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Präses Annette Kurschus über Kirchenräume [1]

Hier kann ich bleiben
Ein Sessel, eine Küche, eine Kirche: Jede und jeder hat einen Lieblingsort. Wo man ankommen kann und der Alltag weit weg ist.

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Vorgelesen: Auf ein Wort "Hier kann ich bleiben"

Gut, dass wir sie haben: unsere Lieblingsorte. Den Sessel im Wohnzimmer mit dem ganz besonderen Blick in den Garten. Meinen Platz in der ­Küche, wo am Kühlschrank die Postkarten kleben. Die Bank im Park, an der so viele schöne Erinnerungen ­hängen. Lieblingsorte bringen mich auf Abstand zum Alltag. Manchmal nur für einen einzigen kostbaren Moment, auf den ich mich schon lange vorher freue.

Annette Kurschus

Annette Kurschus, Jahrgang 1963, ist seit 2012 Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen mit Sitz in Bielefeld. Sie ist die erste Frau, die dieses Amt in der Landeskirche bekleidet. Seit 2015 ist die Theologin zudem stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
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Neulich las ich in einem Interview: Jeder und jede Zweite sucht eine Kirche auf – als Lieblingsort. Ob’s stimmt? Mag sein. Ich jedenfalls liebe dieses Gefühl, wenn nach stundenlangen Autofahrten, noch weit in der Ferne, endlich der vertraute Kirchturm zu erkennen ist. Wie ein Fingerzeig: Jetzt bin ich zu Hause.

Was wären wir ohne unsere alten Kirchen mit ihren Türmen und den Fassaden voller Narben, Risse und Flecken, die von einer oft jahrtausendealten Baugeschichte erzählen? Dörfer und Städte sind um sie herum gewachsen. ­Ihre Räume bergen unzählige Lebens- und Glaubensge­schichten von Menschen, die hier gesungen und gefeiert, gebetet, geweint und geklagt haben. Sie stellen uns mitten hinein in die lange Reihe derer, die vor uns hier waren und die nach uns hier sein werden. Wenn die Kirchenmauern erzählen könnten . . .!

Über den Alltag hinaus

In Kirchen hören Menschen auf Worte, die sie sich nicht selber sagen können. Einzelne halten dort stille ­Einkehr, Radpilger machen halt. Marktflaneure treten ein und Geschäftsleute in der Mittagspause. Kirchen unterbrechen das Gewohnte, sie weisen über das Alltägliche hinaus – anders als die Orte, an denen wir uns sonst bewegen. ­Heilsam anders. Und das macht den Unterschied.

Kirchenräume weiten für eine wohltuende Weile ­unsere Gedanken und Herzen. Und manche ahnen: Hier nimmt Gott selbst Wohnung. Weil er es mit uns und ­unserem Leben zu tun haben will.

Selbst Menschen, die mit dem christlichen Glauben ­wenig oder gar nichts verbinden, hängen an "ihren" Kirchen und möchten sie nicht missen als markante Gebäude, die ganzen Landschaften ihr unverwechselbares Profil geben. Ja, Kirchen stehen für Heimat und Nach-Hause-Kommen. "Wir wollen in Menschen investieren statt in Steine", höre ich bisweilen. Es kostet tatsächlich eine Menge Geld, alte Kirchbauten instand zu halten. Viele stehen unter Denkmalschutz und sind ohne Frage eine starke finanzielle Belastung für ihre Gemeinden. Doch ist es wirklich eine Alternative: Menschen oder Steine?

Stille Seelsorgerinnen

Menschen brauchen neben ihren vertrauten Lieblingsorten andere, fremde Räume, die mehr bereithalten als ein wohliges Gefühl. Das haben viele in den vergangenen Monaten besonders deutlich gespürt. Deshalb haben Kirchengemeinden ihre Kirchen geöffnet, als so vieles nur auf Abstand und manches gar nicht ging. Menschen kommen mit ihren Sorgen und Ängsten vor dem unsichtbaren ansteckenden Feind. Suchen die Nähe Gottes und die Gemeinschaft mit denen, die vor ihnen da waren und nach ihnen kommen werden. Kirchen erweisen sich als verlässliche Herbergen am Weg. Als ­stille Seelsor­gerinnen im durcheinandergeratenen Alltag. Als Orte für die Sehnsucht nach dem Grund, der trägt, wenn alles wankt.

In einem biblischen Gebet heißt es: "Ein Tag in deinen Vorhöfen, Gott, ist besser als sonst tausend" – in Klassen­zimmern, Werkhallen, Sitzungssälen, auf Dienstreisen und endlosen Autofahrten. Ja, es braucht die Räume für das Wort Gottes, in denen wir uns bestärken und be­fes­tigen lassen auf dem Grund unseres Lebens, den keiner selbst legen kann. Wie gut, dass wir sie haben.

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