Nichts mehr essen, nichts mehr trinken
Tim Wegner
15.01.2020

Detlev zum Beispiel, 84 Jahre alt und durch Parkinson sowie die Folgen eines schweren Schlaganfalls äußerst eingeschränkt, hatte entschieden, durch Sterbefasten aus dem Leben zu gehen, begleitet von seiner Frau. Die beiden hatten noch eine gute Zeit zusammen, in der sie über ihr gemeinsames Leben sprachen, in der Detlev seiner Frau aber auch erklärte, wie man Wasser in die Heizkörper nachfüllt. Erstaunlich lange dauerte es, bis er starb, nämlich 37 Tage - vermutlich, weil er immer noch getrunken hatte.

Sterbefastende verweigern Essen und Trinken. Der Körper trocknet aus, schließlich versagen die Nieren versagen. Diesen Weg wählen manche Menschen, meist alt und von so vielen Krankheiten beeinträchtigt, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr am Leben teilnehmen zu können. "Lebens- und leidenssatt" nennt das Autorenpaar diese Motivation. Das Ehepaar zur Nieden, er Palliativarzt, sie ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin, dokumentiert in diesem Buch 18 Fälle von Sterbefasten, bei denen sie Angehörige, meist telefonisch, begleitet haben.

Christiane und Hans-Christoph zur Nieden: Umgang mit Sterbefasten. Fälle aus der Praxis. Mabuse-Verlag, 190 Seiten, 19,95 €

Sterbefasten geht auch zu Hause, aber nicht ohne Begleitung von Angehörigen und – mindestens im Hintergrund –  von Hausärztinnen, die zum Beispiel starke Schmerzmittel verschreiben. Die wohl wichtigste Voraussetzung: offene Gespräche mit den Angehörigen.

Die meisten der begleitenden Angehörigen in diesem Buch bewerten rückblickend den Sterbeprozess als friedlich. Aber nicht alle. Die Bewohnerin eines Pflegeheims zum Beispiel bekam erst ganz zuletzt die schon länger nötigen Schmerzmittel und eine Dekubitusmatratze.

Vier Menschen brachen das Sterbefasten ab. Eine alte Frau etwa, die es ganz alleine durchziehen wollte, um bloß nicht ihrem Sohn, der auf Auslandsdienstreise war, zu belasten. Er kam früher zurück, erschrak über ihre Dürre, nahm sie an Weihnachten zu sich, und die Dame fand: Ich kann das meinen Enkeln nicht antun, die haben sich so gefreut auf mich. Oder Walter, 82, bei dem eine Demenz diagnostiziert worden war und der seinen Freund verpflichten wollte, ihm kein Essen mehr anzureichen – nach einem weiteren Demenzschub aß Walter auf einmal wieder gern und häufig. Der Freund war erleichtert.

Christiane und Hans-Christoph zur Nieden: Umgang mit Sterbefasten. Fälle aus der Praxis. Mabuse-Verlag, 190 Seiten, 19,95 €

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