seine eigene Erinnerung: Der Sessel, der Fernseher, das Schachbrett oder auch die Terrassentür erzählen, wie es zwischen den Generationen mal liebevoll, mal sprachlos zugeht, wie ein Familienleben in den Siebzigern sich am Vater ausrichtet, wie die Eltern alt werden. Wir hören von der schönen Tante, von Schwarzwälder Kirschtorte und dem Tischgebet. Ein Porträt, ein Erinnerungsbuch, unsentimental und nachdenklich – und wer in den Siebzigern jung war, wird vieles wiedererkennen.
Frank Schulz, der den Detektiv Onno Viets erfunden hat, ist nur ein Jahr älter als Rainer Moritz und trauert um seine Mutter. Sie war doch noch gar nicht alt und noch so fit, niemand hatte damit gerechnet, dass sie stirbt, nicht jetzt, die Familie verharrt in Schockstarre: "Das kann ja wohl nicht angehn!" Und überraschend wirkt die Trauer in Schulz’ neuem Prosaband: Die anderen Erzählungen, Fragmente, Kurztexte sind penibel konstruiert, immer überoriginell und superkonkret, typisch Schulz, während der "Rotkehlchen"-Text ganz direkt spricht, wie rohe Traurigkeit, noch nicht zu Literatur verarbeitet. Und natürlich ist es doch Literatur.
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