Symbolbild Mann vor vielen Monitoren
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Im Internet ist’s schöner als bei dir
Macht uns das Internet Konkurrenz zum echten Leben? Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer beobachtet Veränderungen im Zwischenmenschlichen und fürchtet, dass diese tiefgreifender sein werden als wir uns vorstellen können
Volker Derlath / SZ Photo
27.03.2017

Unter den Lebensbedingungen, die Homo sapiens sich entwickeln ließen, war der lebendige Mensch für den Menschen Quelle und Ziel von Aufmerksamkeit, Neugier und Interesse. Es gab kaum Konkurrenz: Pflanzen und Tiere, der Sternenhimmel, ein Gewitter, ein Feuer. Diese Wettbewerber fesselten nur flüchtig, dann waren es wieder die Menschen, Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, Gesunde und Kranke. Sind ihre Bewegungen, ihre Sprache, ihre Gesten, ihre Geschichten nicht das Interessanteste, was es in der Menschenwelt gibt?

Daran hat sich in den letzten 50 Jahren Grundlegendes geändert. Wir spüren heute die ersten Folgen, aber wir ahnen noch nicht, wie tief sie greifen und was sich alles aus ihnen ergibt.

Ein Paar kommt in Therapie. Zwei Söhne, 14 und 11 Jahre alt. Der ältere Sohn hat soeben seinen Vater verblüfft, weil er ihm sagte, er wünsche sich einen Vater wie Richard Dawkins. Der Vater kennt Richard Dawkins nicht und lässt sich belehren, dass es sich um einen britischen Evolutionsbiologen und Religionskritiker handelt. Der Sohn hat mehrere Videos von Dawkins im Internet gesehen und findet nicht nur dessen Thesen interessant, sondern auch seine absolute Ruhe und Souveränität in Debatten. Diese unterscheide sich vorbildhaft von den lautstark ausgetragenen Streitereien der Eltern. Zurzeit machen sich beide Eltern heftige Sorgen um den jüngeren Sohn, der tägliche viele Stunden mit Computerspielen verbringt und bei schönstem Wetter nur mit großer Mühe überzeugt werden kann, eine Bootsfahrt mit der Familie zu unternehmen.

Wir haben uns an die Konkurrenz mit dem Bildschirm gewöhnt. Wir wollen nicht gestört werden, wenn uns etwas in der virtuellen Welt interessanter erscheint als das Kontaktangebot in der realen Beziehung – und verstehen daher auch in der Regel, wenn andere nicht gestört werden wollen. Manchmal spitzt sich die Lage zu, wie im Fall des 14-Jährigen, der plötzlich mit Namen nennt, wen er lieber als Vater hätte. Da sind Distanz und Humor gefragt, auch wenn die Gegenrede naheliegt: „Was habe ich für dich getan, und was Professor Dawkins?“

Virtuelle Konkurrenz formt unser ideales Selbst

In einem pädagogisch unambitionierten Milieu sind es eher die Eltern, die ihre Kinder abweisen, manchmal auch schlagen, wenn sie beim Fernsehen stören. Der Vater, der sein schreiendes Baby krank schüttelt, weil es ihn beim Gucken der „Sportschau“ stört, ist ein Extremfall. In einem pädagogisch ambitionierten Milieu sind es eher die Kinder, die ihren Eltern Kummer machen, weil sie die von diesen eigens für den Nachwuchs erfundene gesunde Freizeitaktivität freudlos, nur bestochen dem Bildschirm vorziehen.

Bis vor 200 Jahren lebten in Europa die meisten Menschen in Dörfern, fast ohne bildhafte Konkurrenz. Bilder von Menschen waren selten und setzten sich kaum je in Konkurrenz zum eigenen Spiegelbild. In den Kirchen gab es Heiligenfiguren, auf dem Jahrmarkt Holzschnitte. Das ist heute ganz anders. Wir sind jeden Tag viele Stunden mit Menschen auf Bildern beschäftigt. Interessanten Bildern, fesselnden Bildern, folgenschweren Bildern.

Eine ältere Gymnasiallehrerin berichtet, es werde von Jahr zu Jahr in den höheren Klassen schlimmer mit den Jugendlichen, die über ihr Aussehen unzufrieden seien und sich ständig mit Schauspielern und Models verglichen. Als sie vor dreißig Jahren zu unterrichten begann, sei das nur bei einem oder zwei pubertierenden Mädchen in jeder Klasse der Fall gewesen. Heute seien es eine Mehrzahl der Schülerinnen und eine wachsende Gruppe männlicher Jugendlicher, die sich ständig mit ihrem Aussehen beschäftigten: Sie würden Diäten diskutieren, kosmetische Operationen planen, an Magersucht oder Bulimie leiden. Sie begännen früher, sich für Mode zu interessieren und sich zu schminken.

Ein Jugendlicher, der einen anderen während einer Pausenschlägerei schwer verletzt hat, ist fassungslos, weil sein Gegner jetzt mit einem komplizierten Schädelbruch im Krankenhaus liegt. „Die im Film stehen doch auch gleich wieder auf!“

Ein Paar sucht dringend ein Gespräch. Die Frau hat auf dem Notebook ihres Mannes Pornovideos entdeckt. Sie ist überzeugt, dass er diese Frauen viel attraktiver findet als sie. Am liebsten würde sie ausziehen, aber sie will ihm noch eine Chance geben, die Kinder hängen an ihm. Er behauptet, das Video habe nichts zu bedeuten. Sie müsse zugeben, dass sie seit der Geburt des jüngsten Sohnes kaum mehr sexuelles Interesse an ihm gezeigt habe.


Virtuelle Konkurrenz dringt in unser Fantasieleben ein, prägt unsere Träume, formt unser ideales Selbst. Von Kindheit an fasziniert und bedrückt die Eingeborenen der digitalen Welt die Perfektion dieser Bilder. Die meisten Eltern wissen, wie schwierig es ist, ein vom Bildschirm gefesseltes Kind in die reale Welt, zu den realen Menschen und ihren Bedürfnissen zurückzuholen. Erwachsene haben es nicht viel leichter. Soll ich meinem Partner vorwerfen, dass er schon beim Frühstück sein Smartphone interessanter findet als mich – oder soll ich selbst in die Tasche greifen, auf den Knopf drücken und sehen, was aus der elektronischen Welt auf mich zuflimmert, wer sich gemeldet hat, wo etwas Interessantes passiert und ich wenigstens virtuell dabei sein kann?

Reale Menschen lassen sich schlechter kontrollieren als die bewegten Bilder, die ich mit einfachen Gesten, gleich dem Reiben an Aladins Lampe, herbeizaubern und wieder auslöschen kann. Wo sich in der Realität Spannung aufbauen könnte, herrscht auf dem Bildschirm Entspannung. Wo ich ohnmächtig sein könnte, bin ich in der virtuellen Welt mächtig. Wo sich im Alltag die innere Welt anderer Personen nicht ohne eigenes Bemühen, Beobachten und Nachfragen erschließt, treten auf Leinwand und Bildschirm Schauspielerinnen und Schauspieler auf.

Die Alternative zwischen dem Virtuellen und der Wirklichkeit plagt uns

Sie sind nicht nur attraktiver, sondern vor allem auch expressiver, unterhaltsamer. Sie sind von deutlichen Gefühlen und hohen Idealen bewegt, die sie bedeutsamer machen als Familienmitglieder und Freunde. Sie leben in Szenen, in denen sich ihr Wert, ihre Kraft entfalten können. Das Ganze wirkt lebensecht, eigentlich realer als die zähe Wirklichkeit mit ihren tausend Routinen und Wiederholungen.

Indem die Medienwelt eine vereinfachte soziale Welt anbietet, ersetzt sie den lebenden Tiger durch sein Fell. Wir stehen oft am Scheideweg: Wählen wir die bequeme Lösung, zentrieren uns auf die Bilder, die wir abschalten und manipulieren können, oder lassen wir uns auf Menschen ein, die nicht berechenbar sind, die schwitzen und riechen, die den Raum nicht verlassen, sich nicht störungsfrei auflösen, soviel wir auch klicken oder wischen?

In jeder kritischen Lebensphase begleitet und plagt uns diese Alternative zwischen dem Virtuellen und der Wirklichkeit. Hausaufgaben für die Schule sind schon immer öde gewesen, aber sie wurden es zehnfach, seit es die Alternative des Computerspiels gibt. Von den Schülerinnen und Schülern, die ihre Körper chirurgisch nachbearbeiten lassen wollen, so wie der Bildbearbeiter die Fotostrecke eines Models nachbearbeitet, haben wir schon gesprochen.

Wenn sich ein junger Mann zum heiligen Krieger ernennt und an strategisch bedeutsamem Ort in die Luft sprengt, mutet es einen kritischen Geist absurd an, dass er hofft, auf diesem Weg ins Paradies zu kommen. Aber das Paradies einer besseren, schaltbaren Wirklichkeit williger Frauen und blühender Landschaften war den Menschen noch nie so nahe wie heute. Man kann sich vorstellen, dass sich unter traumatischen Umständen die Bindung an die Realität lockert und der Gedanke attraktiv erscheint, den Erdenrest zu atomisieren, um ganz in der virtuellen Welt anzukommen.

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